Das Blut des Sichellands. Christine Boy

Das Blut des Sichellands - Christine Boy


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      "Oh doch, natürlich hat er das." Saton schien nun noch wütender. "Er ließ mir ausrichten - ausrichten! ...Er hielt es noch nicht einmal für nötig, zu schreiben! - ... dass seine Anwesenheit nicht notwendig wäre. Das ist alles!"

      "Aber dann ist doch alles geklärt. Er ist einverstanden, dass wir die nötigen Weisungen ohne ihn erlassen. Wo ist das Problem?"

      Nun meldete sich Ron-Caha-Hel zu Wort.

      "Das Problem, lieber Talmir, ist, dass wir uns durch diese Beschlüsse in seine Befugnisse einmischen. Die Schutzbanne der Sichel sind eine Batí-Angelegenheit. Insofern kann ich verstehen, dass Saton sie nicht ohne Mondor regeln will."

      "Und doch ist unser hoher Shaj der Nacht selbst ein Batí. Und er steht über Mondor."

      "Aber nur über Mondor als Mensch und nicht als Priester."

      "Nein, in dieser Hinsicht muss sich Mondor aber ebenfalls unterordnen. Und zwar Maliss."

      Ein Räuspern vom Ende des Tisches unterbrach Talmir und die drei Shajs. Es war ausgerechnet der sonst recht zurückhaltende Cas Cala, der um das Wort bat.

      "Bitte..." gewährte ihm Saton gleichgültig, zu sprechen.

      "Verzeihung, aber wenn ich es recht verstanden habe, gibt es doch auch Dinge zu klären, die nichts mit Mondor zu tun haben."

      Saton nickte.

      "Cala hat recht. Wir werden das Thema vorerst beiseite lassen. Ron-Caha, wie geht es mit den Vorbereitungen voran?"

      Der Shaj der Erde räusperte sich.

      "Die Silberwerke beliefern uns täglich. Inzwischen haben wir solche Mengen angehäuft, dass wir ganz Cycalas über ein Jahr damit versorgen könnten. Ein Großteil wurde bereits an einen geheimen Lagerort nahe der Küste gebracht. Wir könnten innerhalb eines Mondes eine ganze Flotte bestücken. Ich halte es aber für sinnvoll, ein größeres Augenmerk darauf zu legen, dass das Volk informiert wird. Sie dürfen keinen Zweifel an unseren Absichten haben."

      "Gibt es denn Zweifel?"

      Der Shaj der Erde lachte.

      "Das fragst du noch, Saton? Es ist nicht leicht, den Menschen begreiflich zu machen, dass unsere Silbervorräte ausgelagert werden müssen, um sie vor Zrundir zu schützen, wenn ausgerechnet du an der Spitze der Säule der Nacht stehst. Kein Hantua würde sich während deiner Herrschaft über unsere Grenzen wagen."

      "Also glauben sie es nicht?"

      "Sie glauben es schon, aber sie zweifeln am Sinn dieses Unterfangens. Immerhin gehen wir ein nicht unbeträchtliches Risiko ein, wenn wir das Silber außer Landes bringen."

      "Aber wir haben keine andere Wahl..."

      Zum ersten Mal sprach Viriqua aus dem Tempel Semon-Seys. "Das Waffensilber wird um ein Vielfaches mächtiger, wenn der Sichelbann darauf liegt. Und es ist nur von Vorteil, wenn niemand von ihm erfährt. Das gilt leider auch für die Cycala."

      "Wir hätten einen Kompromiss eingehen können." sagte Talmir. "Warum so weit entfernt? Warum nicht in den Nordwäldern oder in den Cassydischen Gräben?"

      "Damit wären wir wieder bei Mondor." seufzte Saton. "Es war sein Vorschlag. Er meinte, das Ritual würde einem anderen gleichen, das längst vergessen ist. Und dazu benötigt man ein herrenloses Land. Nur so kann sich die wahre Kraft entfalten. Ansonsten ist der Sichelbann nahezu wirkungslos."

      "Aber ausgerechnet diese Insel. So weit im Süden. Die Valaschlucht...."

      "Liegt zu nah an Zrundir. Und Shanguin ist nicht herrenlos." Saton ließ sich wieder auf seinen Stuhl fallen und spielte ungeduldig mit einem Federkiel. "Wir diskutieren das nun schon seit Jahren. Es bleibt dabei. Wir werden den Bann über das Silber legen. Auf der Insel im Süden. Und niemand außer den hier Anwesenden und den Sichelträgern wird es erfahren. In ganz Cycalas wird man der Meinung sein, wir schützen unser Silber vor Zrundir, indem wir es fortschaffen. Und keiner wird unsere wahre Stärke kennen, am allerwenigsten die Hantua."

