Die schwarze Macht. Elise Lambert

Die schwarze Macht - Elise Lambert


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Hängebacken, ähnelte er mehr einer dösenden Bulldogge, als einem ernstzunehmenden Wissenschaftler, der gerade erst erfolgreich das Rigorosum hinter sich gebracht und mit ›magna cum laude‹ promoviert hatte.

      Verwundert blickten die drei zu McIntire, der mit hastigen Schritten auf ihren Tisch zueilte. Er wirkte aufgeregt. Alles in seinem Gesicht zuckte. Nie zuvor hatten sie ihn in einer derartigen Verfassung gesehen.

      »Was ist denn mit dir los?« Jake sah ihn fragend an.

      »Als wir heute Vormittag in den Überresten der alten Kapelle geforscht haben, hatte ich aus irgendeinem Grund den Drang, noch vor der großen Steinplatte zu graben. Ihr wisst schon, welche ich meine«, sprudelte es wie ein Wasserfall aus ihm heraus, als er endlich bei ihnen war und sich einen Stuhl heranzog, um sich zu setzen. »Wir hatten darüber ja schon einmal vor einigen Tagen gesprochen, die Idee an ein solches Vorhaben letztlich aber wieder aufgegeben. Wir waren ja übereingekommen, dass das nichts einbringen würde.« McIntire gab dem Wirt ein Zeichen, ihm einen zweifingerbreiten Whisky zu bringen. »Wie auch immer«, winkte er ab, »jedenfalls wurde dieser Drang während der Rückfahrt dermaßen übermächtig, dass ich mich entschloss noch einmal umzukehren und es allein zu versuchen.« In das dicke Knautschgesicht trat ein nachdenklicher Ausdruck. »Es war schon seltsam. Ich hatte das Gefühl, als würde mich jemand förmlich dazu antreiben. Ich habe wohl noch nie so schnell gearbeitet. Es war direkt unheimlich. Laufend hatte ich das unbestimmte Gefühl, ich würde dabei beobachtet.« Er hatte seine Stimme gesenkt, denn Mary kam mit dem Whisky zu ihnen herüber. Erst als sie das Glas abgestellt und sich wieder zurückgezogen hatte, sprach er weiter. »Jedenfalls bin auf ein Grab gestoßen. Mit der Winde habe ich die Steinplatte hochgezogen. Eigentümlicherweise waren in dem Grab keine menschlichen Überreste zu finden. Es war leer, … bis auf … das hier. Aber seht es euch selbst an.«

      Mit einer raschen Bewegung zog er die Rucksacktasche auf seinen Schoß, die er die ganze Zeit über fest in der linken Hand gehalten hatte, öffnete die Schnallen, und holte mit beiden Händen einen runden Gegenstand heraus, den er zum Schutz in ein Baumwollhandtuch eingewickelt hatte. Behutsam entfernte er die Umhüllung und zeigte den drei Männern, auf was er im Grab gestoßen war.

      Neugierig schob sich Prof. Lamondt seine schmale goldgeränderte Brille auf die Nase, die er immer an einer Kette um den Hals trug. Als er und seine beiden Assistenten den Fund sahen, holten sie tief Luft.

      Auf Robert McIntires Handflächen lag eine Kristallkugel, die dem Umfang eines zwei- bis dreijährigen Kinderkopfes entsprach. Auf eine befremdliche Weise kam aus ihrem Zentrum, ein schwaches, rotes Glimmen, das in einem langsamen Rhythmus zu pulsieren schien.

      Lamondt nahm die Kugel, betrachtete sie intensiv und legte sie dann auf den Tisch. Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte er, ein unbeschreiblich ekelhaftes Empfinden zu verspüren, das erst aufhörte, als er den Kristall nicht mehr in seinen Händen hielt.

      »Nun, Robert, … ich muss zugeben, dass ist ein durchaus interessanter Fund«, stellte er anerkennend fest, wenngleich in ihm keine wirkliche Freude darüber aufkommen wollte.

      Aber weder McIntire, noch seine beiden Kollegen schienen seine Worte zu hören. Wie gebannt starrten sie die Kugel an.

      Dem Professor wurde es unbehaglich zumute. Es war eine bedrückende Stimmung, die von ihm Besitz ergreifen wollten, und die er nur gewaltsam von sich abschütteln konnte. Er schob es auf die harte körperliche und geistige Anstrengung der letzten Wochen und darauf, dass der Zustand der Anspannung jetzt erst einmal vorüber war.

      Unser Kaliumphosphatspiegel ist im Keller und wir benötigten alle ein paar Tage der Ruhe, dachte er, dann wird unser dünnes, inzwischen reichlich strapaziertes, Nervenkostüm schon wieder in Ordnung kommen. Bis dahin können wir uns mit der Untersuchung des letzten Fundes Zeit lassen.

