Nesthäkchen und ihre Küken. Else Ury
dafür, wenn Mutti eben mit Hochgefühl ihr tadelloses Kunstwerk betrachtete, sich mit einem Satz mitten hinein zu werfen, in die weiße, schöngeglättete Fläche: »Bautz – da lieg iß!« Daß Klein-Ursel sofort hinterher sprang, war selbstverständlich. So war das Bettenmachen täglich eine Quelle von Kinderjauchzen und Kindertränen. Denn sanft pflegte Annemarie die Übermütigen nicht gerade herauszubefördern. Und das konnte ihr auch keiner verdenken.
Beim Abseifen des Waschtisches kam es ebenfalls zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Frau Annemarie und ihren Sprösslingen. Natürlich wollten alle drei helfen. Das Panschen war die Hauptsache dabei. Ursel war durchaus nicht wählerisch. Der Mundspüleimer schien ihr am verlockendsten, um sich Gesicht und Händchen darin zu baden.
»Ursel – du kleines Ferkel!« – – – Entsetzt riß Annemarie ihr Nesthäkchen von dem unappetitlichen Bad.
»Perkel!« Klein-Ursel strahlte, daß es ein neues Wort gelernt hatte, und Annemarie – biß sich auf die Lippen.
Hansi setzte sich inzwischen das wichtigste Utensil der Kinderstube, das Mutter soeben ausgeseift, auf den blonden Krauskopf und sang dazu: »Mein Hut, der hat dei Ecken!« was geometrisch nicht stimmte. Annemarie wurde erst aufmerksam, als ihr Nesthäkchen bewundernd in die Händchen klatschte: »Pöpfchen – Hansi Pöpfchen.« Süß sah das Kerlchen aus, wie der Hermeskopf, den sie mal in der Schule gezeichnet. Und was tat Frau Annemarie, die würdige Mutter von drei Kindern? Sie stellte sich hin und lachte – lachte – – –, daß sie sich die Seiten halten mußte, daß ihr Tränen die Wangen entlangliefen, während das Trio jubelnd einfiel. Dann aber besann sich Annemarie ihrer mütterlichen Erziehungspflicht. Ehe Hansi es sich versah, ward er seiner eigenartigen Kopfbedeckung entkleidet, und er selbst befand sich zu seiner größten Verwunderung nicht mehr im Schlafzimmer, sondern vor der geschlossenen Tür desselben, in Gemeinschaft mit Klein-Ursel. Was konnten die beiden da draußen besseres tun, als die Tür, die durchaus nicht wieder aufgehen wollte, mit Fäusten und Füßchen zu bearbeiten?
»Vronli, geh raus zu den Kleinen, spielt zusammen im Garten«, wandte sich Annemarie an ihre Große.
»Och – immer soll ich bei den dämlichen Jören bleiben, und ich helfe dir doch so schön, Mutterli.« Vronlis Hilfe bestand darin, daß sie mit dem Handtuch den Fußboden aufwischte.
»Ja, dann wird wohl heute nichts mehr aus dem Kuchenbacken werden!« Das klang wirklich erschreckend ernsthaft.
»Rufste uns auch bestimmt, Mutti? Fängste auch nimmer ohne uns an?« Vronli vereinigte den Berliner Dialekt der Mutter mit dem süddeutschen ihres Vaters zu einem drolligen Gemisch. Sie ließ ihre nützliche Tätigkeit im Stich und trollte sich mit den kleinen Geschwistern in den Garten, wo sie sich damit vergnügten, die Hühner zu jagen.
Annemarie atmete auf. Die Arbeit ging jetzt ohne Hindernisse glatt von der Hand. Eigentlich war sie versucht, die Sandtorte und den Napfkuchen einzurühren, ehe ihre kleinen Ruhestörer ihr wieder auf die Bude rückten. Aber »ein Mann ein Wort« sagte bereits Hansi. Sie durfte die Kinder nicht enttäuschen, ohne ihr Vertrauen einzubüßen.
Nachdem noch das sechzehnjährige Dienstmädchen, das auf den stolzen Namen Flora hörte – das war aber auch wirklich das einzige, was sie mit der Blumengöttin gemeinsam hatte, denn sie schielte wie ein Bock –, nachdem Flora mit einem gehörigen Rüffel dabei ertappt worden war, statt den Parkettboden aufzubohnern, vor dem Spiegel eine neue Haarfrisur auszuprobieren, konnte »der Guss beginnen«.
Als Annemarie die Küche betrat, wurde sie von einem dreifachen Chor: »Wir sind schon da!« freudigst begrüßt. Hansi und Ursel thronten beängstigend brav auf dem Kohlenkasten, ihrem Lieblingssitz, während Vronli das schon bereitgelegte Nudelholz vorläufig mal als Wäschemangel benutzte und sämtliche Küchenhandtücher auf dem Fußboden damit bearbeitete.
