Das Leben ist ´ne Session. Frank Gahler

Das Leben ist ´ne Session - Frank Gahler


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vorbei.Jeder von uns war immer noch bewaffnet mit jeweils einer Pulle Whiskey und einer fetten Zigarre, und so torkelten wir in provokatorischer Absicht in eben diesen Laden mit den folgenschweren Worten:„Wenn wa hier drinne unsre Ssigarren roochen dürfen un`wenn wa hier drinne unsan Whiskey schlürfen dürfen – dann kannste uns die Haare abschnippeln!“

      Womit wir nicht gerechnet hatten: der alte Meister der deutschen Figarovereinigung schmiss uns nicht etwa hochkantig aus seinem Geschäft, sondern bewies richtiggehenden erstklassigen Humor und lud uns zu den von uns genannten Konditionen ein, doch bitte Platz zu nehmen und die Asche doch bitte wenn möglich ins Waschbecken zu befördern.

      Na so eine Pleite! Ein humorvoller alter Frisörmeister – das konnte doch keiner ahnen! Nun konnten wir natürlich auf keinen Fall mehr einen Rückzieher machen, also saßen wir wie in einem billigen Italowestern nebeneinander auf diesen Frisörstühlen, riesige weiße Tücher über unseren Körpern, in der linken Hand eine Flasche Fusel und in der Rechten eine Havanna.Wie gesagt, ein Zurück gab es nicht mehr und ich erinnere mich daran, dass ich in meinem Suff die fallenden Haare eher mit belustigtem Interesse von mir scheiden sah als mit Furcht und Schrecken.

      An dieser Stelle möchte ich dringend darauf hinweisen, dass damals lange Haare in der DDR weit mehr waren als eitler Kopfschmuck – vielmehr doch wohl waren sie Ausdruck einer bestimmten Haltung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft und besonders gegenüber diesem lächerlich autoritären Staat. Aber Gedanken dieser Art wollten sich in jenem Augenblick partout nicht einstellen – das kam später!

      Egal, wir bedankten uns höflich bei dem sympathischen Till Eulenspiegel des Frisörhandwerks, ließen ein üppiges Trinkgeld zurück und kullerten – nun vollends besoffen – in Richtung Folk – Festival, das in irgendeinem riesen Kulturhaus stattfand. Da ich zu dieser Zeit schon ein einigermaßen bekanntes Gesicht zumindest in der Szene hatte, fiel es mir nicht schwer, über den Bühneneingang ins Innere des Veranstaltungsortes zu gelangen. Dort legte ich mich erstmal direkt hinter der Bühne auf irgend was rauf und begann, während zwei Meter von mir entfernt auf der Bühne die Action tobte, meinen ordentlichen Rausch auszuschlafen.

      Keine Ahnung, wie lange ich da so rum lag – als ich erwachte hatte ich jedenfalls in der einen Hand eine Titte und in der anderen meinen Schwanz – ich schickte mich allen Ernstes gerade an, irgend ein vollbusiges, blondes Superweib zu vernaschen. Als mir langsam nüchtern werdend dämmerte wo ich mich befand, verwarf ich dieses nutzbringende Vorhaben doch lieber, um mich der Musik zu widmen, die da wohltuend an mein Ohr drang. Ich stecke also meinen kurz geschorenen aber seehr schweren Kopf durch den Vorhang und stehe mir nichts dir nichts hinter den Musikern mitten auf der Bühne.

       Auftritt nach „Haare ab“ Aktion im HdjT in Berlin Speiche, Gala, Basti (v.l.n.r.)

      Was nun passierte war Erster so ‘n Zwischending zwischen frenetischem Applaus und hämischem Auslachen – mir machte diss nix aus, ich war ohnehin mit allem durch. Nachdem ich mich so gegen vier Uhr am Morgen auf dem Potsdamer Bahnhofsklo des unleugbaren Überschusses an Alkohol kotzenderweise entledigte, hab` ich es dann tatsächlich noch irgendwie nach Berlin geschafft. Als ich am nächsten Nachmittag im Wohnzimmer auf der Couch erwachte, stand meine damals dreijährige Tochter Sarah vor mir und wollte beim besten Willen diesen kurzhaarigen, stinkenden Kerl nicht als ihren Vater erkennen. Diese Scham hat mir noch lange in den Knochen gesessen!

      PROBERAUM

      Proberäume waren damals wie auch heute so wichtig wie knapp. Ulf Voigt hatte da von einem leer stehenden ehemaligen Fleischerladen in der Marienburger Strasse im Prenz’l berg gehört. Wenn man aber auch nur den Hauch von `ner Chance auf Dauerhaftigkeit eines Mietvertrages haben wollte, musste das ganze von der KWV (Kommunale Wohnungsverwaltung) Abtlg. Gewerberaumlenkung offiziell abgesegnet werden. Dazu benötigten wir von irgend `ner offiziellen Stelle ein Schreiben, aus dem hervorging, dass wir… bla, bla, bla!

      Ich also hin zu Wolfgang Friedrich, der ja immer noch der für uns „zuständige“ Kulturfuzzy beim Rat der Stadt war. Das ganze frei nach dem Motto: NU ZEIG MA WIE DE MICH UNTERSTÜTZT BEI DER GANZEN KAPELLENLEITERKACKE!

