Nesthäkchen und ihre Küken. Else Ury
»Sicher hat sie einen Wasserstreifen!« Annemarie konnte sich noch nicht von ihrem Schmerzenskind lösen.
»Die Sonne – hahahaha – – –.« Zu Rudolfs Lachen mischte sich Hansis Stimme:
»Den Wassersteifen hat Hansi demacht.« Stolz warf sich der filius in die Brust. Annemarie legte seinen Worten keine besondere Bedeutung bei.
Am Vormittag gab es tüchtig zu tun. Da mußte ein Heringssalat bereitet werden, bei dem Hansi und Ursel wieder werktätige Hilfe leisteten, indem sie durchaus die »niedichen Fissen« angeln wollten. Vronli wurde dabei ertappt, daß sie der kunstvollen Garnierung aus eingelegten Kirschen, Gurken und Ei zu einem etwas anderen Muster verhalf, was ihr eine mütterliche Ohrfeige sogar am Hochzeitslage eintrug. Flora schlorrte noch langsamer als gewöhnlich und schielte noch mehr als je in den Spiegel. Das Telefon bimmelte unausgesetzt, und zum Überfluss kam Rudi eine ganze Stunde später zum Essen, da er einen schweren Fall hatte. Da gehörte wirklich eine größere Lammesgeduld dazu als die, über welche Frau Annemarie verfügte, um dabei gleichmäßig freundlich zu bleiben. Hansi fällte denn auch, nachdem er verschiedentlich »geflogen« war, eine vernichtende Kritik über den 30. September: »Hoßeitstag is dar niß ßön!«
Aber schließlich war man doch mit allem fertig. Die Kleinen waren aus dem Wege geräumt und nach Tisch schlafen gelegt, trotz ihres energischen Protestes: »Dar niß miedi!« Rudi geruhte endlich zu erscheinen, und seine heitere Ruhe gab, wie so oft, seinem ziemlich aufgeregten »Weible« ihr Gleichmaß zurück. Vronli machte alle Schandtaten des Vormittags wieder gut und half ganz geschickt an der langen Tafel, die der Vater aus sämtlichen Tischen des Hauses zusammengesetzt hatte, Löffel und Servietten herumlegen. Der Dreißigste war so einsichtsvoll gewesen, diesmal auf den einen sprechstundenfreien Nachmittag, den Rudolf eingerichtet hatte, zu fallen. So konnte man die Kaffeetafel, ungestört von Patienten, auf dem Rasen unter der goldenen Linde herrichten. Ihr schönstes Gedeck hatte Frau Annemarie aus dem Wäscheschrank ausgewählt. Goldgelber Damast, mit Lindenblättern und Sonnenstrahlen an Glanz wetteifernd. Darauf die breiten, bauchigen Vasen mit lila abschattierten Astern. Wirklich, Doktor Hartenstein hatte recht, wenn er die an ihm vorüberjagende Annemarie plötzlich zu fassen bekam: »Herzle, so wie du versteht das kein anderer.«
»Alles bloß fürs Auge, Rudi. Mit den Genüssen des Gaumens sieht es mieserig aus. Die Schildkröte läßt sich kaum schneiden. Die Sandtorte scheint sich in Sandstein verwandelt zu haben. Meine ganze Hoffnung ist Hanne.«
»Schau, was hinter der Rotdornhecke drüben liegt, Herzle.« Rudi machte ein ganz verschmitztes Gesicht.
Schneller als Annemarie, war noch Vronli dort.
»Ein Paket, ein mächtig großes Paket – soll ich's aufmachen, Mutterli?« Ihr Zeigefinger bohrte bereits neugierig ein Loch in das Papier.
»Kuchen – Mutterli – lauter Kuchen!« jubelte sie los.
»Tuchen – Hansi auch Tuchen haben – – –.« Woher er plötzlich gekommen, wußte man nicht. Aber er war da, der kleine Kerl, barfuß, in Nachthosen, ging er mit der Energie des Mannes dem Kuchenpaket zu Leibe.
»Willst du wohl davon bleiben, Hansi – Schlingel, du sollst doch schlafen.«
»Slingel, dar niß ßafen«, erklärte Hansi und angelte vergeblich von der Schulter des Vaters, wo er seinen Stammplatz hatte, zu dem verlockenden Paket herunter.
»Rudi – du bist ein Verschwender! Das kostet doch heutzutage ein Vermögen. Dafür hätten die Kinder schon Strümpfe gehabt. Aber – es ist mir doch riesig angenehm, daß wir uns nicht bloß mit der alten Schildkröte madig machen.« Rudi bekam einen dankbaren Kuss, den Hansi, der Strick, vergeblich mit seinen Füßchen zu trennen versuchte.
»Ich will heut' mit hellen Augen von meiner Braut angeschaut werden, nimmer so wie heut' in der Früh«, neckte Rudolf.
»Mutti, der Pfannkuchen ist für mich, gelt, Mutterli?« bettelte Vronli mit begehrlichen Augen.
