Handover. Alexander Nadler

Handover - Alexander Nadler


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Fassade erahnen lässt, dass es sich bei ihm im Vergleich zu den benachbarten Etablissements nicht gerade um eine der preisgünstigsten Vergnügungsstätten handelt.

      Was ihn dazu veranlasst, sich gleichfalls in Richtung Spargo in Bewegung zu setzen, weiß Claude nicht, er verspürt lediglich den nicht näher zu beschreibenden Drang, endlich einen ersten konkreten Schritt unternehmen zu müssen - und warum nicht dort. Der Türsteher würdigt Claude praktisch keines Blickes, dafür sieht er sicherlich zu bieder aus, und der Ansturm hält sich zu dieser frühen Abendstunde gleichfalls arg in Grenzen, so dass es für den gelangweilt Herumstehenden offensichtlich keinen Grund zur Selektion gibt. Das Öffnen der Eingangstür ist gleichzeitig verbunden mit einer erheblichen Zunahme des Geräuschpegels und der Abnahme des zu erkennenden Umfeldes, aus dessen Dunkel heraus eine weibliche Stimme Claude bittet, ihr zu folgen. Sich allmählich an die Minimalbeleuchtung gewöhnend, durchmisst er mit wenigen Schritten den Vorraum, der mittels schwerer, raumhoher Vorhänge von jenem Raum abgetrennt ist, in den ihn die ein langgeschlitztes Kleid tragende Empfangsdame geleitet und in dem gut zwei Dutzend Tische in zwei Reihen um eine halbkreisförmige Bühne aufgestellt sind, die in diesem Augenblick abgedunkelt daliegt.

      „Was darf es sein?“ Die Stimme der Platzanweiserin ist für Claude in diesem Moment das einzig beruhigende Element ringsum, nimmt ihm ein wenig von seinem Unbehagen, das dieses für ihn ungewohnte Umfeld in ihm hervorruft. „Wünschen Sie Gesellschaft?“

      Von seinen Erfahrungen in Thailand her gewohnt, dass danach gar nicht erst gefragt wird, sich die Damen stattdessen ganz einfach ungefragt zu einem an den Tisch setzen und nur schwer wieder loszuwerden sind, ist Claude angesichts dieser diskreten Frage irritiert: „Nein, nein danke“, kommt es leicht stotternd aus ihm heraus.

      „Was darf ich Ihnen zu trinken bringen?“ Wieder dieser überaus höfliche Ton der Fragestellung, der so gar nicht zu dem passt, was Claude in Südostasien erlebt hat, wo sein Bruder und er in der Regel ohne Fragen den teuersten, meist allerdings ziemlich miesen Fusel vorgesetzt bekommen hatten. „Eine Flasche Champagner, oder lieber einen Wein?“

      „Haben Sie auch etwas Nichtalkoholisches? Ich trinke nämlich keinen Alkohol“, schiebt er, den etwas ratlosen Blick seiner Dialogpartnerin konstatierend, rasch nach.

      Claudes Äußerung bringt die Dame ein wenig aus dem Konzept: „Normalerweise führen wir nur alkoholische Getränke.“ Nach kurzem Zögern dann das Einlenken: „Ich werde meinen Geschäftsführer fragen, ob wir eine Ausnahme machen dürfen. Wenn Ihnen das recht ist?"

      „Ja, danke, das wäre sehr nett.“ Claude ist erleichtert, ein Fehlschlag gleich beim ersten Anlauf wäre ihm als allzu schlechtes Omen erschienen. Während sich die Fragestellerin entfernt, beginnt Claude mit der Musterung des Umfeldes, in das ihn seine Spontanität verschlagen hat. Nur fünf weitere Tische sind zu dieser frühen Abendstunde bereits besetzt, zwei von jeweils zwei Herren, einer von zwei Pärchen und die übrigen beiden jeweils von einem älteren Herren mit recht junger weiblicher Begleitung, die allem Anschein nach zum Personal des Klubs gehören. Das Interieur bietet keinen für ihn erkennbaren Anhaltspunkt dafür, dass die ein oder andere von seinem Bruder geschossene Aufnahme hier entstanden ist, allerdings ist auf den meisten ohnehin wenig bis gar nichts vom Hintergrund beziehungsweise Umfeld zu erkennen. Anhand der fein säuberlich gebügelten, aus teuren Stoffen bestehenden Tischdecken, der handgetriebenen Tischleuchter, des gut in Schuss gehaltenen Mobiliars und etlichen weiteren Einzelheiten kommt er recht schnell zu dem Resümee, in einen der edleren Klubs geraten zu sein, was auch unschwer an dem sehr diskreten Auftreten des Personals auszumachen ist. Einzig und allein das müde, fast schon gelangweilte Erscheinungsbild des Türstehers passt bislang nicht in dieses Bild. Offensichtlich verfügt der Klub jedoch noch über andere Räumlichkeiten, denn die jungen Burschen, die ihn kurz vor ihm betreten haben, sind nirgendwo zu sehen.