      Kurz entschlossen griff er nach der Kristallkugel und wickelte sie wieder in das Baumwolltuch.

      »Pack‘ sie wieder gut weg, Robert«, wies er McIntire an.

      Der nickte und legte den Fund behutsam in den Rucksack zurück.

      »Halten Sie es für sinnvoll, dass wir die Stelle, an der Robert gegraben hat, noch einmal gründlich untersuchen?«, erkundigte sich Miller, während er den Professor eindringlich ansah.

      »Wenn da noch etwas zu holen wäre«, stellte Lamondt lächelnd fest, »hätte es uns Robert wohl schon gesagt, oder?«

      McIntire nickte wortlos.

      »Na, dann steht unserer Heimfahrt für den morgigen Tag ja nichts mehr im Weg«, meinte Butcher lächelnd.

      »An der Stelle habe ich buchstäblich jeden Krümel Erde umgedreht«, meldete sich McIntire jetzt doch noch zu Wort. »Aber außer dieser Kristallkugel habe ich weiter rein gar nichts entdecken können.« Er schüttelte enttäuscht darüber den Kopf. Nachdenklich strich er sich über das Kinn, während er hinzufügte: »Was mich irritiert, ist der Umstand, dass das Grab ansonsten vollkommen war.« Er zuckte mit den Schultern. »Das ist mir echt ein Rätsel, allerdings möchte ich arg bezweifeln, dass wir darauf eine Antwort finden werden.«

      »Vielleicht nicht sofort, was aber nicht heißt, dass wir es nicht werden«, erwiderte Prof. Lamondt, der sich eine weitere Zigarre gegönnt hatte und in die Runde blickte. »Es bleibt also dabei, dass wir unsere Zelte wie geplant abbrechen. Sobald wir die Fundstücke im Institut ausgewertet haben, kommen wir noch einmal her. Bis dahin werden sich ganz sicher neue Gesichtspunkte für ein weiteres Vorgehen ergeben haben.«

      Kapitel 2

      L

      auren Pritchard stand vor dem Spiegel. Sorgfältig zog sie mit einem Lippenstift die Konturen ihrer Lippen nach, die ihrem Mund das sinnliche Etwas gaben. Sie war eine außergewöhnlich hübsche, junge Frau, und sie wusste das sehr genau. Lächelnd betrachtete sie sich in der reflektierenden Glasfläche. Ihr schönster Schmuck waren ihre bis weit über die Schultern reichenden Haare, die die Farbe reifen Weizens hatten. Erstmals trug sie ihre natürliche Haarfarbe. Während ihrer Studienzeit hatte sie viel herumexperimentiert, mal waren ihre Haare rot, dann wieder pinkfarben gewesen. Auch von ihrem Kurzhaarschnitt hatte sie sich verabschiedet. So, wie es jetzt war gefiel es ihr am besten.

      Vor einem halben Jahr hatte sie ihr Archäologiestudium in Edinburgh bei Prof. Francis Alverston abgeschlossen, der bei Ausgrabungsarbeiten in der Ruine der festungsartigen Anlage von ›Dùn Gòrdan-Castle‹ nahe Kinloss ums Leben gekommen war [1]. Gleich im Anschluss an ihr Studium hatte sie mit ihrer Dissertation begonnen und durch ihren Doktorvater Prof. Lamondt eine Assistentenstelle bekommen.

      Erst gestern hatte er sie aus Durness angerufen und sie wissen lassen, dass er heute wieder zurückkäme. Lauren Pritchard schaute auf ihre Uhr. Es war gerade zehn Uhr geworden.

      Er hatte relativ wenig Worte am Telefon mit ihr gewechselt, sich aber sehr zufrieden mit den Ergebnissen der Ausgrabungen gezeigt.

      Sie war gerade von der Damentoilette zurückgekehrt und hatte sich einen kräftigen Kaffee eingeschenkt, als es an der Tür zum Büro klopfte.

      »Ja, bitte!«, forderte sie den Anklopfenden auf einzutreten.

      Die Tür öffnete sich und ihr Doktorvater trat ein.

      »Schön Sie zu sehen, Professor«, begrüßte sie ihn freundlich. Dabei ging sie ein Stück auf ihn zu, um ihm die Hand zu schütteln.

      »Hallo, Lauren.« Er erwiderte ihren herzlichen Händedruck. »Na, wie läuft es mit deiner Dissertation? Kommst du gut voran?«

      »Langsam, aber ... ja«, erwiderte sie lächelnd. »Es wird jedenfalls noch einiges an Zeit brauchen.«

      »Du machst dir mehr Druck als nötig. Lass dir Zeit!«

      »Sie haben sicher Recht damit«, räumte sie ein.


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