Hörig. Alina Schumann
In den folgenden Monaten kam Sascha immer wieder auf diese Story zurück. Er baute sie weiter aus. In seinen Gedankenspielen hatten längst andere Männer die Rollen der beiden Araber übernommen. Christiane hielt diese Fantasien für eine Spinnerei. Für ein erlaubtes Mittel, mit dem Sascha auf Touren kam.
Eines Nachts aber landeten sie dann betrunken mit einem anderen Mann im gemeinsamen Bett.
„Ich fand den Typen nicht sehr aufregend“, erzählt Christiane. “Sascha hatte ihn mir ausgesucht. Um ihn nicht zu enttäuschen.
machte ich mit.“
Doch sehr bald hatte sich auch dieser Reiz für Sascha abgenutzt. Christiane musste in Diskotheken und Bars Mädchen ansprechen. Mädchen, die er aufregend fand. Die anschließenden Liebesspiele überstand Christiane nur mit sehr viel Alkohol.
„Ich habe sehr gelitten“, sagte sie. „Aber ich wollte, dass er sich amüsiert.“
Als den Freund auch diese Variante langweilte, dachte er sich einen neuen Kick aus.
„Stell dich auf die Straße“, forderte er. „ich will sehen, wer dich begehrt!“
Christiane lehnte weinend ab. Daraufhin verschwand Sascha mit einem Mädchen. Als er nach zwei Wochen zurückkam, war sie zu allem bereit.
„Den ersten Mann, mit dem ich es für Geld tat, konnte ich gar nicht anschauen. So sehr habe ich mich geschämt.“
Wenn Christiane auf Freierfang war, lauerte Sascha im Hintergrund. Er teilte Noten aus, für besonders gute Anmache. Beschimpfte sie, wenn sie sich seiner Meinung nach zu prüde verhielt.
Längst war aus dem spielerischen Reiz ein grausames Spiel geworden. Wollte Christiane aussteigen, drohte der Geliebte sie zu verlassen. Ihre Freier ängstigten sie bald weniger als Sascha.
Als sie sich dann völlig verzweifelt einem ihrer Kunden anvertraute, und dieser ihr helfen wollte, sich aus der Beziehung zu lösen
schlug der Geliebte beide krankenhausreif.
Gefügig durch Drogen
Hörigkeit wurde auch plötzlich zum Begriff für die Mutter einer 23jährigen, die mir fünfzig eng beschriebene Seiten schickte, auf denen sie das Schicksal ihrer Tochter schilderte.
Es war eine Geschichte wie aus einem schlechten Roman:
Das Mädchen, mit 17 Jahren mit Drogen gefügig gemacht, nahm Kredite für ihren Lover auf, brachte ihre Familie an den Rand des finanziellen Ruins und sich selbst ins gesellschaftliche Aus. Abhängig
von einem Mann , von dem ihre Mutter glaubte , dass er nicht nur sie, sondern auch andere Mädchen auf den Strich schickte, wagte sie kaum mehr Kontakt zur Außenwelt.
Die Bitte ihrer Mutter, sich mit mir zum Interview zu treffen , lehnte sie ab. Sie habe zum Thema Hörigkeit nichts zu sagen , ließ sie mir ausrichten.
„Sie darf nicht“, weinte ihre Mutter am Telefon, abermals um eine Hoffnung ärmer, ihre Tochter aus dieser fatalen Beziehung zu befreien.
Hörigkeit, die Sucht, sich abhängig zu machen, sich zu erniedrigen, auf Traumbilder fixiert zu sein, das Ego aufzugeben, ist eine der schlimmsten Formen der Einsamkeit. So schreibt Dr. Karin Gundel, Universität Göttingen, in der Zeitschrift ‚Psychologie heute’:
Zu Beginn einer Hörigkeitsbeziehung machen viele Opfer den Fehler, alle Rollen mit dem Partner zu besetzen. So verliert er/sie jedes kritische Korrektiv und ist totaler Willkür ausgesetzt. Nie begegnen wir in diesem grausamen Spiel zwei Menschen, die partnerschaftlich teilen und genießen. Immer gibt es Opfer und Täter. Faszinierende und Faszinierte. Hörige und Hörigmachende. Gemeinsam ist ihnen nur, dass sie Träger seltener Bedürfnisse sind. Einmal zusammen, können sie sehr schlecht wieder auseinander.“
„Hörige“, meint auch die Münchner Psychologin Brigitte Lämmle,“ sind Klischeeliebende. Die Liebe ist ihnen Thema Nr. 1 und nicht der Partner.“
Und:
„Sie haben immer die Hoffnung: es wird sich alles ändern. Ich muss nur lange genug ausharren.“
Das Ungeheuerliche wird normal
Um dieses Buch schreiben zu können, habe ich mit vielen Menschen gesprochen. Was sie mir sagten, machte mich neugierig, entsetzt, mit leidend und ungläubig. Ich habe von Männern und Frauen gehört, wie sich dieser Wahnsinn langsam in ihr Leben eingeschlichen hat, wie scheinbar alltägliche Beziehungen sich ohne große Warnsignale veränderten. Wie die Opfer, zuerst noch ganz spielerisch, gezwungen werden, den Tätern ihre Liebe zu versichern, und wie diese immer mehr dazu übergingen, sich schließlich jeder ‚Bestrafung’ auszuliefern.
