Das Leben ist ´ne Session. Frank Gahler

Das Leben ist ´ne Session - Frank Gahler


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und her stellte sich heraus, dass in der Nacht routinemäßig von den Bullen die Meldezettel kontrolliert wurden. Tatsächlich sind dann so ’nem übereifrigen Pisseschnüffler die unterschiedlichen Ausweisnummern von Herrn Linke aufgefallen – diss musste natürlich sofort überprüft werden – roch der Kollege doch mit seinen langen Loden schwer nach Staatsfeind, Konterrevolutionär und Hustensaftschmuggler.

      Nach einigen Telefonaten mit den „zuständigen Stellen“ kam dann der völlig übermüdete Micha im Hotel an. Auf der Fahrt nach Gera erzählte er uns erstmal was geschah: Nachts, so gegen 5 Uhr früh hämmert irgend so’n Arsch an die Zimmertür. Klar, dass Micha glaubt, dass es höchstwahrscheinlich der durstige Sebastian ist. Micha reißt also splitterfasernackt mit richtig Wut im Bauch die Tür auf, in dem er brüllt: „Du verdammte Mistsau, verpiss dich von meiner Tür!“ DAS fanden die strengen Ordnungshüter der Deutschen Demokratischen Republik ü – ber – haupt nicht witzig! Bei diesen humorlosen Wichsern war es schon fast ein Wunder, dass sie Micha noch die Möglichkeit gaben seine Blöße zu bedecken, bevor sie ihn zum Zwecke der Feststellung der Personalien mit ins Revier nahmen.

      Nach dem Motto: Wer den Schaden hat braucht für den Spott nicht zu sorgen haben wir uns noch lange über diesen Vorfall amüsiert. Anders als mit Humor – wenn auch sehr oft schwarzem – war die Omnipräsenz der Bullen und anderer

      Ordnungshüter manchmal kaum noch zu ertragen.

      KINO INTERNATIONAL

      In Berlin z. B. gaben wir mal ein Konzert im Kino „International“ in der Karl – Marx – Allee. Einer unserer Songs – „bye, bye Lübben City“ (Text übrigens von Lello) handelt davon, wie Leute ihrer Musik bzw. ihren Lieblingsbands jedes Wochenende hinterher trampen.

      BYE BYE LÜBBEN CITY

      er heißt Andreas, Micha oder Frank

      und kommt aus Lübben, Frankfurt oder anderswo

      in der Woche ist er Koch oder Schlosser oder Stift

      bei Meister sowieso

      er steht auf Karussell, auf Kerth und auf Monokel

      und auf singende Abgeordnete ach-i-wo

      am Wochenende steht er wieder an der Piste

      und zeigt seinen Daumen vor

      die Musik, die da gespielt wird, wo er hin will

      hat er lange schon im Ohr

      bye bye Lübben city

      the sun is gonna shining anymore

      Fieto, Wille, Gala, Kuhle, Speiche. Vor dem Pissoir Senefelder Platz

      Nun ergab es sich, dass in der DDR irgend so’n Typ einen Inlandsflug gebucht hatte und das Flugzeug doch tatsächlich entführte, um auf diesem Wege in den Westen zu kommen. Ein Fan von MONOKEL jedenfalls nahm auch mal einen Inlandsflug von Erfurt nach ich – weiß – nicht - wo, um zu einem unserer Konzerte zu kommen. Ich also nicht blöd und um keinen Gag verlegen werde daraus natürlich die Ansage zu „bye, bye Lübben City“ machen: “Also, wir wissen ja, dass viele von Euch viele, viele Kilometer trampen und viele, viele Strapazen auf sich nehmen, nur um Eure Lieblingsbands zu sehen. Einer ist sogar von Erfurt aus geflogen – DER WIRD WOHL GEHOFFT HABEN, DASS DAS FLUGZEUG ENTFÜHRT WIRD!“ Helle Freude im Publikum, super Stimmung! Nicht so nach dem Konzert in der Garderobe: vollkommen vergessend, dass wenn MONOKEL spielte auch immer mit der Anwesenheit staatlicher Gralswächter, sprich Stasischergen, zu rechnen war, hab ich mich laut Kalles nicht gerade leise vorgetragener Meinung viel zu weit aus dem Fenster gelehnt. Irgend so’n paar Sicherheitsnadeln haben den armen Kerl nämlich noch während des Konzerts mächtig wegen des kleinen Spruchs bearbeitet. Ja, ja, so’n Managör hat’s ganz schön schwör!

