Taifun. Joseph Conrad

Taifun - Joseph Conrad


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sie ordentlich naß zu machen.« Dann wandte er sich mit ungeheurer Entschlossenheit zu seinem Kapitän. Dieser aber hatte behaglich die Arme auf dem Brückengeländer ausgebreitet und fuhr in seiner nur unterbrochenen Rede fort: »Ich glaube nämlich, daß man das für ein Notsignal halten würde. Was meinen Sie? Der Elefant dort bedeutet, denke ich, dasselbe, was der Union-Jack auf der Flagge.«

      »So?« schrie Jukes so laut, daß alle Köpfe auf dem Verdeck der Nan-Shan sich nach der Brücke wandten. Dann seufzte er tief auf und bemerkte mit plötzlicher Ergebung in sanftem Ton: »Das würde freilich ein verdammt jämmerlicher Anblick sein.«

      Später am Tage wandte er sich an den Oberingenieur mit einem vertraulichen: »Soll ich Ihnen das neueste Stücklein des Alten erzählen?«

      Herr Salomon Rout (häufig der lange Sal, der alte Sal oder auch Vater Rout genannt) war fast überall, wohin er kam, der größte Mann und hatte sich infolge davon die gebeugte Haltung gemütlicher Herablassung angewöhnt. Er hatte spärliches, sandfarbenes Haar, und die Farbe seiner flachen Wangen, wie auch seiner knochigen Handgelenke und seiner langen Gelehrtenhände war so blaß, als hätte er sein Leben lang im Schatten gewohnt.

      Er lächelte von seiner Höhe auf Jukes herab, indem er ruhig weiterrauchte und seine Blicke bald da- bald dorthin schweifen ließ, wie etwa ein freundlicher Onkel der Erzählung eines aufgeregten Schuljungen zuhört. Dann fragte er, ohne sich im geringsten merken zu lassen, wie sehr ihn die Geschichte belustigte: »Und haben Sie ihm gekündigt?«

      »Nein,« schrie Jukes, und seine Stimme, die das Geräusch der Ladekrane übertönen mußte, klang angestrengt und erschöpft. Alles war in diesem Augenblick eifrig beschäftigt, Warenballen und -säcke mittels der Schinkelhaken aufzugreifen und auf das Ende langer Kranenarme zu heben, wie es schien, nur, um sie nachher achtlos wieder hinunterfallen zu lassen. Die Lastketten knirschten in den Hebeböcken, klirrten auf den Scheerstocken und rasselten über die Schiffswand; das ganze Schiff bebte und seine langen grauen Flanken waren von Dampfringeln umwoben. »Nein«, schrie Jukes, »ich habe nicht gekündigt. Wozu auch? Ebenso gut könnte ich meine Kündigung dem Schott da an den Kopf werfen. Ich glaube nicht, daß man einem solchen Manne überhaupt etwas begreiflich machen kann. Da hört einfach alles auf.«

      In diesem Augenblicke schritt Kapitän Mac Whirr, mit dem Regenschirm in der Hand vom Lande kommend, übers Verdeck, und hinter ihm drein ein düster blickender, würdevoller Chinese in seidenen, mit Papier besohlten Schuhen, ebenfalls einen Regenschirm in der Hand. In nur eben vernehmlichem Tone, den Blick auf seine Stiefel gerichtet, wie es seine Art war, erklärte der Gebieter der Nan-Shan, daß man diesmal in Futschou anlegen müsse, und ersuchte Herrn Rout, bis morgen nachmittag Punkt ein Uhr für Dampf zu sorgen. Er schob seinen Hut zurück, um sich den Schweiß von der Stirne zu trocknen, und brummte, es sei ihm nichts so verhaßt, als an Land gehen zu müssen, während der ihn überragende Herr Rout, ohne ihn eines Wortes zu würdigen, in erhabener Ruhe weiter rauchte und seinen rechten Ellbogen mit der linken Handfläche streichelte. Hierauf wurde Jukes in demselben gedämpften Tone angewiesen, das vordere Zwischendeck von jeder Ladung freizuhalten. Zweihundert Kulis sollten dort unten untergebracht werden. Die Gesellschaft Bun Hin schicke sie nach Hause. Fünfundzwanzig Säcke Reis würden sogleich an Bord gebracht werden, damit man Vorrat habe. Jeder von den Leuten führe eine Kampferholzkiste mit sich, und der Zimmermann müsse angewiesen werden, drei Zoll breite Latten an der ganzen Länge des Zwischendecks entlang anzubringen, damit diese Kisten nicht hinausfallen könnten. Es werde gut sein, wenn Jukes sogleich Vorsorge dafür treffe. »Hören Sie, Jukes?« Der Chinese hier solle als eine Art Dolmetscher das Schiff bis Futschou begleiten; er sei Bun Hins Sekretär und solle sich den Raum einmal ansehen. Jukes möge ihn führen. »Hören Sie, Jukes?«

      Jukes versäumte nicht, diese Weisungen an geeigneter Stelle mit dem pflichtschuldigen: »Ja, Herr Kapitän,« zu interpunktieren, allein es klang matt und gleichgültig. Sein barsches: »Komm mit, John,« veranlaßte den Chinesen, ihm auf den Fersen zu folgen.