»So, Kinder, jetzt dürft ihr mich gar nicht stören, jetzt muß ich meine Gedanken beisammen haben.« Annemarie machte ein wichtiges Gesicht und tat die Ärmelschürze, die einst in Mädchenjähren so geschmähte, vor.
»Niß tören« – die Kinder waren von der Heiligkeit des Augenblicks durchaus durchdrungen. Klein-Ursel legte sogar das Fingerchen aus den Mund.
»Also Eier, Butter – – –« begann Annemarie vor sich her zu beten.
»Eier, Butter, Tee – das hab' iß niß, das hab' iß niß – adßeh – adßeh – adßeh – – –« fiel Hansi aus der Rolle und in Muttis Überlegungen ein.
»Adßeh – adßeh – ßeiden tut feh.« – – – Nesthäkchen Ursel zeigte jetzt auch ihre Künste.
»Kinder, wenn ihr nicht mäuschenstill seid, werdet ihr an die Luft gesetzt«, lachte die Mutter, noch einmal ihr Kuchenrezept wiederholend. »Eier, Butter, Zucker, Mehl, Zitrone, was kommt denn noch in die Sandtorte hinein?«
»Sand«, half Hansi ein.
»Freilich,« Annemarie amüsierte sich köstlich, »der kommt zuletzt.«
»Is nu fätig, tönnen wir nu ausletten?« Viel Sitzfleisch hatte der wilde Hansi nicht. Das Auslecken der Schüssel war doch die Hauptsache.
»Noch lange nicht. Jetzt wird erst eine ganze Weile gerührt – – –«
»Nee – och nee, das iß sa sreckliß mopsis!«
»Szeklis hopsis!« Ursel war stets ein getreues Echo.
Annemarie kümmerte sich nicht weiter um die Kritik ihres Publikums, sondern mischte mit Eifer ihren Kuchenteig. Die Zuschauer fanden es geraten, auf eigene Faust für ihr Vergnügen zu sorgen.
Das fanden sie sehr bald. Vronli, indem sie die Rosinen, die für den Napfkuchen bestimmt waren, einer eingehenden Kostprobe unterwarf; Hansi auf der Fliegenjagd, die nun mal seine Leidenschaft war; und Klein-Ursel fand ein reiches Feld für naturwissenschaftliche Untersuchungen im Mülleimer.
Eine Weile ging alles gut. Bis Mutti auf den unglückseligen Gedanken kam, sich umzudrehen.
»Pfui Deibel, Ursel, du bist ja aber wirklich ein – – –« Annemarie hielt mitten im Satz inne. Denn schon klang es ihr »Pui Beibel!« vom Mülleimer entgegen. Weiter wollte Annemarie den Wortschatz ihres Nesthäkchens doch nicht bereichern.
»Vronli, sag mal der Flora, sie möchte flink rühren kommen, sonst kriegt die Sandtorte einen Wasserstreifen, wenn ich sie stehen lasse«, rief die Mutter, ihr Nesthäkchen, das mehr einem Mistbauer glich, säubernd.
»Flochen – Flochen – – –« – dieses war der Kosename, dessen sich sämtliche Hartensteinsche Kinder bedienten –, »du sollst flink rühren kommen.« »Flochen« kam aber nicht herbeigesprungen, sondern langsam und gemächlich, wie sie alles tat, herangeschlorrt. In demselben Tempo – andante moderato – begann sie auch die Keule in Bewegung zu setzen.
Der temperamentvollen, raschen Annemarie zuckte es in allen Fingern, sie ihr aus der Hand zu reißen. Aber als Ursel wieder einigermaßen menschlich war, als man Vronli die Rosinentüte empört entrissen, Hansi, der durchaus eine erbeutete Fliege als Rosine in den Kuchen tun wollte, unschädlich gemacht worden war, ging es »klinglingling«.
»Teleton – Omama«, sagte Klein-Ursel.
»Ich werde halt rangehen.« Vronli, die sich als Beschäftigungslose augenblicklich etwas überflüssig in der Küche vorkam, rannte zum Telefon. Annemarie hinterdrein.
»Nicht, Vronli, es kann ein Patient sein – laß mich heran.«
»Tar tein Pajent – is Omama«, stellte Hansi draußen in der Küche sachkundig die Diagnose.
Wirklich, es war die Omama – Frau Doktor Braun, die ihrem einstigen Nesthäkchen Annemarie täglich wenigstens durchs Telefon »Guten Morgen« sagte.
»Jawohl, Muttichen, wir sind alle munter. Die Gören fast zu sehr – die haben sich heute schon verschiedenes geleistet. Na, das erzähl ich dir morgen. Kommt nur nicht so spät. Vater soll sich mal ein bißchen eher freimachen. Was – Klaus ist in Berlin? Famos, grade zu unserm Hochzeitstag! Ihr bringt