      „Ich habe meinen Chef gefragt. Es geht in Ordnung“, wird er von der Dame, die ihm zuvor den Platz angewiesen hat, aus seinen Überlegungen gerissen. „Was darf ich Ihnen also bringen?“

      „Haben Sie frisch gepressten Orangensaft?“

      „Wenn Sie dies möchten, selbstverständlich.“

      „Gut, und dazu bitte ein Mineralwasser, mit Kohlensäure.“

      „Gerne.“ Die Bereitschaft, sich um die Erfüllung seiner Sonderwünsche zu bemühen, bestätigt Claude darin, dass er nicht in einen billigen, aufs bloße Abzocken bedachten Schuppen geraten ist. Die Musik ist merklich leiser geworden, wodurch das spitze Kichern der beiden Pärchen hörbar wird, die zwei Tische weiter sitzen. Begleitet von einer weiteren Hostess im langgeschlitzten Kleid betritt ein männliches Trio den in zarten Pastelltönen gehaltenen Raum und wird in der ersten Reihe halbrechts vor der Bühne platziert.

      Gedanklich noch mit der gesellschaftlichen Einordnung der Neuankömmlinge beschäftigt, vernimmt Claude eine ihn von links ansprechende, wohlklingende Stimme: „Schönen guten Abend, mein Herr, wünschen Sie wirklich keine Tischgesellschaft? Sie sehen so einsam aus, so als wollten Sie sich mit jemandem unterhalten?“

      Im ersten Augenblick verärgert über die so gar nicht zu dem sonstigen Ambiente und seinem daraus resultierenden bisherigen Eindruck passende Aufdringlichkeit, besinnt sich Claude, als er sich der Fragestellerin zuwendet, eines Besseren, ist er doch nicht zum Vergnügen hier, sondern einzig und allein zum Zwecke des Sammelns von Informationen, und die wird er wohl kaum erhalten, wenn er hier allein herumsitzt. „Oh, danke, es geht mir gut. Aber wenn Sie möchten ... setzen Sie sich zu mir“, bietet ihr Claude den Platz zu seiner Linken an. „Möchten Sie etwas trinken?“

      „Ein Glas Champagner", antwortet sie mehr fragend als bestimmend.

      Just in dem Moment, in dem Claude eine der Servierdamen mit einem Wink herbeirufen will, bringt man ihm die zuvor bestellten Getränke, so dass er den Wunsch seiner Tischpartnerin weiterleiten kann. Obwohl er diese Situation in Bangkok dutzende Mal durchgestanden hat, er im Grunde all die Floskeln kennt, mit denen ein Gespräch begonnen werden kann, will ihm nichts Passendes einfallen, hemmt ihn die Angst, sich mit bloßem Daher-Gequatsche lächerlich zu machen, auch wenn sich seine Tischpartnerin darüber sicherlich keine Gedanken machen würde. Trotz der reichlich schummrigen Beleuchtung vermag Claude einigermaßen zu erkennen, dass die Dame neben ihm für ihren Tätigkeitsbereich auffallend zurückhaltend geschminkt ist und auch nicht jenen schwülstig schweren Parfümgeruch verbreitet, der quasi geruchsmäßiges Erkennungszeichen von Etablissements wie diesem ist. Einige der Locken, die ihr ein gutes Stück bis über die Schultern fallen, umspielen ihren Ausschnitt, der auf subtil erotisierende Art und Weise den Brustansatz sichtbar lässt.

      „Sie sind zum ersten Mal hier, nicht wahr?“ Seine Verlegenheit ist ihr nicht verborgen geblieben.

      „Ja.“ Claude ist ihr innerlich dankbar, dass sie die Initiative ergreift und ihm so aus der peinlichen Situation heraushilft.

      „Kommen Sie von außerhalb?“

      „Hm...“, Claude zögert, weiß nicht, inwieweit er ihr die Wahrheit sagen soll, um eventuell irgendetwas Brauchbares zu erfahren, „…eigentlich lebe ich in den Staaten, momentan jedoch für einige Zeit hier in Frankfurt.“

      „In den USA? Sie sprechen aber ausgezeichnetes Deutsch.“

      „Ich bin Deutscher, nur lebe ich eben in den Vereinigten Staaten.“

      „Ach deswegen! Und warum sind Sie jetzt hier in Frankfurt, wenn ich das fragen darf? Aus beruflichen Gründen?“

      Claude erscheint es angebracht, diese Frage nicht wahrheitsgemäß zu beantworten: „Ja.“

      „Sind Sie allein hier“, tastet sich seine Gesprächspartnerin, der in diesem Augenblick das bestellte Glas Champagner serviert wird, allmählich vor.

      Auch hier zieht es Claude vor, die Wahrheit nicht allzu weit zu strapazieren: „Ja, allerdings habe ich hier noch eine Menge Bekannte aus früheren Tagen, die meisten sind allerdings verheiratet und daher ... na ja, Sie wissen schon.“ Ihr von einem Augenaufschlag


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