»Nein, Vronli. Kinder müssen abwarten, was übrig bleibt. Erst kommen unsere Gäste dran.«
»Och die!« machte Vronli gastfreundlich.
»Beibt dar niß übriß!« stellte ihr kleiner Bruder betrübt die Prognose.
Hellauf lachten die Eltern über den kleinen Skeptiker. Und Annemarie mußte daran denken, wie sie vor Jahren als kleines Nesthäkchen in Vronlis Alter Tante Albertinchen den Mohrenkopf nicht gegönnt hatte. Es wiederholte sich alles im Leben.
»Weil heute unser Hochzeitstag ist, gelt, Mutterli, du erlaubst?« Der gute Vater teilte bewußten Pfannkuchen zwischen seinen erwartungsvollen Sprösslingen. Dies trug ihm einen Marmeladekuss von Hansi, der es für ratsam hielt, erst hineinzubeißen und sich dann zu bedanken, und einen zuckerklebrigen Ärmel ein, an dem Vronli ihre Dankbarkeit ausließ.
»Kinder, nun ist es aber die höchste Zeit, daß wir uns in Gala werfen. Ich denke, mit der Halbfünfbahn werden sie kommen«, drängte Annemarie.
»Die Straßenbahn-Gesellschaft stellt einen Extrawagen für unsere Gäste.«
Annemarie hörte nicht mehr. Die hatte bereits Pfannkuchen, Blätterteig und Napoleonsschnitte, die ganze Herrlichkeit, auf Kuchenplatten geordnet und vorsorglich Seidenpapier darüber gebreitet, daß nicht etwa ein naschhafter Spatz sich daran wagte. Die jagte bereits zur Küche, um »Flochen« ein bißchen auf die Sprünge zu helfen und ihr nochmals einzuschärfen, ja keine Zichorien an den Bohnenkaffee zu nehmen, die beförderte mit einer Hand Hansi in seine weißen Leinenhöschen, mit der anderen knöpfte sie Vronli den rosa Hänger zu und versuchte dabei, ihr festschlafendes Nesthäkchen, das »dar niß miedi« gewesen war, wieder zum Leben zu erwecken.
Klein-Ursel wachte recht ungnädig auf. Nicht einmal die Aussicht auf Kuchen und Omama vermochte ihre Laune zu bessern. Sie stieß die »Wawa« fort, nuckelte schläfrig am Bettzipfel und knurrte ab und zu auf die zärtlichsten Koseworte der Mutter ein verärgertes »Till deseid!« Erst als Hansi im weißen Galakittel einherstolzierte und Vronli mit rosenroter Seidenschleife im Haar, erwachte die Evaseitelkeit in dem kleinen Dinz.
»Lein-Usche auch sein dematt färden, Lein-Usche danz ausdeslaft – – –.« Plötzlich war es wieder das liebenswürdigste Kind von der Welt.
So – alles fertig. Frau Annemarie atmete auf. Vronli war zur Ecke, wo die Elektrische ihre Endstation hatte, gezogen, die Gäste feierlich einzuholen. An den beiden Gartentürpfosten waren Hansi und Klein-Ursel als Schildwachen postiert. Flora schielte stolz auf eine alte weiße Batistbluse, mit der Annemarie sie herausgeputzt hatte. Und diese selbst sah mit ihren heißen, roten Backen, den erwartungsvoll glänzenden Augen, welche dieselbe Farbe zeigten wie das blaue Sommerkleid, das sie trug, so anmutig aus, daß Rudolf bewundernd meinte: »Weißt, Herzle, gefällst mir halt heut' noch besser als vor sieben Jahren!«
Annemarie, die gerade damit beschäftigt war, ein an Größenwahn leidendes Huhn, das sich als Erster an die Kaffeetafel setzen wollte, zurückzuscheuchen, lachte: »Auf das Kompliment kann ich nicht stolz sein, du ungalanter Mann.« Sie kam nicht weiter. Von der Gartentür trompetete es: »Sie tommen – sie tommen –«
Gleich darauf sah der alte Junggeselle drüben, der sich gerade über einen Zeitungsartikel ärgerte, zwei weiße kleine Punkte unter den Rufen: »Omama – Omama!« die stille, baumbestandene Straße entlangschießen.
Bautz – da lag eins. Hansi war über seine dicken Beinchen gestolpert, während Klein-Ursel mitleidslos weiter jagte, von zwei großmütterlichen Armen liebevoll emporgehoben wurde, ihr süßes Kindergesichtchen an die immer noch jugendliche Wange der weißhaarigen Dame preßte und in den zärtlichsten Tönen ausrief: »Piebe, lixte Omama!«
»Au weih, Urmütterchen, die Ursel hat eben verflixte Omama gesagt«, rief Vronli, der erklärte Liebling von Urmütterchen, an deren Arm sie sich sofort eingehängt, empört.
Allgemeines Gelächter antwortete auf Vronlis Anklage. Nur um so zärtlicher küsste die Omama das Kleinchen, das keine Ahnung von der Bedeutung des Wortes hatte.
»Sag'