Genesis IV. Alfred Broi
schon vorangeschritten war. Die Sichtweite lag kaum noch über fünfzig Metern, sodass sie bei dieser hohen Geschwindigkeit das Gefühl hatten, als würden sie durch eine widerliche Wolke aus gerade aufgewühlten Schlamm fliegen. Ohne Sonar wären sie hoffnungslos verloren gewesen. Dennoch waren sie erschrocken, wie schlimm es um den größten Ozean des Planeten bereits bestellt war. Ihre Stimmung wurde zusätzlich noch dadurch getrübt, dass sie die ganze Zeit über so gut wie kein Lebewesen zu Gesicht bekamen. Von der artenreichen, faszinierenden Vielfalt des Lebens hier unten schien nichts mehr geblieben zu sein. Ganz im Gegenteil. Mehr als lebendige Geschöpfe, konnten sie riesige tote Tiere oder gar nur noch Skelette sehen, die gespenstisch im Wasser trieben und über die sich die Räuber der Meere hermachten, bei denen sich jedoch – auch das konnten sie deutlich erkennen – vielfach bereits schlimme und ekelhafte Mutationen und Deformationen aufgrund der im Wasser gelösten Gifte zeigten.
Alles in allem war ihre Fahrt nach Norden eine gespenstische Angelegenheit und ihre besorgten Mienen wichen erst ganz allmählich einer grimmigen Entschlossenheit.
Bisher waren sie in einem Abstand von rund fünf Meilen der poremischen Küste gefolgt. Als das Sonar jedoch anzeigte, dass westlich von ihnen die Mimbas-Hochebene auftauchte, änderte Rimbo ihren Kurs und flog sie direkt an.
Wenig später schoss das Flugboot mit hoher Geschwindigkeit aus dem Wasser, jagte fast senkrecht die hoch aufragenden Klippen entlang, bis Rimbo das Schiff bei einer Geschwindigkeit von über fünfhundert Meilen in der Stunde kaum mehr als zwanzig Meter über dem Boden nach Nordwesten lenkte.
Die Eiswüste, die sich vor ihnen ausbreitete, schien endlos zu sein. Noch war der Boden unter ihnen zu erkennen. Er bestand hauptsächlich aus kargem, kalten, grauen Fels, der nur gelegentlich von braunen Stellen durchzogen wurde. Vegetation gab es hier so gut wie keine. Hier und da zuckten einige Morok- und Niariherden unter ihnen vorbei und gelegentlich konnten sie einen Sirukbären mit seinem charakteristischen, weißen Fell erkennen, doch sie waren sich einig, dass es viel weniger waren, als noch ein paar Jahre zuvor, als sie sich bei dem Manöver in der Hochebene ihren Iritat-Kristall verdient hatten, der sie zum Eintritt in die legendäre, aber längst schon nicht mehr existente Storp-Einheit berechtigte.
Rimbo lenkte die Amarula zunächst so schnell es ging weiter nach Norden, bis sie schließlich die Ausläufer des Pascabiro-Massivs erreichten, den größten und gewaltigsten Gebirgszug auf ganz Santara. Mittlerweile hatten sie bereits eine Höhe von sechstausend Metern über dem Meeresspiegel erreicht und der Boden unter ihnen war nur noch von einer dicken, orange-weißen Eisschicht bedeckt, doch angesichts der wuchtigen und gewaltigen Bergriesen, die sich links von ihnen auftürmten, wirkten sie noch immer lächerlich niedrig. Die Gipfel schoben sich von hier aus im Mittel nochmals weit über zehntausend Meter in die Höhe, doch auch sie wirkten nur klein und unscheinbar gegen den mit Abstand höchsten Berg des Planeten, dem Mos Iridas, der sich bis auf fast achtundzwanzigtausend Metern über dem Meeresspiegel erhob. Auf seinem Gipfel stand noch immer das größte und leistungsfähigste Teleskop Santaras, welches letztlich mit dafür gesorgt hatte, dass die Existenz der Anomalie, die ihnen diesen furchtbaren Krieg gebracht hatte, offenbart werden konnte, seither jedoch nicht mehr genutzt und daher auch nicht mehr gewartet wurde, sondern in seinem eisigen Grab längst in Vergessenheit geraten war.
Heute - so wie eigentlich ständig in den letzten Monaten - waren die Gipfel der größten Berge auch nicht zu erkennen, sondern wurden von gewaltigen, dunklen und beeindruckend bedrohlichen Wolkentürmen umhüllt, die kaum einen Blick in den Himmel zuließen. Immer wieder zuckten grelle Blitze in ihnen auf, die auf brutale Gewitterstürme hindeuteten.
Die Außenhülle der Amarula begann leicht, aber stetig zu erzittern, immer wieder peitschten wilde und gewaltige Regengüsse gegen die Frontscheibe.
