Hörig. Alina Schumann
bin!“
Monate waren vergangen, als ich ihn auf meinem Anrufbeantworter finde.
Er wolle mir nur sagen, dass seine Ehe schon nach zwei Monaten gescheitert ist. Seine Mutter hätte sich mit der jungen Frau nicht verstanden. Sie sei spießig und bigott, habe sie moniert. Aber jetzt sei auch die Mutter an Krebs verstorben.
„Jetzt habe ich niemanden mehr der mich versteht und nicht verurteilt.“
Als ich seine Geschichte schreibe wird mir bewusst, welch gefährliche Spiel seine Mutter mit dem Knaben getrieben hatte. Wie sie ihn quasi konditioniert hat
Auf Erniedrigung und Schrecken.
Die frühe Lust, die er bei den sadomasochistischen Spielen mit seiner Mutter erlebte und wieder verdrängt hatte, kehrte zurück als er Sophie kennen lernte. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm bewusst ist, dass dieses Sehnen seinen Ursprung in seiner frühen Jugend hat. Und, dass auch die geplante Heirat mit der prüden jungen Frau ebenfalls eine Wiederholung des demütigenden Verweigerungsspiels seiner älteren Geliebten Sophie ist. Nur einmal im Monat darf er mit ihr aus religiösen Gründen verkehren. Wieder stellt er seine eigenen Bedürfnisse zurück.
Die Muster gleichen sich.
Peter A. hat Angst vor dem Verlust worum er, das uneheliche Kind aus der Sozialsiedlung hat hart kämpfen müssen: um den scheinheiligen Mantel der Wohlanständigkeit. Deshalb wird er auch das Mädchen, das er weder liebt noch begehrt, heiraten.
„Sie gibt mir den richtigen Rahmen, den ich brauche, um nicht entdeckt zu werden, sagt er.
Im Schutz dieser Ehe kann er sich eine neue Domina suchen.
Als ich Peter A. beim Abschied gefragt habe, ob es nicht weniger quälend wäre, seine Obsession zu leben, statt sich den Zwängen einer unbefriedigenden Ehe unterzuordnen, antwortet er:
„Dieses Unglück kann ich wenigstens noch einigermaßen in den Griff bekommen!“
Kapitel 2
Die Faszination der Gosse.
„Wenn du mich liebst, dann tust du es!“
Seine Stimme hatte diesen kalten, metallischen Klang. Sie klingt immer so, bevor er bösartig wird. Christiane hat Angst davor. Nicht, dass er sie schlagen würde. Er beschimpft sie. Mit Worten, die Christiane mehr verletzen als Schläge.
Zwei Stunden später ist sie auf der Reeperbahn. Davidstrasse. Zweihundertfünfzig Meter hoch, zweihundertfünfzig Meter runter. Es regnet leicht. Christianes Stilettos klacken auf dem Pflaster. Der enge Rock ist schenkelkurz. Drei Mädchen, die an der Hauswand lehnen, schielen mit bösen Blicken zu ihr hin.
„Wenn sie mich vertreiben würden“ denkt Christiane“, wäre dieser Spuk vorbei!“
Als das erste Auto am Bordstein hält, läuft eines der Mädchen hin. Der Fahrer schüttelt den Kopf. Er deutet auf Christiane. Sie sieht es aus den Augenwinkeln. Möchte weglaufen.
„Der will dich“, zischt das Mädchen, als es auf seinen Standplatz zurückgeht. „Haste überhaupt ’n Bockschein?“
Christiane geht zu dem dunkelblauen BMW. Sie beugt sich hinunter.
„Wie viel?“ fragt der Fahrer.
Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Spürt wie ihr die Tränen den Hals zuschnüren, die Handflächen feucht werden.
„Jetzt“, denkt sie,“ jetzt kann ich noch weglaufen.“
Aber irgendwo auf der anderen Straßenseite steht Kevin. Er will, dass sie es tut. Sie darf nicht kneifen.
„Dreihundert“, sagt sie.
Der Fahrer pfeift durch die Zähne.
„Du spinnst wohl, du dumme Kuh“, sagt er und gibt Gas.
Christiane wagt nicht, zu Kevin hinüber zu schauen. Beim dritten Freier klappt es.
„Hundert im Auto“, sagt der Fahrer knapp. Er öffnet die Beifahrertür. Sie steigt ein. Nach zehn Minuten Fahrt hält er neben einer Großbaustelle.