      "Werden die Shajkane auch aus diesem Silber geschmiedet?" fragte Ruis, ein grimmiger Cas, der sich noch nie besonders für die Handwerkskunst interessiert hatte.

      "Nein." Saton schüttelte den Kopf. "Vorerst nur die Sicheln. Der Bann ist ein langwieriges Ritual und ich möchte innerhalb eines Jahres wieder alles Silber nach Cycalas zurückbringen lassen."

      "Ein Jahr?" Beleb, ein weiterer Erwählter der Nacht, schien überrascht. "Wir sollen ein Jahr lang eine Priestergruppe samt Geleitschutz auf einer Insel im Süden versorgen? Von Cycalas aus? Sie können niemals so viele Vorräte mitnehmen und unseren Kundschaftern zufolge gibt es auf dieser Insel absolut nichts, woraus man Nahrung beschaffen könnte."

      Saton nickte düster.

      "Eben. Und das ist der Grund, weswegen wir uns wohl auf ein weiteres Risiko einlassen müssen."

      "Ich hasse das!" Wütend sah Lennys zu den Fenstern der Burg hinauf. "Die sitzen nun schon seit Stunden da oben und reden und reden und reden...!"

      "Warum so ungeduldig, junge Herrin?" Afnan, der Diener lachte. "Gestern noch wolltet ihr am liebsten niemanden sehen."

      "Das war gestern! Aber heute nachmittag wollte Wandan mir Unterricht geben! Er schiebt es seit Wochen vor sich her!"

      "Seit Wochen? Verzeiht, aber ihr trainiert beinahe jeden Tag mit ihm!"

      Lennys verdrehte die Augen.

      "Ja, mit dem Säbel! Das ist langweilig! Ich will die Sichel!"

      "Euer Vater sagt, ihr seid noch jung..." wandte Afnan ein.

      "Er muss es ja nicht wissen! Außerdem werde ich bald fünfzehn! Wandan hat mir versprochen, dass ich sie halten darf und dass er mir ein paar Grundübungen zeigt! Und jetzt sitzt er da oben und drückt sich!"

      "Kein Grund, laut zu werden..." beschwichtigte der Diener. "Der hohe Herr Wandan hat bislang jedes seiner Versprechen gehalten. Er wird sicher kommen. Aber trotzdem glaube ich, dass der Shaj..."

      "Kein Wort zu ihm!" Lennys streckte Afnan drohend einen Zeigefinger entgegen. "Wenn du ihm etwas verrätst..."

      "Ich habe euch noch nie verraten, junge Herrin." erwiderte Afnan beleidigt. "Auch gestern nicht."

      "Das ist auch besser so! Wenn mein Vater erfährt, dass ich im Wald war..."

      "Auf seiner Stute..."

      "Halt bloß den Mund! Du solltest das so schnell wie möglich vergessen!"

      "Wie ihr wünscht. Aber Herrin, dürfte ich euch bitten, mich vielleicht etwas weniger in derartige Angelegenheiten hineinzuziehen? Ihr wisst, ihr könnt mir voll und ganz vertrauen, aber wenn euch jemals etwas zustoßen sollte und ich im Vorfeld von einer eurer Unternehmungen wusste und euch nicht davon abgehalten habe..."

      "Du bist ein Langweiler, Afnan! Immer diese ewigen Vorhaltungen! Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen."

      "Fürwahr, daran habe ich keinen Zweifel."

      "Siehst du? Meine Güte, und da oben finden sie kein Ende. Ich sehe schon, Wandan wird sich heute gar nicht mehr blicken lassen. Und wenn, dann erst abends, wenn es schon zu spät ist."

      Afnan räusperte sich.

      "Ich fürchte, der hohe Herr Wandan wird auch heute abend keine Zeit haben."

      "Wieso das denn nicht?"

      "Nun, der hohe Cas Cala feiert heute seinen Geburtstag. Es ist der siebzehnte Tag des Assmon."

      "Mit anderen Worten, die Cas werden heute in ihren Kellern wieder einmal ein großes Fest geben und ich darf mich in meinem Schlafzimmer langweilen." Wütend hob sie einen abgebrochenen Ast auf und schleuderte ihn über den Hof. "Das ist ja wirklich großartig!"

      Afnan verstand Lennys nur zu gut. Er hatte das Gefühl, dass sie sich langweilte und da das politische Geschehen des Landes gerade viele Besprechungen erforderte, konnte sie sich nicht so häufig wie sonst den Kampfübungen mit Wandan


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