Genesis IV. Alfred Broi
Kralle des Monsters hinter ihm wuchtig Mavis Oberkörper. In seinen eigenen Schrei aus Verwirrung und Schmerz, mischte sich das Geräusch eines gewaltigen Blutschwalls, der wie aus einem platzenden Luftballon auf Melia zuschoss und ihr direkt ins Gesicht und auf den Oberkörper spitzte.
Und genau in diesem Moment drang ihr eigener, gellender Schrei nach außen...
Melia riss ihre Augen auf und ihr Oberkörper zuckte ruckartig in die Höhe.
Ihr Schrei, der so wuchtig aus ihr herauszubrechen drohte, erstickte in der Bewegung, sodass nur ein schmerzhaftes Stöhnen zu hören war.
Während ihr Atem stoßweise und flach, aber rasend schnell ging, spürte sie ein widerliches Rauschen in ihren Ohren und ihren wuchtigen und hämmernden Herzschlag unter der Schädeldecke.
Das Bild vor ihren Augen war anfangs verschwommen, doch auch als es sich klärte, brachte es kaum Erkennbares hervor, denn um sie herum herrschte ziemliche Dunkelheit.
Melia lauschte, doch sie konnte kein Geräusch vernehmen, außer ihrem eigenen, hektischen Atem.
Als sie sich umblickte, sah sie ein sehr schwaches Licht, milchig-blau aus unbestimmter Quelle, einige Meter rechts von ihr, doch es war nichts und niemand dort zu erkennen.
Und so blieb sie allein in der Dunkelheit mit ihren furchtbaren und quälenden Erinnerungen, die sie schon oft heimgesucht hatten, wenn sie eingeschlafen war, nur damit sie am Ende voller Grauen und Panik aufschreckte, um zu erkennen, dass sie nur geträumt hatte.
Stets stand dabei dieser Mann im Mittelpunkt ihrer Träume. Der Mann, von dem sie wusste, dass sie ihn kannte, an den sie sich aber mit jedem neuen Tag nur noch schemenhafter erinnern konnte.
Ohne Chalek und dem Stein, den er auf wundersame Weise beeinflusst hatte, damit er ihre Erinnerungen speicherte, hätte sie ihn sicherlich schon längst vergessen.
So aber betrachtete sie ihn stets bevor sie einschlief. Am Ende konnte sie dann so unendlich intensiv von ihm träumen, dass nur die Realität klarer hätte sein können. Bis zu dem Moment, da sie, so wie gerade eben, schweißgebadet und voller Entsetzten aufschreckte.
Und während es ihr dann gelang, sich wieder zu beruhigen, war ihr klar, dass sie geträumt hatte, dass die Realität jedoch nicht viel besser war, denn konnte sie in ihren Träumen diesen Mann so klar und deutlich vor sich sehen, so war jedes Bild von ihm dahin, sobald sie die Augen geöffnet hatte.
Zurück blieb nur eine undeutliche, schemenhafte Erinnerung an ihn. Die konnte zwar sein Bild im Stein wiederauffrischen, doch der Schmerz in ihr blieb, weil sie wusste, dass sie diesen Mann einst wirklich geliebt haben musste, da Chalek nur so imstande gewesen war, sein Bild überhaupt in dem Stein zu bewahren.
Und all diese bittere Erkenntnis, all diese Machtlosigkeit ohne Hoffnung, machte sie zynisch, unruhig und zornig, weil sie erkannte, wie trostlos, erbärmlich und wertlos ihr eigenes Leben war.
Bis zu dem Moment, wo ihr die Realität des globalen Krieges, dem sie nun schon seit sieben Jahren ausgesetzt waren, wieder bewusst und ihr damit klar wurde, dass sie weder das Recht hatte, sich zu beklagen, noch die Zeit war, um Derartiges zu tun.
Frustriert, kraftlos und ohne jede Hoffnung stöhnte sie nochmals auf und atmete tief durch.
„Alles okay?“ Die Worte kamen von rechts aus dem unwirklichen Halbdunkel. Obwohl dort noch immer niemand zu sehen war, blieb Melia ruhig und gelassen, denn sie kannte die Stimme nur zu genau. Stattdessen zeigte sich ein säuerliches Grinsen auf ihren Lippen. „Nein...!“ gab sie zurück und sie lachte einmal leise verächtlich auf. …nicht wirklich!“ Sie erhob sich und ging ein paar Schritte auf das bläuliche Licht zu. Allmählich waren die dunklen Umrisse einer Person zu erkennen, die vor einer Felswand saß. Neben ihr lagen ein paar kleine Leuchtkristalle, die für das diffuse Licht sorgten. Melia trat neben die Gestalt und hockte sich nieder. Jetzt konnte sie das Gesicht des Mannes sehen, der sie ebenfalls geradeheraus anblickte. Es war Kalipos, der Anführer ihrer Gruppe, die er vor so unendlich langer Zeit hier oben auf dieses Hochplateau geführt hatte, wo sie seitdem unerkannt vor ihren Feinden und dem Krieg lebten und überlebten. Die Jahre hatten sein Gesicht deutlich geprägt. Es war kantiger, wettergegerbt, aber auch sehr viel älter geworden. Für einen Wimpernschlag trafen sich ihre Augen und Melia huschte ein ehrliches Lächeln über die Lippen, bevor es wieder verschwand und sie ihren Kopf zur Felswand drehte. Dort gab es einen etwa einen Meter langen und vielleicht zwanzig Zentimeter breiten, natürlichen und daher unregelmäßigen Spalt in dem mindestens einen Meter dicken Gestein, durch den man nach draußen schauen konnte. Melia ließ ihren Blick für einen Moment dort verweilen.
