Vom Kap zum Kilimandscharo. Ludwig Witzani
informierten.
Ein agiler Schwarzafrikaner, der im Blaumann auftrat und sich als Bill vorstellte, führte unsere Gruppe über eine Straußenfarm, erläuterte Größe, Bewirtschaftung und Klimaverhältnisse und zeigte uns die großen Inkubatoren, in deren Fächern Hunderte von Straußeneiern bebrütet wurden. Nach nur sechs Wochen Bebrütung sei es dann soweit, die Straußenbabys krochen aus dem Ei, und wuchsen in separaten Gehegen auf. Allgemeines Erstaunen machte sich breit, als wir zu einem solchen Gehege geführt wurden und wenige Tage alte Straußenbabys erblickten, an denen noch nichts auf ihre spätere Größe hindeutete. Ich notierte: Der Baby-Strauß gleicht einer Ente. Sein Hals wächst erst später. War der Hals erst mal gewachsen und hatten die Strauße ihre stattliche Normalgröße erreicht, war ihr Leben aber auch schon zu Ende, berichtete Bill, denn schon im Alter von vierzehn Monaten würden die Tiere geschlachtet. Für die Straußensteak-Herstellung käme nur der unter den Federn verborgene Oberschenkel in Frage, fügte er hinzu. Die Haut wiederum werde zu Leder für Schuhe und Jacken gegerbt, von denen man sich einige im Souvenirshop der Farm ansehe könne.
Ein längeres Leben war den Tieren auf den Straußenfarmen nur vergönnt, wenn sie sich zur touristischen Präsentation eigneten, etwa als pittoreskes Fotomodell, das zur Freude der Gäste unter einem malerischen Sonnenschutz Eier ausbrütete - oder als besonders angepasstes Exemplar, das seinen Hals herumschwenken ließ, als wäre er ein Gartenschlauch. Besonders zahme Vögel wurden dazu ausersehen, jubelnde Touristen ein wenig durch die Gegend zu tragen, was in Wahrheit eine Gaudi für die Zuschauer war, weil die Reiter/innen immer wieder vom runden Rücken des Tieres mit großem Karacho herunterfielen.
Konnte man solche Darbietungen noch unter Selbstironie abbuchen, wurde es beim finalen Straußenderby ein wenig schräg. Begleitet vom Gejohle der Touristen rannten einige Straußenvögel im Rahmen eins sogenannten „Straußenrennens“ mitsamt ihren "Jockeys" auf den Rücken, einen Imaginären Parcours entlang, während ihre „Reiter“ alle Hände voll zu tun hatten, sich auf dem abschüssigen Rücken der Tiere festzuhalten. Dieses Erlebnis war weder besonders spannend noch lustig, sondern allenfalls lehrreich: Der Strauß mochte zu den dümmsten Tieren des Planeten gehören. Der Mensch aber entpuppte sich in solchen Augenblicken als das Wesen, das im Reich des Lebens zweifellos zur größten Peinlichkeit befähigt war.
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Die Natur ist der genialste Künstler, welcher Liebhaber der Welt wüsste das nicht? Doch sie benötigt Zeit, jede Menge Zeit, für einen winzigen Kubikzentimeter Form einige Jahrhunderte Witterung und Wind. Wie lange hatte es gedauert, ehe die Swartberg-Höhen und die Outeniqua-Berge entstanden waren, die die kleine Karoo von der Gartenroute trennten? Millionen Jahre war unterirdisches Wasser durch den Fels gedrungen und hatte im Zusammenspiel mit tektonischem Druck und Gesteinshärte die riesigen Cango Caves in der Nähe von Oudtshoorn geschaffen, ein System großer unterirdischer Höhlen mit jahrhunderttausende Jahre alten Stalagmiten und Stalagtiten. Mit 2,7 Millionen Jahren war die sogenannte „Trauerweide“, die älteste Steinstruktur der Cango Caves, älter als die gesamte menschliche Gattung.
Eine Stimmung der Zeitlosigkeit lag über den Outeniqua Mountains, die ich auf meinem Rückweg zur Küste durchfuhr. Die Erde brachte ihre Früchte und Formen hervor und schien sich nicht um das Gewusel auf ihrer Oberfläche zu kümmern. Ein kurzer Regenguss auf der Passhöhe, dann hatte ich wieder die Küstenebene erreicht. George, die nächste Stadt auf der Gartenroute, war ein aufgeräumer Ort, den man durchfuhr wie eine Freiluftausstellung properer Häuser und Straßen. Ein Ort wie ein makelloses Gesicht, von dem nichts mehr in Erinnerung blieb.
Ebenso makellos war der weite, prachtvolle Sandstrand von Wilderness, eine sichelartige Bucht mit sanft auslaufender Dünung – und vollkommen leer. Vielleicht bestand darin eine der Attraktionen Afrikas für den Europäer: in dem ungewohnten Nebeneinander von Schönheit und Menschenleere, auf die die Bewohner urbaner Gesellschaften meist verzichten müssen. Aber die Schönheit ist auch wie ein Gewicht, das alleine nicht leicht zu tragen ist. Manchmal erzeugt sie sogar ein Gefühl der Vereinzelung - gerade so, als könne man die Welt ab einer gewissen Verzauberung nur noch zu zweit ertragen. Aber gottlob besaß ich noch eine zweite Flasche Chardonnay aus Stellenbosch.
