John K. Rickert. Gabriele Steininger
vorziehen zu sehen, während die wahren Verbrechen vor der Tür stattfanden.
"Ich tippe mal auf die Haushälterin."
"Wieso die Haushälterin?" Johns Interpretation des Mörders verwirrte ihn noch mehr. "Welches Motiv sollte die denn gehabt haben?"
"Hm, wie wäre es mit verschmähter Liebe?"
Der Detektiv wischte sich die klebrigen Finger an seiner Serviette ab und trug das Geschirr in die Küche.
Absurd. dachte Bernard, während er seinen Mitbewohner in der Küche klappern hörte. Er schüttelte den Kopf und widmete sich erneut seinem Kaffee und dem Buch.
John verbrachte den Sonntag mit "Süßem Nichtstun", was für ihn die Hölle bedeutete. Das hieß, er wetzte mit einer furchtbaren inneren Unruhe von einem Zimmer in das nächste. Dort warf er einen Blick aus dem Fenster, der ihn nicht zufriedener werden ließ und tigerte dann in den nächsten Raum. Hatte sich Johns Wanderung durch die Wohnung nach dem Lunch noch in Grenzen gehalten, wurde sie am Nachmittag für seinen Freund unerträglich. Bernard wurde dadurch so in seiner Konzentration auf sein Buch gestört, dass er es entnervt zuklappte. Er legte es neben dem bequemen Ohrensessel auf den kleinen Beistelltisch. Nach einer beobachtenden Minute stand er auf und begann John durch die Räume zu folgen. In der Küche kam die Odyssee zum Stillstand.
"John! Was ist heute los mit dir?", fragte ihn Bernard.
"Wie? Was soll denn los sein?" Überrascht sah er seinen Freund an. Ihm selbst war sein Verhalten nicht sonderlich aufgefallen.
"Ich folgte dir jetzt schon von der Bibliothek ins Wohnzimmer, von dort aus ins Bad, ins Schlafzimmer bis hierher in die Küche. In jedem Raum siehst du aus dem Fenster, um ihn kopfschüttelnd wieder zu verlassen. Du bist wie ein umtriebiger Geist, der verflucht ist auf der Erde zu wandeln, bis er den Schlüssel zu seiner Erlösung gefunden hat. Beinahe hört man schon die Ketten rasseln." Dabei wurde Bernard selbst ein Gespenst, verdrehte die Augen und wiegte die Hände in der Luft.
"Entschuldige. Es tut mir leid, wenn ich dich dadurch gestört habe. Heute ist irgendwie ein seltsamer Tag. Ich weiß nicht warum, aber ich warte die ganze Zeit darauf, dass etwas passiert."
Bernard hatte einen Einfall.
"Was hältst du von einer guten Tasse Tee? Es ist noch nicht fünf Uhr, angesichts dieser Umstände würde ich es aber vorziehen, wenn wir es heute vorverlegen."
Tee. Warum war er nicht darauf gekommen? Es gab nichts Besseres, als eine gute Tasse Tee und ein oder zwei Sandwichs um sich wieder besser zu fühlen.
"Tee ist eine sehr gute Idee."
Bernard setzte den Kessel auf die Herdplatte, während John die Tassen aus der Vitrine holte und den Kühlschrank öffnete.
"Kann es sein, dass dich dieser Mac Fleed Fall nicht zur Ruhe kommen lässt? Ich meine, mein Kriminalroman wird es nicht sein", vermutete er. John lachte. Der Roman war es mit Sicherheit nicht, der ihn durch die Räume wandern ließ.
"Ich denke, es ist der Umstand nichts zu tun zu haben. Ich finde es schrecklich, tatenlos herumsitzen zu müssen, wenn ich keine Aufgabe habe die mich fordert."
"Ich dachte, du hättest einen Auftrag? Von dieser Frau, wie hieß sie doch noch gleich?"
"Anne Dickens?"
"Ja, diese Brünette, mit dem ausgeprägtem Oberkörper?" Grinsend machte Bernard eine ausladende Bewegung vor seinem Brustkorb.
"Du meinst wohl die, mit den Monstertitten?", lachte John.
"Ich wollte mich nur gewählt ausdrücken." Er zwinkerte seinem Freund zu und brühte den Tee auf. Bernard kannte die Vorlieben von John, was die Frauenwelt betraf.
Der Duft von Pfefferminze stieg in die Luft und erfüllte den Raum.
"Der Fall ist nicht wirklich eine Herausforderung", klärte John ihn auf, während er Sahne und Zucker auf das Tablett stellte. "Ihr Mann hat sie wegen einer jüngeren Dame verlassen und jetzt will sie über A L L E S Bescheid wissen. Ehrlich gesagt ist mir das zuwider. Ich bin Detektiv und kein x-beliebiger Hinterhofschnüffler. Hätte ich einen lukrativeren Auftrag, würde ich ihr die Akte in die Hand drücken. Sie kann sich damit ein Fotoalbum basteln. Dann hat sie länger Spaß daran."