Das Plateau lag fast eintausend Meter über der Ebene, die sich nach Norden hin anschloss, sodass sie jetzt einen hervorragenden Blick darauf hatte, der hinauf bis nach Guavit reichte, ihres Zeichens Hauptstadt von Tibun, wenngleich von der einstmals prachtvollen und schillernden Metropole mit ihren über zwei Millionen Einwohnern nichts zurückgeblieben war, als ein gewaltiger Trümmerhaufen und ein noch größeres, blutgetränktes Schlachtfeld mit unzähligen, grausamen Opfern, deren Fleisch längst verdaut und deren Knochen längst verfault waren.
Dennoch war das Gebiet dort weiträumig in einem sanften Grün erleuchtet. Grund hierfür war die noch immer vorherrschende Anwesenheit der Fremden, die etwa zwei Dutzend Atmosphärenwandler in und um das ehemalige Stadtgebiet aufgestellt hatten. Diese monströsen, fast eintausend Meter hohen Maschinen in der Form einer Zigarre auf vier Stelzen, taten unablässig nichts Anderes, als pures Gift in die Atmosphäre zu blasen, um sie so für die Fremden lebensfähiger zu machen.
Immer wieder gab es Angriffe der Menschen gegen diese Wandler und meist wurden sie dann auch zerstört. Doch genauso oft erschien Ersatz dafür aus den Rüsseln der Anomalien und wenig später gab es neue Wandler, die sich in die Höhe drückten und ihre teuflische Arbeit fortsetzten.
Am Ende würden diese Maschinen ihnen allen den Tod bringen, doch, dessen war sich Melia sich mittlerweile ziemlich sicher, würde es soweit wohl gar nicht mehr kommen. Denn mehr als deutlich und auch für sie als Laien klar ersichtlich, hatte sich dieser Planet - ihre Heimat - durch all das Gift, das in seine Atmosphäre gepumpt worden war, aber auch durch die in unzähligen, sieglosen Schlachten eingesetzten Waffen, verändert. So sehr, dass sein Sterben immer schneller und immer deutlicher von allein voranschritt und durch nichts und niemanden mehr aufzuhalten war.
In ihrem Versuch, die fremden Aggressoren wieder von diesem Planeten zu eliminieren, hatten die Menschen Dinge getan und Waffen eingesetzt, die sie ihrem Ziel vielleicht nähergebracht haben mochten, ihnen aber trotzdem den Planeten nicht mehr zurückbringen konnten, da sie ihn unweigerlich und unwiderruflich zerstört hatten.
Vielleicht konnten sie den Feind doch noch besiegen, doch sterben würden sie dennoch alle, denn der Preis hierfür wäre der Planet selbst.
Und die Auswirkungen waren immer deutlicher und immer drastischer zu sehen und zu spüren. Der Himmel verdunkelte sich von Tag zu Tag immer mehr. Die Luft stank und war ohne Atemschutz schon lange nicht mehr dauerhaft zu atmen, ohne eine Gesundheitsschädigung zu riskieren. Von Tag zu Tag wurde es schwieriger, Nahrung zu finden. Pflanzen verdorrten unter der Hitze oder wurden durch den sauren Regen zerstört. Die Tiere wurden krank, ihr Fleisch immer seltener genießbar.
Hinzu kamen gewaltige Gewitterstürme, die gnadenlos über sie hinwegfegten, sowie in der letzten Zeit immer häufiger Erdstöße, die den Boden erbärmlich zum Erzittern brachten.
Nein, für Melia war klar, dass es nicht mehr lange dauern und ihr aller Ende kommen würde. Nicht der Feind würde sie alle ausrotten, Santara selbst würde es tun und diese Teufel dabei gleich mitreißen.
Niemand würde in diesem Krieg mehr der Sieger sein, doch Melia war sich natürlich bewusst, dass diese Bestien von einem fremden Planeten den Tod erst zu ihnen gebracht hatten. Und deshalb war der Hass auf sie noch größer, als die Furcht vor dem Ende aller Tage. Als eine der Führungspersonen ihrer Gruppe, zu dem sie sich mittlerweile gemausert hatte, durfte sie solche Gefühle allerdings nicht offen zeigen. Also konzentrierte sie sich darauf, das tägliche Überleben zu sichern und den Feind so genau wie möglich im