      »Ein feiner Schlafsaal, was?« bemerkte Jukes, auf die offene Luke des Zwischendecks zeigend. Sein Ton war nicht eben zuvorkommend – dazu war er sich der Überlegenheit der eigenen Rasse zu sehr bewußt –, doch auch nicht unfreundlich. Der Chinese aber blickte traurig und sprachlos in die Finsternis des Zwischendecks hinab, als stände er am Rande eines offenen Grabes.

      »Da unten kommt kein Regen hinein,« erklärte Jukes. »Und bei schönem Wetter kann jedes Kulimännchen auf Deck heraufkommen und so machen,« fuhr er, sichtlich wärmer werdend, fort, »Puuuh!« Dabei dehnte er seine Brust aus und blies die Backen auf. »Nicht wahr, John? Frische Luft schöpfen! Gut. Da oben können sie auch ihren Reis essen und ihre Höslein waschen. Verstehst du, John?«

      Dazu machte er mit Mund und Händen die entsprechenden Bewegungen, und der Chinese, der sein Mißtrauen unter der Miene vornehmer Resignation verbarg, blickte aus seinen mandelförmigen Augen von Jukes auf die Luke und von der Luke wieder auf ihn zurück. »Sehr gut,« murmelte er in leisem, trostlosem Tone und glitt behende über das Verdeck, geschickt allen Hindernissen ausweichend, bis er schließlich hinter einem Haufen schmutziger Säcke verschwand, die, voll von irgend einer wertvollen Ware, einen widerlichen Geruch ausströmten.

      Kapitän Mac Whirr hatte sich inzwischen ins Kartenhaus begeben, wo ein zwei Tage vorher angefangener Brief der Beendigung harrte. Diese langen Briefe begannen regelmäßig mit den Worten: »Geliebtes Weib!« und der Steward, der den Fußboden zu scheuern und die Chronometerkästen abzustauben hatte, benützte eifrig jede Gelegenheit, sie zu lesen. Sie hatten für ihn entschieden mehr Interesse, als sie möglicherweise für die Frau haben mochten, für deren Augen sie bestimmt waren, und zwar deshalb, weil sie über jede glückliche Fahrt der Nan-Shan bis ins kleinste Bericht erstatteten. Ihr Führer, der sich an Tatsachen hielt – denn nur diese spiegelte sein Bewußtsein wider – beschrieb mit diesen Berichten viele Seiten auf das sorgfältigste. Das Haus einer nördlichen Vorstadt Londons, zu dem sie ihren Weg nahmen, hatte einen kleinen Garten vor seinen Erkerfenstern, eine hübsche, ansehnliche Vorhalle und bunt bemaltes Glas in imitierter Bleifassung an der Vordertüre. Der Kapitän bezahlte jährlich fünfundvierzig Pfund Sterling dafür und hielt die Miete nicht für zu hoch, weil Frau Mac Whirr, eine anspruchsvolle Persönlichkeit mit hagerem Halse, allgemein für eine Dame galt und in der Nachbarschaft als »ganz fein« bezeichnet wurde. Das einzige Geheimnis in ihrem Leben war das Grauen, das sie im Gedanken an die Zeit empfand, wo ihr Mann für immer heimkehren würde. Unter demselben Dache wohnte auch eine Tochter, mit Namen Lydia, und ein Sohn, Tom. Diese beiden kannten ihren Vater nur sehr wenig. Er war in ihren Augen mehr wie ein seltener, aber bevorzugter Gast, der des Abends seine Pfeife im Eßzimmer rauchte und im Hause über Nacht blieb. Das schmächtige Mädchen schämte sich seiner fast ein wenig; dem Knaben aber war er gleichgültig, und in der köstlich unbefangenen, geraden Art, die Knaben von männlichem Sinne eigen ist, machte er daraus kein Hehl.

      Zwölfmal im Jahre schrieb Kapitän Mac Whirr von der chinesischen Küste nach Hause, und jedesmal bat er, die Kinder von ihm zu grüßen, und unterschrieb sich: »Dein Dich liebender Gatte«, so gleichmütig, als wären die von so vielen Männern so lange schon gebrauchten Worte abgenützte Dinge ohne viel Wert und Bedeutung.

      Die chinesischen Meere sind im Norden wie im Süden ziemlich eng. Sie sind voll von Inseln, Sandbänken, Riffen, von raschen und veränderlichen Strömungen. Es sind das dort alltägliche, trotzdem aber oft recht verwickelte Dinge, die ihre eigene beredte Sprache zu dem Seemann reden. Diese Sprache hatte auf Kapitän Mac Whirrs Sinn für Tatsachen einen so mächtigen Eindruck gemacht, daß er seine Kajüte unten aufgegeben hatte und all seine Tage auf der Brücke seines Schiffes zubrachte. Manchmal ließ er sich sogar seine Mahlzeiten heraufbringen und schlief nachts im Kartenhause. Dort schrieb er auch seine Briefe nach Hause, deren jeder ohne Ausnahme den Satz enthielt: »Das Wetter ist auf dieser Fahrt sehr schön gewesen,« oder eine andere ähnlich lautende Bemerkung.

      Herr Rout schrieb auch Briefe; aber niemand an Bord ahnte, wie geschwätzig er mit der Feder in der Hand sein konnte, weil der Oberingenieur Einbildungskraft genug besaß, um sein Pult verschlossen zu halten. Seine Frau war entzückt von seiner Schreibweise.

      Die beiden hatten keine Kinder, und Frau Rout, eine stattliche, muntere Vierzigerin, bewohnte mit Herrn Routs ehrwürdiger,


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