Ich erfuhr, wie diese Behandlungen kulminierten, die Spiele sich zuspitzten, so sehr, dass Ergebenheit eingeschliffen wurde, und wie dann, quasi im Endstadium, Außergewöhnliches entweder im sexuellen oder im kriminellen Bereichen verlangt wird.
Ich hörte, dass die Opfer, wenn sie noch vor der totalen Selbstaufgabe zögern, der Feigheit, Selbstsucht und der mangelnden Liebe bezichtigt werden.
Ich habe in Gesprächen mit Psychiatern und Psychologen versucht, dem Phänomen der Hörigkeit auf die Spur zu kommen. Es endgültig zu definieren, scheint völlig unmöglich. Ganz klar wurde jedoch, dass sich niemand ohne ärztliche Hilfe, ohne eine Therapie, aus diesem Teufelskreis lösen kann. Und dass auch Varianten dieser Abhängigkeit existieren, die nichts mit Sexualität zu tun haben.
Es scheint keine Richtung des menschlichen Interesses zu geben, die nicht zur Sucht entarten kann, wie Dr. Dr. H. Giese in ‚Mensch, Geschlecht, Gesellschaft’ schreibt:
„Habsucht, Geltungssucht, Liebessucht, bezeichnen jeweils die überspitzte Betreibung eines an sich der menschlichen Natur regelmäßig zugehörenden Haben, Gelten, Lieben!2
Aber gleichgültig, was die jeweiligen Gründe einer solchen Sucht waren, alle meine Gesprächspartner standen unter einem enormen Druck. Sie mussten ihre Gefühle und Sehnsüchte vor der Umwelt verbergen, hatten Suizidgedanken oder einen Selbstmordversuch hinter sich.
Einige von ihnen waren kriminell geworden für einen Menschen, der vorgegeben hatte, sie zu lieben. Hatten, wie Frank S.( 29) aus der Haft schrieb, unmäßig getrunken, einen Raubüberfall verübt, waren nach einer milden Verurteilung rückfällig geworden und erneut im Gefängnis gelandet.
„Die Frau, die mich hierhergebracht hat, hat mir kein einziges Mal geschrieben. Sie lehnt jeden Kontakt mit mir ab. Seit einigen Monaten kommen meine Briefe ungeöffnet zurück.“
Frank S. dessen Freunde und Familie sich von ihm losgesagt haben, ist verbittert und einsam. So einsam wie der 65jährige Karl-Heinz K.,der eine besonders ungewöhnliche Abhängigkeit erleidet. Nach 25jähriger, langweiliger ehe voller sexueller Frustrationen begann er einen Briefwechsel mit einer Domina ,die einen willigen Schüler suchte.
Woche für Woche übermittelt ihm seine Herrin erotische Wunsch- und Wahnvorstellungen per Post. Seine Bitten um ein persönliches Treffen blieben unerhört.
Die Briefe, die mir Karl-Heinz K. in die Hotelhalle, in der wir uns treffen, mitbringt, sind voller Abartigkeiten und Perversionen, die die bisher so simple Fantasie des alten Mannes bis zur Weißglut aufheizen. Demütig wartet er auf ihre Anweisungen. Kann nicht leben und nicht sterben. Verzehrt sich in einer Leidenschaft, an deren Erfüllung er nur mit Schaudern denken mag.
Längst hat er der ‚grausamen Herrin’ sein Leben überantwortet. Hat geschworen, alles zu tun, was sie von ihm fordert. Aber noch immer, nach diesen vielen Monaten der Korrespondenz, hat sie diesem völlig verwirrten Mann nicht gestattet, zu ihr zu kommen.
Auf meine Frage, ob er es denn nicht für möglich halte, dass diese Frau nur ihr eigenes lustvolles Spiel mit ihm treibe, steigen ihm die Tränen in die Augen.
„Wieso“, stammelt er . “Ich habe doch alles getan, was sie von mir erwartet!“
Manchmal bei diesen Gesprächen in Wohnungen, Hotels und Restaurants, angesichts