Thuazar. Anders Aaronson
sagte Manapa entrüstet. »Geht’s noch?«
Ransor achtete gar nicht drauf. »Pass auf junger Opum. Sag allen Familien Bescheid. Heute Abend möchte ich ein Treffen beim Ahnenbaum.«
Manapa wollte gerade aufbegehren, aber Ransors Blick hieß ihn, es sein zu lassen.
Er machte sich, mit einem mulmigen Gefühl im Bauch, auf den Weg. Irgendetwas stimmte nicht, ganz und gar nicht.
Fast den ganzen Tag war er unterwegs um allen Familien und den Handwerkern, die alle noch nicht verheiratet waren und so noch keiner Familie angehörten, Bescheid zu geben.
Auch Manapa durfte abends dabei sein. Er hatte den restlichen Tag dann in der Taverne zum goldenen Schaf verbracht. Das Gesprächsthema Nummer Eins war natürlich die Vision der Schamanin. Nachdem die Dämmerung hereinbrach, machten sich die Oberhäupter der Familien auf zum Ahnenbaum, der etwas außerhalb des Dorfes nah am Fluss stand. Fackeln erhellten den Platz und er füllte sich schnell. Manapa ging zu den Handwerkern. Nik Knabap , der Wagenbauer nickte ihm freundlich zu. Er hatte schon mittags mit ihm geplaudert. Aram Bento der Netzflicker war wie immer brummig und schlecht gelaunt und sagte nur ein kurz angebundenes »HALLO«. Bulbo Fretnos, der Schmied, sein bester Freund lächelte ihn an und bat ihn zu sich. Er gab Manapa einen Becher Bier und sie stießen an.
»Du warst vorhin so schnell weg. Was ist denn los? Und spielst du jetzt den Laufburschen für den alten Knittersack Ransor, oder was?« Er grinste ihn dabei mit seinem löchrigen Gebiss breit an. »Quatsch, ich war bei den Rimizers und hatte schon einen richtig guten Handel ausgemacht, da kam Pari und rief den Alten und der zuckelte direkt los. Hin zu seiner Schwester, die ja diese Vision hatte. Danach war er wie ausgewechselt. Richtig panisch. >Na ja<, hab ich mir gedacht, mach ich mal lieber, was er sagt. Ist ja halb so wild .... Aber pscht. Undar.«
Der Dorfvorsteher war ein enorm fetter Gromlum. Das Gesicht hatte was von einer Ratte und sein schwarzes Haar kämmte er mit Fett zurück. Wie ein nasser Sack hing ein schreiend bunter Mantel an den Schultern herunter. Die Schärpe, die ihn als Dorfvorsteher auszeichnete, saß mehr als eng und schnitt in seine schwabbelige Wampe.
»Was für ein ekeliger Typ«, dachte sich Manapa. »Wer hat den bloß vor zwei Jahren gewählt?«
»Liebe Freunde«, begrüßte Undar überschwänglich die Versammlung. »Mein guter Nachbar Ransor Rimizer hatte es ja sehr dringlich gemacht, dass wir uns hier alle treffen. Also übergebe ich das Wort an meinen alten Freund. Ransor, bitte.«
Der alte Mann stand auf und hielt sich an seinen Stab fest.
»Ich habe euch alle gerufen, weil ich glaube, dass es an der Zeit ist, Entscheidungen zu treffen.«
»Hört, hört«, rief Undar und schaute dabei feixend in die Menge.
»Bitte Undar. Lass wenigstens heute deinen Sarkasmus und unseren Streit außen vor«, antwortete bissig Ransor.
Zustimmendes Gemurmel der Leute ließ den Dorfvorsteher peinlich berührt von einem Bein aufs andere tippeln.
»Ihr habt alle mitbekommen was Igejai...«
»Deine Schwester ...«, warf Undar ein.
»Ja meine Schwester, und? Sie ist die Seherin und Schamanin von Drei Hügeln und ihr wisst, was sie in ihrer Vision gesehen hat. Es ist das, was in der Prophezeiung der Xin von Kiltona steht. Es droht Gefahr. Wir müssen fliehen. Wir müssen ...«
»Jetzt ist mal gut Ransor. Wir müssen gar nichts. Nur weil deine Schwester mal wieder zu viel Rauschkraut geraucht hat und wirres Zeug plappert ...«
»Was erlaubst du dir Undar«, brüllte der Alte ihn an. »Sie ist unsere Seherin und Schamanin.«
»Wer braucht die denn noch?«, fragte Undar in die Runde. »Wer braucht deine verrückte Schwester noch, Ransor. Wer hört denn noch auf sie ...? Niemand! Ransor! Niemand!«
Ransor stand mit offenem Mund dar und schaute ungläubig Undar an. Es war totenstill. Auch Manapa konnte nicht glauben, was er da hörte. Tante Hilgo war eine Freundin der Schamanin. Wie konnte Undar so herablassend über die Schamanin reden. Murmeln erhob sich.
