Taifun. Joseph Conrad

Taifun - Joseph Conrad


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nackte Schultern, denn es war windstill und die Hitze drückend.

      Die Kulis lagen träge herum, schwatzten, rauchten oder starrten über die Reling; einige schöpften Wasser und begossen einander damit; andre hatten sich auf Luken hingestreckt um zu schlafen, während wieder andere in Gruppen von sechs Köpfen um eiserne Präsentierbretter hockten, die mit Tellern voll Reis und winzigen Teetassen bedeckt waren. Jeder einzelne Sohn des himmlischen Reiches führte seine gesamte Habe mit sich – eine hölzerne Kiste mit klirrendem Schloß und messingbeschlagenen Ecken, die die Erträgnisse seiner Arbeit enthielt: ein und das andre Feierkleid, etwas Weihrauch, ein wenig Opium vielleicht, Stücke namenlosen Plunders von eingebildetem Werte und ein kleines Häufchen Silberdollars. Diese letztern waren auf Kohlenausladern erworben, im Spiel oder durch einen kleinen Handel gewonnen, aus der Erde gegraben, in Bergwerken, auf Eisenbahnlinien oder im toddrohenden Schilfmoor unter viel Mühe und Schweiß errungen – mit unermüdeter Geduld gesammelt, mit Sorgfalt gehütet, mit wilder Gier geliebt.

      Ungefähr um zehn Uhr hatte eine Querdünung F1 vom Formosakanal her eingesetzt, ohne jedoch unsre Passagiere viel zu beunruhigen, da die Nan-Shan mit ihrem flachen Boden, ihren Schlingerkielen und ihrer großen Breite den Ruf eines außergewöhnlich stetigen Schiffes genoß. Obersteuermann Jukes pflegte in Augenblicken gehobener Stimmung am Lande von ihr zu rühmen, daß das alte Mädchen ebenso gut sei wie schön. Kapitän Mac Whirr wäre es nie eingefallen, seine gute Meinung so laut und in solch phantastischen Ausdrücken auszusprechen. Sie war zweifellos ein gutes Schiff und auch noch nicht alt. Es war noch keine drei Jahre her, daß sie in Dumbarton auf Bestellung einer kaufmännischen Firma in Siam – Sigg & Söhne – gebaut worden war. Als das Schiff segelfertig dalag, bis ins kleinste vollendet und bereit, seine Lebensarbeit zu beginnen, ruhten die Blicke seiner Erbauer mit Stolz auf ihm.

      »Sigg hat uns gebeten, ihm einen zuverlässigen Kapitän zu besorgen, um das Schiff hinauszuführen,« bemerkte der eine der beiden Geschäftsinhaber, worauf der andre nach einigem Nachsinnen sagte: »Ich glaube, Mac Whirr ist eben an Land.« – »Wirklich? Dann telegraphiere ihm sofort. Das ist der rechte Mann,« erklärte der ältere der beiden Männer, ohne einen Augenblick zu zögern.

      Am andern Morgen stand Mac Whirr in ungestörter Seelenruhe vor den Reedern. Er war um Mitternacht mit dem Expreßzug von London abgereist nach ebenso kühlem wie schnellem Abschied von seiner Frau, deren Eltern den höheren Ständen angehört und einst bessere Tage gesehen hatten.

      »Es wird gut sein, wenn wir zusammen einen Gang durch das Schiff machen,« sagte der ältere der beiden Herren, und die drei Männer machten sich auf, um die Vollkommenheiten der Nan-Shan vom Steven zum Stern und vom Kolschwinn bis zu den Knöpfen ihrer stämmigen Masten in Augenschein zu nehmen. Als sie auf dem Schiff angekommen waren, entledigte sich Kapitän Mac Whirr zuerst seines Rockes und hing ihn auf das Ende eines Dampfbratspills, das eine Verkörperung all der neuesten Verbesserungen darstellte.

      »Mein Onkel hat Sie mit der gestrigen Post unsern Freunden, den Herren Sigg, so gut empfohlen, daß sie Ihnen ohne Zweifel weitere Aufträge geben werden,« sagte der jüngere Teilhaber der Firma. »Sie können stolz darauf sein, das schnellste Schiff dieser Größe an der chinesischen Küste zu befehligen.«

      »Ah? Ich danke Ihnen,« murmelte Mac Whirr, für den die Aussicht auf eine ferne Möglichkeit nicht lockender war als für einen kurzsichtigen Wanderer die Schönheit einer weiten Landschaft. Er hatte den Blick zufällig gerade auf dem Schloß der Kajütentür ruhen lassen; jetzt ging er voll Eifer darauf zu und begann kräftig am Türgriff zu rütteln, während er in leisem, ernstem Tone bemerkte: »Man darf den Handwerksleuten heutzutage nicht trauen. Ein nagelneues Schloß und funktioniert nicht! Sehen Sie? Sehen Sie?«

