Tödlicher Nordwestwind. Lene Levi

Tödlicher Nordwestwind - Lene Levi


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Wasserleiche sogar bald einen richtigen Namen.“

      „Wie heißt er? Ich könnte den Namen sofort hier in die Suchmaske eingeben.“ Jan stutzte kurz, dann fragte er: „Aber woher haben Sie diese Information?“

      „Moment! Nicht so hastig“, sagte Robert und wusch sich dabei seine ölverschmierten Hände in dem kleinen Waschbecken an der Wand. „Das können wir später immer noch überprüfen. Da gibt es zuvor noch eine andere Sache abzuklären.“ Robert trocknete sich ab und warf anschließend einen Blick in sein Notizbuch. „Sagt Ihnen der Name Boris Sergej Bogdanowitsch etwas?“

      Jan sah ihn ziemlich entgeistert an. „Bogdanowitsch? Noch nie gehört. Klingt irgendwie russisch, würde ich sagen.“

      Um etwas über diesen ominösen Boris Sergej Bogdanowitsch in Erfahrung zu bringen, bedurfte es nur weniger Mausklicks. Jan erledigte das im Handumdrehen.

      Bogdanowitsch war bis vor zehn Jahren ein ziemlich hohes Tier in der von dem Jukos-Vorstandsvorsitzenden Michail Chodorkowski mit gegründeten Menatep-Bank. Jukos Oil war damals der zweitgrößte russische Ölkonzern und das Geldinstitut war hauptsächlich mit der Aktienverwaltung dieses Unternehmens betraut. Bereits schon einige Jahre zuvor bezeichnete ein CIA-Reporting diese Bank als eine der korruptesten der Welt - mit engen Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Für US-Banken waren geschäftliche Kontakte mit der Menatep-Bank sogar untersagt.

      Noch bevor aber der Oligarch Michail Chodorkowski unter Putin in Ungnade fiel und ihm der Prozess gemacht wurde, hatte sich Boris Sergej Bogdanowitsch bereits aus dem Staub gemacht. Vermutlich ahnte er etwas von der Absicht der russischen Staatsmacht, den Ölkonzern zu zerschlagen und Chodorkowski abzuservieren. Er verschwand rechtzeitig von der Bildfläche und tauchte ab nach England, wo er einen Antiquitätenhandel gründete.

      „Damit war er offenbar ziemlich schnell erfolgreich“, sagte Jan und druckte einen Bericht aus.

      „Das würde zumindest das Auftauchen der Reverso bei dem Londoner Uhrmacher erklären“, sagte Robert zu sich, dann sprach er nachdenklich den Namen Boris Sergej Bogdanowitsch mehrmals hintereinander aus. Jan ging zum Drucker und betrachtete die Fotos in den Artikeln, die er im Internet von Bogdanowitsch aufgestöbert und ausgedruckt hatte: „Hier, das müssen Sie sich unbedingt ansehen.“

      „Was ist das?“

      „Ein Bericht aus einem englischen Online-Zeitungsarchiv. Der ist aber schon ein paar Jahre alt.“

      „Es genügt mir, wenn Sie mir sagen, was drinsteht.“

      „Okay. Ich fasse mal zusammen, was damals offenbar vorgefallen ist. Schon in dem Jahr, nachdem dieser Boris Sergej Bogdanowitsch Sankt Petersburg bei Nacht und Nebel verlassen hatte, starb er offenbar bei einem mysteriösen Verkehrsunfall auf einer Landstraße in der Nähe von Plymouth. Die genaue Unfallursache konnte jedenfalls damals nicht ermittelt werden. - Ein typischer Fall für Inspector Barnaby“, fügte Jan mit leicht ironischem Unterton hinzu, während der Drucker immer noch weitere Ergebnisse seiner Recherche ausspuckte.

      „Glaube ich nicht. Ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass Ausländer in den Drehbüchern der Inspector Barnaby-Serie gar nicht vorkommen? Da spielen immer nur stereotypische und schrullige Engländer eine Rolle. Und für einen Russen gäbe es darin schon gar keinen Platz. ‚Good Old England‘, verstehen Sie? Auch so eine Form von verdecktem Rassismus.“

      „Soweit würde ich nicht gehen“, verteidigte Jan seine erklärte TV-Lieblingsserie.

      „Ist aber so. Sie sollten mal drauf achten.“

      Robert eröffnete auf der Pinnwand eine neue Ebene, an die er Bogdanowitschs Foto und den Zeitungsbericht über dessen tödlichen Verkehrsunfall anheftete. Darunter landete eine vergrößerte Abbildung der Verzierung von der Innenseite der Armbanduhr. In seinen Gedanken vertieft, wendet er sich wieder Jan zu.

