Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani
Sandstrand an der Uferstraße von Mossel Bay. Als hätte er einen Besen verschluckt, stand der Entdecker höchst selbst als steinerne Skulptur aufrecht auf einer Empore und blickte mit überraschter Miene geradeaus, als könne er es immer noch nicht glauben, dass er damals nicht nach Indien weiter gesegelt war.
Betrat man das Museum, begegnete man zuerst den Helden der portugiesischen Entdeckungsreisen des 15. Jahrhunderts. Heinrich der Seefahrer, der wackere Prinz, der nie wirklich zur See gefahren, aber die portugiesischen Afrikaexpeditionen in Gang gebracht hatte, war ebenso mit von der Partie wie Gil de Eanes, der Mitte des 15. Jahrhunderts die Kongomündung erkundete - und last not least Diego Cao, der zehn Jahre vor Diaz 1477 Cape Cross in Namibia erreicht hatte. Das alles gehörte zur Vorgeschichte der Diaz-Expedition, deren Leistung man nur richtig würdigen konnte, wenn man sich die besonderen Windverhältnisse im afrikanischen Süden vergegenwärtigte. Denn die gesamte Südwestküste Afrikas wird vom kalten Benguela Strom beherrscht, der mit großer Kraft nach Norden fließt. so dass alle Schiffe, die nach Süden steuerten, einen hohen Bogen um Afrika herum segeln mussten, wobei sie leicht im Nirgendwo enden konnten. Unter diesen Umständen war der Anblick der Karavelle „Bartolomeo Diaz“ im Innenraum des Museums wahrlich frappierend – und zwar im Hinblick auf ihre Winzigkeit. Welch ein Missverhältnis zwischen der geringen Ausdehnung des Schiffes und der weltumspannenden Reiseroute, die sie zurücklegen mussten, und welch ein Stress, in dieser Enge monatelang unter Lebensgefahr unterwegs zu sein.
So winzig die Karavelle auch war, so beachtlich war der Besucherandrang, der an diesem Tag über das Schiff hinwegbrauste. Mitglieder einer chinesischen Reisegruppe hatten das Schiff praktisch in Beschlag genommen, standen an der Reling, als blickten sie über die Weiten des Ozeans, krochen durch alle Kombüsen und konnten sich vor lauter Fotografierwut gar nicht fassen. Der chinesische Reiseleiter, der dem Treiben seiner Landsleute mit milder Nachsicht von der Brüstung aus zusah, sprach ein ausgezeichnetes Englisch und erzählte mir, dass sich chinesische Seefahrer schon drei Generationen vor Bartholomeo Diaz von Osten her der Südspitze Afrikas genähert hätten. Ob ich das wüsste? Ein in China allseits bekannter und hochgerühmter Admiral namens Cheng-ho hätte auf seiner letzten Expedition im Jahre 1432 (nach der europäischen Zeitrechnung) mit einer großen Flotte sogar die Küste von Mosambik erreicht. Dann aber hatten die Kaiser der Ming Dynastie der Hochseeschifffahrt abgeschworen und alle Häfen verfallen lassen. Sehr schade, schloss der Reiseleiter, denn sonst hätten vielleicht nicht die Europäer China sondern die Chinesen Europa „entdeckt“.
Inzwischen hatten die Chinesen die Besichtigung der Bartholomeo Diaz abgeschlossen und sammelten sich wieder um ihren Reiseleiter. Dieser wies auf mich, sagte einige Worte auf Chinesisch, wobei ein allgemeines Kopfnicken einsetzte, ehe die Reisegruppe wieder verschwand. Ich blieb noch etwas im Museum, studierte die Exponate über die schmackhaften Muscheln, denen die Bucht ihren Namen verdankte, betrachtete den Postbaum vor dem Museum, an dem die Seefahrer ihre Nachrichten hinterlassen hatten und legte mich anschließend auf die Museumswiese aufs Ohr.
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Die Stadt Oudtshoorn lag eine gute Fahrtstunde nördlich von Mossel Bay und befand sich in einer Klimazone, die etwas missverständlich als „kleine Karoo“ bezeichnet wurde. Missverständlich war diese Kennzeichnung, weil „Karoo“ an sich „Trockenzone“ bedeutete, was für die „große Karoo“ zwischen Worchester und Johannesburg auch ganzjährig zutraf. In der kleinen Karoo von Oudtshoorn, einer von Bergen umschlossenen Ebene, aber gab es reichlich Regen, vor allem im Winter, so dass Gemüse- Obst und Weinanbau betrieben werden konnte. Landesweit bekannt aber war die Eben von Oudtshoorn als Zentrum der südafrikanischen Straußenzucht.
Schon lange vor der Stadt passierte ich Farmen, deren Weidflächen mit unzähligen Straußen bevölkert waren, die so gravitätisch über die Wiesen spazieren, als sei die ganze Welt nur zu ihrer Freude erschaffen worden. Kein Zweifel, ich befand mich im Reich des Vogel Strauß, dessen Schmackhaftigkeit im ganzen Land ebenso gepriesen wie seine Dummheit verspottet wurde. Vor den Fahrzeugen, so hieß es, rannte der Strauß immer nur geradeaus davon, weil einen Haken zu schlagen und in die Büsche zu fliehen seine geistigen Möglichkeiten überstiege. Und dass er als Vogel wegen eines stattlichen Gewichtes von bis zu vierzig Kilogramm nicht mehr fliegen konnte, sei eine Gnade der Natur, denn mit den navigatorischen Fähigkeiten seines Miniaturgehirns wäre es nur eine Frage von Sekunden, bis er mit irgendeinem Baum kollidieren würde.