      Sobald die beiden Herren sich allein in ihrem Bureau am jenseitigen Ende der Werft befanden, fragte der Neffe mit leichtem Spott: »Du hast den Burschen Sigg gegenüber so sehr herausgestrichen; was findest du eigentlich an ihm?« – »Ich gebe zu, daß er nichts von deinen neumodischen Kapitänen an sich hat, wenn du das meinst,« erwiderte der ältere Mann kurz. »Ist der Vorarbeiter der Schreiner von der Nan-Shan da? ... Kommen Sie einmal herein, Bates. Was soll das sein, daß Sie uns von Taits Leuten ein schlechtes Schloß aufhängen lassen? Das Schloß der Kajütentür ist total unbrauchbar. Der Kapitän bemerkte es, sobald sein Blick darauf fiel. Lassen Sie sogleich ein andres anbringen. Ja, ja, die Kleinigkeiten, Bates – was sage ich denn immer?«

      Das Schloß wurde demgemäß durch ein andres ersetzt, und wenige Tage später dampfte die Nan-Shan ostwärts, ohne daß Mac Whirr sich zu irgend einer weiteren Bemerkung über ihre Ausrüstung oder zu einem einzigen Worte aufgeschwungen hätte, das Stolz auf sein Schiff, Dankbarkeit für seine Ernennung oder Befriedigung über seine Aussichten verraten hätte.

      Von Natur weder geschwätzig, noch verschlossen, fand er nur wenig Veranlassung zu reden, außer in seinem Berufe. Hier mußte er natürlich Anweisungen geben. Befehle erteilen und dergleichen. Im übrigen aber? Mit der Vergangenheit war er fertig, die Zukunft war noch nicht da, und die gewöhnlichen Vorkommnisse des Tages bedurften keiner Besprechung – Tatsachen reden mit genügender Deutlichkeit für sich selbst.

      Der alte Herr Sigg liebte einen Mann von wenig Worten und einen, der sich nicht erlaubt, über die ihm erteilten Weisungen hinauszugehen. Da Kapitän Mac Whirr diesen Anforderungen durchaus entsprach, so behielt er das Kommando der Nan-Shan und führte sie mit Sorgfalt durch die chinesischen Gewässer. Sie war ursprünglich als britisches Schiff eingetragen, aber nach einiger Zeit hielten es die Herren Sigg für gut, sie unter siamesischer Flagge segeln zu lassen. Als Obersteuermann Jukes von der beabsichtigten Veränderung hörte, schien er sich persönlich beleidigt zu fühlen. Er ging brummend umher und ließ von Zeit zu Zeit ein kurzes, höhnisches Lachen hören. »Nein, 's ist zum Tollwerden! Einen einfältigen Arche-Noah-Elefanten auf seiner Flagge zu haben!« klagte er einmal, unter der offenen Tür des Maschinenraumes stehend. »Hol mich der Teufel, wenn ich das aushalte! Ich werde kündigen. Wird's Ihnen nicht auch übel, Herr Rout?«

      Der Oberingenieur schwieg und räusperte sich mit der Miene eines Mannes, der den Wert eines guten Kontraktes zu schätzen weiß.

      Am ersten Morgen, an dem die neue Flagge über dem Stern der Nan-Shan wehte, stand Jukes auf der Brücke und betrachtete den Elefanten mit ingrimmigen Blicken. Nachdem er eine Zeitlang mit seinen Gefühlen gekämpft hatte, bemerkte er: »Sonderbare Flagge das, Herr Kapitän!«

      »Was ist's mit der Flagge?« fragte Mac Whirr verwundert. »Scheint mir ganz in Ordnung zu sein.« Damit ging er ans Ende der Brücke um besser sehen zu können.

      »Nun, mir kommt sie sehr sonderbar vor,« stieß Jukes in höchster Erregung heraus und stürzte davon.

      Der Kapitän wußte nicht, wie er sich dieses Benehmen deuten sollte. Nach einer kleinen Weile begab er sich gemächlich ins Kartenhaus, holte sein »Internationales Flaggenbuch« hervor und schlug die Tafel auf, wo die Flaggen aller Nationen in bunten Reihen auf das Genaueste abgebildet waren. Er ließ seine Finger darüber gleiten, und als er zu Siam kam, betrachtete er mit großer Aufmerksamkeit das rote Feld und den weißen Elefanten darin. Nichts konnte einfacher sein; der Sicherheit halber trug er das Buch aber hinaus auf die Brücke, um die kolorierte Abbildung mit dem wirklichen Gegenstände auf der Flaggenstange vergleichen zu können. Als bald darauf Jukes, der an jenem Tage seinen Pflichten mit einer Art unterdrückter Wut nachging, in seine Nähe kam, bemerkte sein Gebieter: »Die Flagge ist in Ordnung.«

      »So?« murmelte Jukes, indem er sich vor einem Deckkasten auf die Kniee warf und eine Reservelotleine herausschleuderte.

      »Jawohl. Ich habe im Buch nachgesehen. Zweimal so lang als breit und der Elefant gerade in der Mitte. Ich dachte mir schon, daß die Leute hier sich auf die Landesflagge verstehen müßten. Das war nicht anders zu erwarten. Sie haben sich geirrt, Jukes ...«

      »Nun, Herr Kapitän,« begann der junge Mann, sich rasch erhebend, »ich kann nur sagen –« Mit unsicheren, zitternden Händen suchte er nach dem Ende der Leine.

      »Schon gut,« beruhigte ihn der Kapitän, indem er sich schwer auf einen kleinen Feldstuhl fallen ließ, den er besonders gern hatte. »Sie müssen nur dafür sorgen, daß der Elefant nicht verkehrt aufgezogen


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