Wolf Breed - Vincent (Band 1). Alexa Kim
anzuklopfen öffnete ich die Tür des Blockbohlenhauses, das der Besitzer des Feriencamps uns überlassen hatte, und trat den Schnee von meinen Schuhen. Es war in den letzten vier Jahren zu unserem zu Hause geworden. Ich achtete weder auf Monas spitze Schreie noch auf Olivers Knurren. Rücksichtsvoll waren Mona und Oliver noch nie gewesen – nicht mir oder Fiona gegenüber und schon gar nicht gegenüber unserem jüngeren Bruder Marcel, der in der Rangordnung des Rudels ganz unten stand.
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Mona mit dem Oberkörper über den Esstisch gebeugt war, ihre Jeans bis zu den Knöcheln heruntergezogen, während Oliver hinter ihr stand und sie fickte, als hätte er seit Wochen keine Frau mehr gehabt. Monas mit Tribalmotiven tätowierte Arme lagen ausgestreckt auf der Tischplatte, während Oliver eine Hand in ihren kurzen roten Haarschopf gekrallt hatte. Oliver verlangte das ganze Jahr Sex, aber während der Paarungszeit fielen bei ihm und Mona alle Hemmungen.
"Mach die Tür zu, es ist kalt ...", rief Oliver mir zu.
Während ich die Tür schloss, ging sein Knurren in ein lautes Heulen über. Volltreffer! Er hatte seinen Samen soeben in Mona verspritzt – ich bezweifelte allerdings, dass sie in diesem Winter schwanger werden würde ... genauso wenig, wie in den Wintern davor. Wir waren zu eng miteinander verwandt. Der Inzest brachte es mit sich, dass die Geburtenraten niedrig waren und immer niedriger wurden, je öfter sich Familien untereinander paarten. Auch unsere Eltern waren blutsverwandt gewesen – zwar keine Geschwister, aber Cousin und Cousine ersten Grades. Obwohl wir alle wussten, wie unwahrscheinlich es war, dass wir miteinander Nachkommen zeugten, taten wir so, als gäbe es dieses Problem nicht.
"Könnt ihr nicht wenigstens in eure Zimmer gehen?", fragte ich genervt, während Oliver über Mona gebeugt stehen blieb und darauf wartete, dass die Schwellung seines Schwanzes zurückging. Mona genoss die Situation sichtlich. Unsere Schwester war ehrgeizig – wenn sie vor Fiona schwanger würde, wäre sie die Alphawölfin des Rudels.
"Geh und sag Fiona, dass ich nachher zu ihr komme", befahl Oliver, als sein Schwanz so weit abgeschwollen war, dass er ihn aus Mona herausziehen konnte. Sie richtete sich unwillig auf, zog die Hosen hoch und verschwand die Treppe hinauf in Richtung von Fionas Zimmer. Sie und Fiona verstanden sich einigermaßen, aber wenn es um diese Sache ging, sah Mona in unserer Schwester eine Konkurrentin – daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Fiona jede Berührung von Oliver verabscheute.
"Ehrlich, Mann ... musst du es ständig vor uns allen machen?"
Oliver fuhr sich über den Dreitagebart und warf das lange dunkle Haar zurück. Erst dann zog er seine Hose hoch. Tatsächlich sah unser ältester Bruder aus wie ein Rockstar und hatte auch die gleichen Allüren. Ich argwöhnte, dass Oliver sich sein Getue von irgendeiner Hard&Heavy Gruppe aus dem Fernsehen abgeschaut hatte – obwohl er Menschen ansonsten verachtete.
Oliver baute sich demonstrativ vor mir auf, obwohl er höchstens einen Fingerbreit größer war als ich. "Ich führe dieses Rudel. Wenn es dir nicht passt, wie ich das tue, kannst du es ja verlassen, Vince."
Mir war klar, dass Oliver mich einschüchtern wollte. Ich war ernst zu nehmende Konkurrenz für ihn ... und zwar die einzige. Wir waren gleichstark, und obwohl ich nicht vorhatte, seine Stellung als Alpha zu beanspruchen, ließ Oliver keine Gelegenheit aus, mir gegenüber den Alpha heraushängen zu lassen.
"Kannst du nicht wenigstens Fiona in Ruhe lassen?", versuchte ich, zumindest an sein Mitgefühl zu appellieren, obwohl ich wusste, dass es sinnlos war.
Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Fiona kennt die Regeln. Unsere Familie braucht Nachwuchs, sonst wird das Rudel aussterben."
"Was vielleicht nicht das Schlechteste wäre ...", entgegnete ich und wandte mich zur Tür.
Oliver schnaubte verächtlich. "Seit Valerie tot ist, bist du nur noch ein Jammerlappen, Vince. Komm endlich drüber hinweg. Uns allen tut es leid, was passiert ist, und wir alle haben Verständnis für deine Trauer ... aber das Leben geht weiter."
"Nicht für mich ...", knurrte ich und entschloss mich, lieber die Gesellschaft einer frostigen Winternacht zu suchen, als länger mit Oliver in einem Raum zu bleiben.