„Nun mach schon“, knurrt er, als Christiane zögert.“ Zum Quatschen hab ich keine Zeit!“
Als Christiane vier Stunden später die Wohnung in Hamburg-Eppendorf aufsperrt, hat sie vier Freier bedient. Zwei im Auto und zwei in der Pension am Hans-Albers-Platz. Sie ist total fertig. Ihre Glieder schmerzen. Die Füße brennen. Sie sehnt sich nach einem heißen Bad und dann nur noch schlafen.
„Alles vergessen wie einen bösen Traum“, denkt sie.
Da hört sie die Stimme von Kevin.
„Scheint dir ja Spaß gemacht zu haben!“ sagt er. Diesmal wirkt er zufrieden.
Bevor Christiane in die Badewanne steigt, nimmt sie das Geld aus der Handtasche. Vierhundert Euro hat sie verdient. Sie geht in die Küche, öffnet den Abfalleimer und zerreißt die Scheine.
Kevin lehnt im Türrahmen und lacht. Am liebsten würde sie ihm ins Gesicht schlagen. Aber sie hat Angst vor ihm.
Aus Scham verkriecht sich Christiane in der Wohnung. Sie ekelt sich vor ihrem Spiegelbild. Sie wäscht sich vier- fünfmal täglich. Schrubbt ihre Haut, bis diese blutig ist. Nachts, wacht sie schweißgebadet auf. Sieht Gesichter, hört keuchenden Atem, spürt rohe Umarmungen.
„Warum hast du mich dazu gezwungen?“ fragt sie Kevin immer wieder. „Warum?“
„Es war doch nur ein Spiel“, antwortet er. „Nichts weiter als ein Liebesbeweis. Es kann doch nicht so schlimm gewesen sein!“
Christiane bekommt hohes Fieber. Sie phantasiert. Wenn Kevin sie in den Arm nehmen will, wehrt sie ihn schreiend ab. Apathisch liegt sie im Bett. Sie isst nicht. Schläft kaum. Ihr Kopf ist schwer und dumpf.
Fliehen ist auch keine Lösung
Es gibt darin nur einen Gedanken:
„Ich muss weg hier!“
Aber sie kann nicht. Sie ist zu schwach, zu müde, zu traurig. Sie weiß nicht, wie lange sie so gelegen hat. Eine Woche? Vielleicht sogar zwei. Als Kevin geschäftlich für ein paar Tage verreist, ruft sie eine Freundin an.
„Hol mich ab!“ bittet sie weinend. Ohne viel zu fragen nimmt diese Freundin sie auf.
Ich treffe Christiane zum ersten Mal in einem Café in der Hamburger Innenstadt. Ein gemeinsamer Freund hatte mir von ihr erzählt. Als ich sie anrief und fragte, ob sie mir im Rahmen meiner Recherche . Sie war ängstlich und misstrauisch. Schließlich verabredeten wir ein erstes Treffen.
„Ich muss Sie kennenlernen“, sagte sie. „Erst dann kann ich entscheiden, ob ich mit Ihnen reden möchte!“
Christiane R. (26) ist ein schönes Mädchen. Groß, schlank, mit schulterlangen, blonden Haaren, großen blauen Augen und einem schmalen Gesicht. Sie ist sehr edel und teuer gekleidet. Der Typ junge, selbstständige Frau, den man in den feinen Clubs der Hansestadt häufig trifft.
Christiane ist nervös. Ihre Hände sind dauernd in Bewegung. Sie schiebt die Teetasse wie eine Schachfigur auf dem Marmortischchen herum. Um sie zu entkrampfen, erzähle ich von meinen anderen Gesprächspartnern. Von den Schwierigkeiten, die fast alle hatten, sich einer Fremden anzuvertrauen. Sie hört wortlos zu. Manchmal schaut sie mich prüfend an. Nach geraumer Zeit sagt sie:
„Okay. Ich glaube ich kann Ihnen trauen!“
Sie lächelt nicht, macht nicht einmal den Versuch einer freundlichen Geste. Christiane steht auf und schiebt mir einen Zettel zu.
„Das ist die Adresse meiner Freundin. Können Sie morgen Abend kommen?“
Christiane ist das mittlere Kind einer Beamtenfamilie. Mittlere Kinder sind schwierig. Sie glauben sich benachteiligt, weniger geliebt und weniger beachtet als das ältere oder jüngere Geschwister. So auch Christiane.
„Ich musste mich immer besonders