Zwei Felsen bewachten den Eingang zur Lagune von Knysa, Die Brandung des Ozeans krachte gegen die Klippen, ein alter Leuchtturm diente als Aussichtspunkt auf die Küste. Zwischen Meer und Land befand sich ein Binnensee, der seine Größe nach dem Rhythmus von Ebbe und Flut veränderte. Kaffernadler zogen ihre Kreise und hielten Ausschau nach Beute. Am Ende des George Rex Drive, der direkt zur Lagune von Knysa führte, hatten Läden, Cafés und Restaurants geöffnet, in denen eine so entspannte Stimmung herrschte, als sei die ganze Küste eine Region des ewigen Friedens. Ich notierte: Die Gartenroute – ein verschönertes Europa auf dem Silbertablett.
Der Ort Plettenberg, die „Perle der Gartenroute“, trug seinen Namen nach Gouverneur Joachim von Plettenberg, der ab 1779 hier eine Verladestation für Holz eingerichtet hatte. Ein Euphemismus dafür, dass die Kolonisten über Swellendam hinaus vorgedrungen waren und damit begonnen hatten, die Küsten abzuholzen. Dann wurde man im 19. Jahrhundert auf die herrliche Lage der Bucht aufmerksam, und wohlhabende Südafrikaner begannen damit, den Ort zu einer mondänen Ferienenklave umzubauen. Villengelände mit üppigen Gärten, breiten Zufahrten und fantastischen Ausblicken auf Küste und Meer entstanden und prägten das neue Bild der der Stadt. Das einzige Handicap, das Plettenberg aus dieser Gründerphase mitnahm, ging auf eine Bausünde zurück, die die Stadtväter begingen, als sie den Neubau eines klobigen Hotelkomplexes direkt am Strand gestattet hatten. Dieser Hotelkomplex, dessen Anblick von den Höhen der Berge aus noch heute störte, teilte den Strandbezirk von Plettenberg in zwei Teile, die sich in nichts voneinander unterschieden und an denen eines unbekannt zu sein scheint: Überfüllung und Bedürftigkeit. Sanft rollte die flache Dünung am über den goldgelben Sand, der Xhosa-Eismann und der Zulu-Getränkeverkäufer staksten heran, ansonsten waren Schwarzafrikaner nirgendwo zu sehen.
Ich fand ein kleines Apartment hoch über der Bucht von Plettenberg gleich neben einem Palmengarten mit einer unverstellten Aussicht auf die gesamte Bucht. Das Meer lag vor mir wie ein tiefblauer Samtbelag, und die Umrisse der Bucht verloren sich im Dunst der östlichen Tsitsikammaberge. Konnte es einen besseren Ort geben, der Bucht von Plettenberg teilhaftig zu werden, als dieser Adlerhorst hoch über der Stadt? Schönheit ist nicht immer nur eine Frage der Form und Stimmung sondern auch der Distanz.
Als ich mit einem Kaffee auf der Veranda saß und dem Zug einer Schönwetterwolke beobachtete, bemerkte ich auf dem Nebenbalkon ein Paar. Der Mann trug Shorts und Unterhemd, hatte die Beine auf die Brüstung der Veranda gelegt und las ein Buch. Auf seiner Stirn befand sich eine steile Falte, die auszudrücken schien: Stör mich nicht. Die Frau, die ihm am Tisch gegenüber saß, war etwas jünger, trug einen knapp sitzenden Badeanzug und lackierte ihre Fußnägel. Die Aussicht auf die Bucht war Nebensache. Ich machte mich bemerkbar. Ein kurzer Gruß, ein Kopfnicken, das reichte offenbar. Dann ging es weiter mit Buch und Zehennägeln.
Am Abend aß ich in „The Plettenberg“, dem besten Hotel der Stadt. Das Lamm war ebenso gut wie der Personalaufwand unglaublich. Man zuckte nur mit irgendeinem Körperteil und schon stand ein Bediensteter am Tisch. Natürlich waren alle Kellner Schwarzafrikaner, und die Gäste waren Weiße, dazu aßen an diesem Abend auch einige Inder und Ostasiaten im Restaurant. Ich dachte daran, was geschehen würde, wenn ich jetzt alleine in einem guten Lokal in Russland oder Thailand säße. In Russland würde ich eine Karte auf dem Tisch finden, auf der mir eine Ludmilla ihre Dienste anbieten würde. In Thailand würde mich die Bardame möglicherweise direkt ansprechen. In „The Plettenberg“ trat der Kellner, nachdem ich zu Ende gegessen hatte, an meinen Tisch und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, mich in den Garten zu setzen. Als ich bejahte, ergriff er mein Glas und die Weinflasche wie eine Trophäe und führte mich in den Garten, wo ich an einem extra herangeschafften Tisch unter einem prachtvollen Sternenhimmel meinen Wein weiter trinken konnte. Auch das war Afrika, aber nur, wenn man über das nötige Kleingeld verfügte.
In einer anderen Ecke des Gartens saßen meine Apartmentnachbarn, sie bemerkten mich und grüßten kurz und verhalten. Die junge Frau war sündhaft schön, sie hatte ihre Haare kunstvoll hochgesteckt und trug eine Perlenkette um den Hals. Ob ihre Zehennägel inzwischen in Schuss waren,