Patrick Doyle stand im Regen vor der Kanzlei. Das Wasser lief ihm oben in den Kragen hinein und kam am Hosenaufschlag wieder heraus. Er fühlte sich, wie ein Schiffbrüchiger sich fühlen musste, der gerade aus dem Meer kroch. Seine Hand drückte leicht gegen die schwere Eingangstür, die mit einem leisen Klicken erstaunlich leicht nachgab. Er brauchte dringend einen Anwalt, denn man würde versuchen ihn zu betrügen.
Das Vorzimmer war nett eingerichtet. Heller, als man es von außen vermuten konnte. Der Raum strahlte mit seinen cremefarbenen Tönen, die überall zu finden waren. Luftig leichter Voile an den Fenstern, nahm der schwarzen, geradlinigen Sitzgelegenheit die Strenge.
Alles vermittelte ein Gefühl der Leichtigkeit und willkommen zu sein. Über die Ordner, die auf dem Tresen aufgereiht waren wie Zinnsoldaten, ragte ein blonder Schopf. Lucy hob ihren Kopf, als er vor ihr stand.
"Guten Morgen, wie kann ich Ihnen helfen?", fragte sie mit einer Stimme, die Eisberge zum Schmelzen gebracht hätte. Patrick war im Moment nicht dafür empfänglich.
"Ich bin Patrick Doyle. Ich brauche einen Anwalt." Seine Stimme klang hart.
"Mister Doyle, haben Sie einen Termin?" Ihre stahlblauen Augen sahen ihn fragend an. Sie lächelte immer noch freundlich.
"Nein. Ich habe keinen Termin. Aber es ist dringend."
"Dann sollten wir einen Termin machen", stellte Lucy fest und klickte mit der Maus auf dem Pad ein paar Mal hin und her.
"Hören Sie, Fräulein. Ich habe keine Zeit einen Termin zu machen." Er wurde ungeduldig. Es war die fünfte Kanzlei, die er heute aufsuchte.
"Es ist wirklich dringend und ich brauche jetzt einen Anwalt. Sofort. Nicht morgen, nicht übermorgen und auch nicht in einer Woche." Die Empfangsdame ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, klickte noch einmal, tippte auf der Tastatur in den PC ein und hob, immer noch lächelnd, den Kopf.
"Mister Doyle, würde es ihnen in einer viertel Stunde passen?"
Erstaunt sah er sie an. Patrick hatte mit Vielem gerechnet. Seit Stunden war er im Regen unterwegs und wurde überall abgewiesen. Wenn man einen Rechtsverdreher brauchte, waren Termine in Dublin nur in einem Acht Wochen Turnus möglich. Und jetzt, hier, sollte er innerhalb einer viertel Stunde einen bekommen. Erstaunen und Freude, doch noch Erfolg zu haben, mischten sich in seine Antwort.
"Ja. Ich nehme den Termin."
"Möchten Sie eine Tasse Kaffee, solange Sie warten?", erkundigte sich Lucy. Der Mann tat ihr leid. Er sah furchtbar aus, in seinen durch und durch nassen Klamotten.
"Ja gerne, Miss, wie heißen Sie eigentlich?" Patrick klang jetzt freundlicher. Lucy zeigte mit dem Finger auf das kleine Schildchen, welches zwischen den Ordnern kaum zu sehen war.
"Gut. Lucy White. Ich würde mich über eine Tasse heißen Kaffee von Ihnen wirklich freuen, während ich warte." Patrick lächelte. Es war das erste Mal seit Tagen.
Die junge Frau verschwand hinter einer Tür, um kurz darauf mit einer dampfenden Tasse Kaffee und einem Teller mit Keksen wieder aufzutauchen. Patrick ließ die heiße Flüssigkeit seine Kehle hinunterlaufen und schob sich einen der Cookies in den Mund. Gleichmäßig klackerte die Tastatur von Lucy, die sich wieder ihrer Arbeit zuwandte. Es hatte eine beruhigende Wirkung. Hier zu sitzen, in der trockenen Wärme, Kaffee zu trinken und Kekse zu essen. Langsam entspannte er sich und wurde ruhiger. Es roch angenehm nach Leder und Papier. Kurz schloss er die Augen und legte seinen Kopf in den Nacken.
Die Tasse war leer, als er Stimmen und leise Schritte auf dem Teppich vernahm. Eine Tür wurde geschlossen und ein Mann im Anzug kam mit einer Frau den Flur entlang. Sie trug ein blaues Kostüm, eine strenge Frisur und sah erstaunlich adrett aus. An der Theke angekommen, verabschiedete sich Bernard Burgauer