„Was ist das?“ fragte Esha dann auch sofort, als sie zusammen mit Shamos und Pater Matu ins Cockpit trat. Ihnen folgten Malawi und Idis, die beiden jungen und sehr attraktiven kimurischen Truppenführer, in die sich Kendig und Rimbo Hals über Kopf verliebt hatten und mit ihnen schließlich sogar den ewigen Bund eingegangen waren. Zusammen mit den beiden waren jetzt alle sieben Besatzungsmitglieder des Schiffes im Cockpit zugegen. Da es nicht für so viele Personen ausgelegt war, fanden lediglich Esha hinter Rimbo, sowie Shamos hinter Kendig Platz. Idis deutete Matu an, sich auf den Sessel des Navigationsoffiziers hinter Shamos zu setzen, doch der Geistliche schüttelte den Kopf, sondern zog es vor, so wie Malawi, im Mittelgang auf den Sessellehnen gestützt stehen zu bleiben. Idis nickte und nahm daraufhin kurzerhand selber dort Platz.
Esha schaute mit großen Augen nach links aus dem Cockpit, wo das Felsmassiv aufragte.
„Das ist der Wind!“ gab Rimbo als Antwort auf ihre Frage zurück. „In den Wolken da…!“ Er deutete auf die sich bewegende, pulsierende und daher fast wie lebendig wirkende Masse über ihnen. „...toben permanente Gewitterstürme, die gegen die Berge prallen und dann als Fallwinde hinabstoßen. Dabei legen sie noch ordentlich an Geschwindigkeit zu, bevor sie südwärts über die Hochebene peitschen. Im Moment haben wir Windgeschwindigkeiten von...!“ Er schaute auf das entsprechende Instrument auf der Steuerkonsole. „...weit über vierhundert Meilen in der Stunde!“
„Wow!“ Esha war sichtlich beeindruckt, aber auch deutlich besorgt. „Das ist viel!“
„Genau!“ Rimbo grinste. „Und die bringen die Außenhaut der alten Lady hier mächtig ins Wanken!“
Kendig, der bisher stumm geblieben war, jetzt aber sehen konnte, dass Eshas Blick nur noch sorgenvoller wurde, lächelte müde. „Keine Sorge!“ Er wartete, bis Shamos Frau ihn ansah. „...das Schiff hält das locker aus!“
„Was?“ Rimbo war sichtlich überrascht und verlor sein Grinsen. „Haben sie etwa Angst?“ Er grinste wieder und lachte leise auf. „Lady, die gute alte Amarula hat schon ganz anderes hinter sich gebracht. Für sie ist das hier nicht mehr als ein kurzes Schaudern!“
„Und was ist das hier?“ Esha war nur für den Bruchteil einer Sekunde zufrieden, dann deutete sie auf die Außenscheiben des Schiffes. Deutlich war dort zu sehen, wie sich der Frost langsam von den Außenseiten immer weiter auf dem Glas ausbreitete. Es sah fast so aus, als würden die Scheiben splittern, was ihr augenblicklich sichtlich neue Sorgen bereitete.
„Wir sind hier auf der Mimbas-Hochebene!“ erwiderte Kendig ruhig und freundlich. „Die Außentemperaturen liegen hier normalerweise bei minus 45 Grad. Durch die Gewitterstürme und die Fallwinde aber sinkt das Thermometer nochmals deutlich ab. Im Moment haben wir eine Außentemperatur von...!“ Er schaute auf das entsprechende Instrument. „...minus 63 Grad!“ Als er Esha wieder ansah, schien er selbst ein wenig beeindruckt zu sein. „Trotzdem auch hier kein Grund zur Sorge. Das Schiff und ganz speziell seine Scheiben sind für extreme Belastungen gebaut worden. Dazu gehört der gewaltige Wasserdruck in den Tiefen der Meere, genauso wie dieser immense Frost!“
Esha schaute ihn einen Moment unsicher an, dann nickte sie.
„Warum sind sie hier entlanggeflogen?“ fragte dann auf einmal Shamos.
Kendig wandte sich zu ihm um. „Nun, als sie sagten, wir sollten die Ostküste ansteuern, sagten sie nicht, auf welchem Weg! Wir nahmen zwar an, dass sie es eilig haben, aber mehr noch, dass sie ihr Ziel überhaupt erreichen wollen!“
Shamos Blick verdunkelte sich. „Was soll das heißen?“
Kendig sah ihn fast schon verwundert an, doch bevor er antworten konnte, erledigte das Malawi mit einem nachsichtigen Lächeln für ihn. „Na, mal eben auf direktem Ostkurs quer übers Land zu brettern, ist wohl kaum wirklich dazu geeignet, unbemerkt und sauber nach Ajuminaja zu kommen. Es wimmelt überall von Feinden, mal ganz abgesehen davon, dass wir allein niemals ungeschoren an Ara Bandiks vorbeigekommen wären!“
Shamos sah die junge Frau mit großen Augen an und nickte dann kaum merklich. Dennoch rutschte ihm ein „Aber…?“ heraus.
Bevor irgendjemand jedoch darauf etwas erwidern konnte, sprang plötzlich Esha auf, machte einen Schritt auf die andere Seite des Cockpits, beugte sich über Shamos hinweg und