Es hatte aufgehört zu schneien, die Temperaturen waren unter den Gefrierpunkt gefallen und der Schnee war mit einer leichten Eisschicht überzogen, die unter meinen Schuhen knirschte. Mir war kalt, weil ich keine Jacke trug – aber wenigstens war ich Olivers übergroßes Ego los.
Auf halbem Weg zum Schuppen, in dem unsere beiden SUVs und Olivers Harley standen, blieb ich stehen und witterte. Scheinbar war ich nicht der Einzige, der Oliver aus dem Weg gehen wollte.
Ich wandte mich nach rechts und folgte der Geruchsspur bis hinter den Schuppen, wo ich unseren jüngeren Bruder Marcel fand. Er stand gegen die Wand gelehnt, das halblange blonde Haar fiel ihm ins Gesicht. Marcel hatte die Schultern hochgezogen und die Daumen in die Taschen seiner Jeans gehakt. Immerhin war er klüger als ich und trug einen dicken Kapuzenpullover, der mit Fleece gefüttert war. Als Marcel mich sah, verzog er den Mund zu einem bitteren Lächeln. "Oliver und Mona sind im Haus zugange."
"Sie sind fürs Erste fertig ...", antwortete ich knapp, als wäre es das Normalste von der Welt, dass unser Bruder und unsere Schwester es vor unser aller Augen im Wohnzimmer miteinander trieben.
"Dann wird er zu Fiona gehen." Seine Stimme war voller Mitgefühl; Marcel würde niemals ein Alpha werden. Er war viel zu sanft. Manchmal wusste ich nicht, wen ich mehr bemitleiden sollte ... Marcel, der unter den Drangalisierungen von Oliver litt, Fiona, die gezwungen wurde, sich mit einem Bruder zu paaren, den sie verabscheute oder mich selbst ... weil ich alles verloren hatte, was mir auf dieser Welt einen Grund zum Atmen gegeben hatte.
"Ich wünschte, du wärest der Alpha des Rudels ...", brachte Marcel wie so oft ein Thema zur Sprache, das ich so gut es ging, vermeiden wollte. Ich wusste, dass Marcel und Fiona darauf hofften, dass ich Oliver herausforderte. Doch wofür? Um mich mit meinen Schwestern paaren zu können? Ich hatte mich nur mit Valerie gepaart ... für mich hatte es nur sie gegeben. So leid es mir für Fiona und Marcel auch tat – in mir gab es nichts, das kämpfen wollte ... ich sah einfach keinen Grund darin, für irgendetwas zu kämpfen.
"Vince ..."
Ich schüttelte den Kopf. "Du kennst meine Antwort darauf."
"Ja ...", antwortete er resigniert. Es war nicht so, dass ich kein schlechtes Gewissen gehabt hätte. Aber alle Hoffnungen hatte ich mit Valeries leblosem Körper auf der Lichtung vergraben, auf der wir uns das erste Mal getroffen hatten.
"Oliver ist nur so, weil er sich nicht eingestehen will, was uns allen längst klar ist. Unsere Familie hat keine Zukunft."
Marcel stieß sich von der Wand ab. Er war einen halben Kopf kleiner als ich, aber nicht schmächtig. In seinem Blick lag dieser leiser Vorwurf, der immer deutlicher wurde, je öfter wir über das Thema sprachen. "Das macht es aber nicht erträglicher, Vince ... nicht für Fiona und nicht für mich." Er seufzte. "Ich hau mich hin ... wenn ich bei Olivers Testosteronspiegel überhaupt ein Auge zutun kann."
Er ging durch den Schnee zurück zum Haus. Ich blieb noch eine Weile, obwohl mir fast der Hintern abfror. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen ... Olivers Frontalangriffe, Marcels Vorwürfe, Fionas Traurigkeit ... dazu meine Einsamkeit. Mit Valerie war ich glücklich gewesen ... Einsamkeit hatte ich nicht gekannt.
In meine Traurigkeit mischten sich plötzlich andere Bilder – nur kurze Momentaufnahmen, aber doch so deutlich, dass sie mich innehalten ließen. Das erschrockene Gesicht der jungen Frau, die mich in meiner Wolfsgestalt gesehen hatte. Zuerst versuchte ich, diese Bilder zu ignorieren. Dann bemühte ich mich, sie zu verdrängen, doch sie lenkten mich von meiner Trauer ab, also ließ ich sie zu ... lud sie sogar ein, meinen Verstand zu fluten. Ich begann mich zu fragen, wer diese Frau war ... wie sie hieß und warum sie mitten im Winter mit ihrem SUV so tief in den Teutoburger Wald fuhr. Sie hatte nicht den Eindruck einer Extremcamperin gemacht. Und dann war da diese Bitterkeit gewesen, die sie wie ein Schleier umgab – ein Gefühl, das mir so vertraut war. Sie hatte etwas verloren ... genau wie ich. Was wenn sie gekommen ist, um sich umzubringen? Menschen neigten manchmal zu solchen Reaktionen,