      Ich mach’s kurz – ich weiß nicht, wie oft ich zwischen Berliner Haus für Kulturarbeit und Gewerberaumlenkung hin und her gefahren bin, wie lange ich insgesamt in Amtsfluren Zeit verplempert habe und wie viele Fusseln ich mir an die Fresse geredet habe – der Proberaum war irgendwann endlich unser!! Proberaum ist hier allerdings charmant übertrieben, wir mussten erstmal `ne Menge Arbeit in die Hütte stecken, aber zu Fleiß und Ausdauer gesellte sich auch noch `ne ordentliche Portion Glück: direkt über dem Proberaum wohnte `ne Familie Taubstummer! Nee ehrlich, die gesamte Familie konnte nicht sprechen und hören.

      Da mein Onkel Jürgen damals schon Elektromeister war und die Installation und Abnahme der Elektroanlage übernahm, verging die Zeit wie im Fluge. Nachdem wir das ganze also ordnungsgemäß ausgebaut hatten – mit Materialien, deren abenteuerliche Beschaffung uns bei Entdeckung einige Zeit schwersten Karzer eingebracht hätte - machten wir erstmal `ne Mietervollversammlung mit lecker Schnaps und dem Versprechen niemals länger als 20 Uhr zu proben.

      Ich schwöre, es fiel nie `n Ton nach 19 Uhr! So war es immer. Im Osten brauchtest du `n dickes Fell und Geduld – dabei halte ICH Geduld nichtgrade für `ne Tugend - aber mit `ner ordentlichen Portion Frechheit und `nem Stiernacken war selbst in der verkrusteten, von vorsichtigen, mit vorauseilendem Gehorsam verseuchten Schwanzlutschern übersäten DDR so einiges möglich.

      ENDESFELDER

      Eine relativ kurze Zeit probierten wir eine Besetzung mit Piano. Leider funktioniert das Ganze nur mit einem Pianisten! In diesem Fall handelte es sich um Ludwig Endesfelder. Er selbst hielt sich für den begabten Bruder von Thelonius Monk und somit selbstverständlich auch für unersetzbar und sah mit seinem störrischen roten Haar und seinem wilden, ebenso roten Bart eher wie ein germanischer Krieger auf der Suche nach versprengten römischen Legionären aus. Von Rhythm & Blues hatte der olle Krieger soviel Ahnung wie `ne Kuh von Stabhochsprung und die Mitgliedervollversammlung seines persönlichen Fanclubs konnte mühelos in einer Telefonzelle abgehalten werden. Dass er schlecht Cello spielte, riss den Karren auch nicht mehr aus’m Dreck.

      Es war also nur `ne Frage der Zeit – kurzer Zeit – dass Ludwig Endesfelder die Band unter unwürdigstem Gezeter, und der Erkenntnis, dass die Friedhöfe voll sind von unersetzbaren Menschen, verlassen musste. Ich denke mal, die Erfahrung mit DIESEM anstrengenden Zeitgenossen als Pianisten hat bei uns einen derart starken Eindruck hinterlassen, dass wir noch sehr, sehr lange auf Piano, Keyboards und vor allem auf die großen Künstler, die diese Instrumente bedienen, verzichtet haben.

      Tommy Meissner, im Hintergrund Ludwig Endesfelder

      In der Zwischenzeit musste Detlef Nietz zur Armee, dafür kam Tommy Meissner. Guter Gitarrist und Sänger, allerdings mit dem Charme eines Sachbearbeiters im Finanzamt Oberschöneweide. Tommy rauchte wie andere Leute atmen, und zwar die RICHTIGEN Aparillos - sprich Zigarren und verwandtes.

      Eines Morgens – wir übernachteten im Studentenwohnheim in Wismar und schliefen dort in Doppelstockbetten – wachte ich den Bruchteil einer Sekunde vor Tommy, der im Doppelstockbett unter mir lag, aus meinen Träumen auf. Das Schauspiel, das sich mir dann bot, machte mich allerdings glauben, weiterhin vom Wahnsinn umarmt in tiefsten Träumen zu stecken : Tommy erwachte also – eigentlich sah ich nur seine Haare und seinen Bart, da seine Gesichtsfarbe eher der Farbe des sauberen Bettlakens glich, der Junge war leichenblass – na jedenfalls tastet der Irre, noch bevor er die Äuglein aufschlägt nach links neben sich, um sich dort eine am Vorabend sorgsam deponierte Zigarre zu angeln. Todesmutig wird dieses Teil entflammt, was ihn dann doch dazu bringt die blutunterlaufenen Gucklöcher zu öffnen. Nach einigen langen, genussvollen Lungenzügen und kleinen, leisen Grunzern steht seine Unübertroffenheit auf, was, da ich ja oben lag bedeutete, dass wir uns direkt in die Augen sahen. Tommy hält inne, betastet seinen Oberkörper und brabbelt an der im Bart steckenden Zigarre vorbei, dass es ihm morgens immer so verdammt schlecht gehe und eigentlich


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