      „Konnten Sie auch schon was über Bogdanowitschs Antiquitätenhandel herausfinden?“

      „Nicht sehr viel. Er besaß wohl einen Laden in Brixham, einer kleinen Hafenstadt im Südwesten Englands. Sie liegt am südlichen Ende der Torbay-Bucht, direkt am Ärmelkanal und hat etwa 19.600 Einwohner. Muss wohl ein ziemlich idyllisches Fischernest sein. ‚Good Old England‘, würde ich sagen.“

      „Offenbar hatte er seinen Zufluchtsort nicht sehr klug ausgewählt.“

      „Wie kommen Sie darauf?“

      Das war keine wirkliche Frage, trotzdem antwortet Robert ihm: „Ich war lange genug in meiner Berliner Dienstzeit als Profiler damit beschäftigt, um aus ganz wenigen Informationen ein ganz bestimmtes Muster ableiten zu können. Bogdanowitschs Autounfall trägt ganz eindeutig eine Handschrift - die der russischen Mafia.“

      Jan rutschte der Kugelschreiber aus der Hand, mit dem er gerade auf der Tischplatte herumspielte. „Der russischen Mafia?“, wiederholte er Roberts letzte Bemerkung. „Wäre das nicht eine Nummer zu groß für uns?“

      „Oh ja, das könnte durchaus zutreffen.“

      In Roberts Gesicht zeichnete sich eine geringfügige Veränderung ab. Es war plötzlich eine Spur von Sorge darin zu erkennen. Aber er hatte noch nie an einem Fall arbeiten müssen, der ihm wirklich Angst einjagte. Deshalb versuchte er auch dieses unangenehme Gefühl zu unterdrücken.

      Jan registrierte Roberts plötzlich veränderten Tonfall.

      „Aber dann müssten wir doch das LKA informieren.“

      „Nicht so schnell! Wir ermitteln ja nicht im Fall Bogdanowitsch, sondern haben unseren eigenen Mordfall.“

      „Aber dieser Tote aus der Nordsee könnte ja ohne Weiteres auch ein Opfer der russischen Mafia sein. Glauben Sie das nicht auch?“

      „Glauben ist nicht so mein Ding. - Sagen wir mal so ... Ich halte es im Augenblick für eher unwahrscheinlich.“

      Robert trat einen Schritt zum Bürofenster und schob seinen Zeigefinger zwischen die Lamellen einer Jalousie. Er schaute hinunter auf den Parkplatz vor dem Polizeigebäude und konnte einen Mann erkennen, der an seinem Wagen herumschraubte. Ein Motor heulte auf, stotterte und verstummte wieder. Dann setzte sich Robert auf die Kante des Schreibtisches und begann eine Geschichte zu erzählen: „Vor etwa fünf Jahre, als ich noch bei der Kripo Dresden arbeitete, gab es da einmal einen merkwürdigen Fall. Ein Kollege, der mit mir am selben Raubüberfall arbeitete, brachte mich mit einem Typen zusammen, der angeblich sein Leben lang in Sachsen wohnte. Unerklärlicherweise sprach dieser Typ aber so, als wäre er irgendwo in Russland geboren, und da er niemals seine Sonnenbrille abnahm, wusste man nie, was tatsächlich in ihm vorging. Er sollte uns bestimmte Informationen liefern. Wenige Wochen, nachdem ich ihn zum ersten Mal traf, erschoss genau dieser Mann auf offener Straße zwei meiner besten Mitarbeiter. Einfach so, ohne offensichtliches Motiv. Bei den Ermittlungen stellte sich schließlich heraus, dass dieser Typ enge Verbindungen zur Russenmafia unterhielt und die beiden Männer dazu bringen wollte, mit der Mafia zusammenzuarbeiten. Als ihm dies nicht gelang, weil die beiden Polizisten ablehnten, da mit einzusteigen, drückte er einfach ab. Vielleicht verstehst du jetzt, weshalb ich solche zwielichtigen Gestalten nicht mag.“

      Jan verstand den tieferen Sinn dieser Geschichte nicht ganz. Er hatte nicht einmal die leiseste Ahnung, worauf Robert eigentlich hinauswollte. Aber er nickte dennoch.

      Robert blickte jetzt noch grimmiger als zuvor.

      „Das Geschäft der russischen Mafia ist der Sumpf, die Prostitution, der Menschenhandel. Sie bringen Pillen in die Discos, plündern Konten via Internet, verschieben Antiquitäten oder Immobilien, gründen dubiose Import-Export-Firmen. Nur heute töten sie nicht mehr demonstrativ, um damit ihre Visitenkarte für jeden Ermittler sichtbar zu hinterlegen, wie sie es noch vor wenigen Jahren getan haben. Ihre Mordmethoden sind inzwischen viel ausgefeilter, kunstvoller geworden. Sie machen sich ihre Finger nicht mehr schmutzig. Doch sie sind immer da und sehr gefährlich.“

      Robert sinnierte nun schweigend vor sich hin, stellte sich dann wieder vor die Pinnwand und sah auf die großen, grauen, noch freien Flächen, an denen noch keine Fotos


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