»Ruhe«, brüllte Undar. »Wer glaubt denn noch an die Prophezeiung, die irgendeine Xinfrau vor fast tausend Jahren von sich gegeben hat. Keiner. Lass uns in Ruhe mit so einem Quatsch, Ransor. Wir haben nächste Woche das große Rennen in Drei Hügeln, falls das einer vergessen hat. Alle Bewohner der Dörfer am Aerenyr kommen hierher in unser Dorf und werden feiern. Verbreite woanders Angst. Es wird nichts passieren. Das garantiere ich euch. Zustimmendes Gemurmel der Familienoberhäupter die Undar nahe standen. Die anderen waren still. Ransor schüttelte den Kopf. Schaute hoch und wollte noch was sagen.
»Ach alter Mann«, platzte Undar dazwischen. »Geh nach Hause und setz´ dich an deinen Kamin. Die Versammlung ist beendet.«
Einzelne Klatscher bestätigten Undar. Er drehte sich um und watschelte gemächlich von dannen. Dann rief er noch einmal: »Kommt Leute, ich gebe, einen aus.«
Seine Freunde und auch ein paar, die sich auf ein, zwei spendierte Biere freuten, folgten ihm. Einige der anderen gingen zu Ransor und versuchten ihn aufzumuntern. Nach kurzer Zeit stand er aber allein da und wurde von Manapa und Bulbo nach Haus gebracht.
Zu Hause erzählte er der Familie von den bösen Worten Undars. Die Männer wollten schon zum Haus der Agaps um den frechen Hund zur Rede zu stellen.
Ransor verbot es und befahl etwas ganz anderes.
Am nächsten Morgen brach die Familie Rimizer mit all ihren Habseligkeiten auf. Sie verließen Drei Hügeln Richtung Sandrossee. Ransor war sich sicher, dass nur die Xin, die alten Freunde der Gromlums, ihnen helfen und Schutz bieten konnten. Undar und ein paar andere Familienoberhäupter schauten dem Tross nach und schüttelten die Köpfe.
»Schwachsinn«, brummelte Undar und machte sich weiter an die Vorbereitungen zum großen Rennen.
5. Rialc Nigyr IV
König Nigyr von Rialc saß in seinem Beratungszimmer. Ein einfacher Raum im Hauptturm seiner Burg. Ausgestattet mit einem runden Tisch, an dem seine Berater saßen und als heutiger Gast der Bote aus Reyen Lak.
Nigyr hatte die Sechzig schon lange überschritten, war aber immer noch schlank und drahtig. Sein graues Haar war kurz geschnitten und das Gesicht glatt rasiert. Er hatte in den letzten Wochen nicht viel geschlafen, deswegen lagen dunkle Schatten unter seinen stahlblauen Augen. Trotzdem strotzte er vor Kraft und Tatendrang und schaute wach in die Runde.
Anwesend war sein Unterhändler Eiden Serny. Ein schlauer Fuchs, der vor zwanzig Jahren seine Dienste anbot und seitdem gute Arbeit leistete. Er sah sogar ein wenig aus wie ein Fuchs, mit seinem spitzen Gesicht und seinen struppigen roten Haaren. Ein Berg Papier lag vor ihm, in dem er nervös herum kramte.
»Wie immer«, schmunzelte Nigyr.
Neben Eiden saß Mariala von Mirok, seine Heerführerin. Wenn sie ihren Helm auf hatte, glaubte man nicht, dass eine Frau unter der Rüstung, die sie eigentlich immer trug, steckte. Vor zehn Jahren war sie als Geisel des Königshauses von Mirok gekommen und nachdem Eiden den Frieden mit Mirok ausgehandelt hatte, blieb sie und diente sich hoch bis zur Heerführerin der rialcischen Armee.
Wäre sie ein Mann gewesen, würde man sie als Riese bezeichnen. Als Frau war sie ein Phänomen. Sieben Fuß groß, bestimmt dreihundert Pfund schwer, bestand sie wirklich nur aus schweren Knochen und Muskeln. Das einzig weibliche waren ihre gigantischen Brüste, die sie wie zwei Melonen unter ihrem Kinn vor sich herschob. Ihr langes blondes Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die sie um den Kopf gewunden hatte. Leider betonte diese Frisur ihr nicht gerade schönes Gesicht. Pfannkuchenrund, mit einer doppelt gebrochenen Nase, weit auseinanderstehenden Schweinsaugen und wulstigen dauernd spröden Lippen; war sie nicht gerade eine Schönheit. Aber sie sollte ja auch nicht hübsch sein, sondern Schlachten gewinnen, und das tat sie. Zur See wie auf dem Land.
Als Satnaton vor acht Jahren