Doch den Vogel Strauß fasste das alles nicht an, zumindest nicht in Oudtshoorn. Wie ein selbstzufriedener König blickte er aus seiner stattlichen Kopfhöhe von mehr als zwei Metern auf die Menschen herab, die aus allen Teilen der Welt anreisten, nur um ihn zu besuchen. An den Straßenecken wurden Straußenwedel angeboten, in den Restaurants aß man Straußensteaks, und in den Buchhandlungen lagen Straußenbücher aus. Während man andernorts an den zentralen Plätzen einer Stadt gerne an berühmte Männer und Frauen erinnerte, befand sich an eben dieser Stelle mitten in Oudtshoorn ein überdimensionales Straußenei. Als der beliebteste lokale Wettbewerb galt das Straußeneier-Wettessen, und das mit Abstand bekannteste Museum der Stadt war natürlich das Straußenmuseum.
Dass einem Geschöpf mit einem solch winzigen Gehirn ein ganzes Museum gewidmet wurde, war allerdings nur die eine Hälfte der Wahrheit. Denn mindestens genauso intensiv wie mit dem Vogel beschäftigte sich das Straußenmuseum von Oudtshoorn mit dem Menschen und seiner Eitelkeit, von der Kant behauptet hat, sie sei nur eine Variante der menschlichen Dummheit. So trafen sich im Straußenmuseum von Oudtshoorn gewissermaßen der dumme Vogel und der dumme Mensch – und zwar am Detail des Federschmucks. Diese Kulturgeschichte des Federschmucks war in zwei Abteilungen eingeteilt, in eine allgemein-kulturgeschichtliche und eine regionale Darstellung. Gleich im Eingangsbereich des Straußenmuseums befand sich eine Nachbildung der berühmten Straußenfedern aztekischer Kriegsgefangener, die am Hofe Karls V. dereinst so großes Erstaunen hervorgerufen hatten. Aus dem Erstaunen der Höflinge erwuchs die Nachahmung, und bald schmückten Straußenfedern die Köpfe so bedeutender Damen wie Maria de' Medici, Mary Stuart und Marie Antoinette. Da wollte das aufstrebende Bürgertum natürlich nicht zurückstehen. Boas, Stolen und überdimensionale Federhüte kamen in Mode, lauter Accessoires, die im Fin de Siècle zur Standardkostümierung der gepflegten Frau gehörten, ohne die sie sich nicht auf die Straße traute.
Die Brücke zum weltweiten Straußenfederexport der Stadt Oudtshoorn aber schlug erst der Farmer und Tüftler Arthur Wingfield Douglas, der um 1860 seine Zeitgenossen mit einer epochalen Erfindung überraschte: dem Straußeneier-Inkubator. Dieser Apparat, ein mit Schubladen versehenes und beheizbares Möbelstück, dessen Urmodell einem altertümlichen Sideboard glich, ermöglichte eine bis dahin ungeahnte Ausweitung der Straußenzucht und den Aufstieg Oudtshoorns zur wohlhabendsten Stadt am Kap. Eine Kaste der so genannter „Federbarone“ entstand, deren Angehörige sich herrschaftliche Villen errichten und mit jedem nur denkbaren Komfort ausstatten ließen. Wer wollte, konnte einige dieser Häuser in Oudtshoorn besuchen und im Angesicht von holzbeschlagenen Bibeln, kostbarem Porzellan und einer deprimierenden Menge von Kitsch und Nippes darüber nachgrübeln, wie aus den Federn eines dummen Vogels und der Eitelkeit der Menschen eine reiche Stadt entstehen konnte.
Doch nichts ist von Dauer in der Welt, schon gar nicht im unberechenbaren Reich der Mode. Ein Überangebot
qualitativ minderwertiger Straußenfedern ließ schon vor dem ersten Weltkrieg die Weltmarktpreise einbrechen. Mit dem Siegeszug des Automobils kam dann auch das praktische Aus für den raumgreifenden Federschmuck. Denn in den anfangs noch recht kleinen Fahrzeugkabinen waren überdimensionale Straußenfederhüte, meterlange Boas und voluminöse Stolen einfach fehl am Platz. Sie zerknautschen jämmerlich, und wenn man das Verdeck lüftete und im Cabrio durch die Gegend brauste, flogen sie einfach davon. Eine Zeitlang experimentierte man noch mit miniaturisierten Hüten und Boas, doch die Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre und der weltweite Zollprotektionismus machten dem Straußenfederngeschäft von Oudtshoorn endgültig den Garaus.
Doch die Stadt hatte Glück, denn der Strauß erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg eine wundersame Renaissance - diesmal nicht als Feder-, sondern als Fleischlieferant. Das Straußensteak avancierte zum festen Bestandteil einer nahrhaften und mitunter sogar raffinierten Küche, die sich zuerst im Süden Afrikas und schließlich auch in Übersee durchsetzte. Mit diesem Wandel vom Federschmuck zum Steak war das Verwertungspotenzial