      Ende vom Lied war, dass wir in Berlin - Mitte ein halbes Jahr nicht auftreten durften, was unserer Popularität wieder mal sehr auf die Sprünge half.

      Letztendlich kann man anhand dieses Beispiels genau erkennen, wie leicht es war, in der DDR mit irgendwelchen Verboten belegt zu werden.

      Jahre später bei N.O.55 – wenn ich mal kurz vorgreifen darf - hatten wir z.B. einen Song: „Schlüsselkind“. In diesem Lied ging es ganz einfach darum, dass Kinder, deren Eltern den ganzen Tag arbeiten müssen oder wollen, mehr oder weniger auf sich gestellt sind und eben mit einem Schlüssel um den Hals durch die Landschaft ziehen. So weit, so gut, meiner Meinung nach nicht sooo ein wildes Thema, war schließlich auch ich so ein Schlüsselkind. Zu diesem Titel wurde ein Videoclip gedreht, und das Machwerk wurde in der Sendung „STOP ROCK“ beim Fernsehen der DDR vorgestellt. Relativ zeitgleich kamen wir mit jener Nummer noch bei dieser teilweise ungelenk anmutenden Jugendsendung des DDR-Fernsehens namens „RUND“ über den Äther, und die Welt schien, da der Song auf allgemeine Gegenliebe stieß, in bester Ordnung zu sein.

      Ja denkste wieder mal! Irgend eine sozialistische Lehrerpersönlichkeit, genau genommen eine Direktorin, hat nach abhören der Nummer bei „RUND“ doch tatsächlich einen geharnischten Brief ans Fernsehen der DDR geschrieben, mit dem bitterbösen Inhalt, dass ja solche „Auswüchse gesellschaftlicher Verwahrlosung“ in unserer sozialistischen Heimat unmöglich stattfinden können - immerhin gibt es ja bei uns ein hervorragendes Schul - und Hortsystem, darüber hinaus die beiden prima Pionierorganisationen, dann noch die FDJ, und zu guter letzt, allerorten Jugend - und Sportclubs mit aufregenden und spannenden Angeboten für unsere Buben und Mädchen, ergo: bei – uns – gibt - es – kei – ne - Schlüss – el – kin – der, basta!

      Ob Ihr’s glaubt oder nicht, von diesem Augenblick an wurde dieser Titel von diesen arschlosen, vorauseilend gehorsamen Pennern nie wieder im Fernsehen der DDR aufgeführt. Klar, wir haben den Song live bei jedem Konzert gespielt und ab und an wurde meist zu vorgerückter Stunde von besonders - ich schütt’ mich aus vor lachen – „mutigen“ Redakteuren oder Moderatoren das Werk zum besten gegeben, aber die Chance mit diesem erstklassigem Teil einen Hit zu landen war mit diesem Tage gründlich vertan.

      Da ich den Text von Werner Karma damals wie heute zwar sehr schön und treffend fand und finde, aber ehrlich gesagt nix Brisantes oder gar Gesellschaftsfeindliches in ihm zu entdecken vermag, komme ich zu dem unumstößlichen Schluss, dass in diesem miefigen, kleinen Land Verbote in sehr vielen Fällen nicht ausgesprochen wurden, weil das zu Verbietende so intelligent, weitsichtig oder gar revolutionär war, sondern doch ja wohl eher, weil die Verbieter so erbärmlich dumm, kurzsichtig und spießig waren. Leider ergeben sich im Laufe der Geschichte gerade daraus pikante Merkwürdigkeiten: Leute (und bei „Künstlern“ beobachte ich dieses Phänomen ganz oft), die nicht besonders viel zu sagen hatten, aber – weil sie vielleicht in irgend eine Hotelhalle gekackt haben – mit stumpfsinnigen Verboten, welcher Art auch immer, zu kämpfen hatten, spielen sich heute, nach der Wende als Dissidenten und wahre Volkshelden auf. Auch irgendwie eklig! Hier ein Text von dem wunderbaren Werner Karma für einen Song, den ich dann Jahre später bei N.O.55 trällern sollte…

      SCHLÜSSELKIND

      Ich war so lang ich denken kann ein Schlüsselkind

      Und niemand hat mich je gefragt

      Wie ich das wohl find

      Die Alten hatten wenig Zeit für ihren Sohn

      Und kamen sie gestresst nach Haus

      Schlief ich meistens schon

      Ich war so lang ich denken kann auf mich gestellt

      So war die Welt in die ich kam

      keine heile Welt

      So kommt es dass ich heute noch

      An Ecken Stoss`

      Und alle Leute wundern sich

      – Woran liegt das bloß?

      Die


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