Zinsen sind verlorenes Geld. Otfried Müller

Zinsen sind verlorenes Geld - Otfried Müller


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empfindet die (Soll-)Zinsen eher als Verlust. Wie bei den meisten Dingen im Leben haben also auch die Zinsen ihre zwei Seiten. Was der eine bezahlen muss, streicht der andere ein.

      Es kommt deshalb darauf an, von welcher Seite man die Sache betrachtet, von der Seite des Kreditnehmers oder von der Seite des Kreditgebers: Das Buch schlägt sich auf die Seite des Kreditnehmers. Die Mehrheit der Menschen auf dieser Welt sind eher Zinsen-Bezahler, und nur ein kleiner Teil der Menschheit tritt als Zinsen-Empfänger auf. Aber allein die Frage nach der Mehrheit oder Minderheit der Menschen wird der Bedeutung, die die Zinsen weltweit spielen, nicht gerecht. Wie wir im Verlauf des Buches noch sehen werden, haben die Zinsen eine unheilvolle Wirkung auf das Wirtschafts- und Finanzgeschehen in der Welt, und die Nachteile, die die Zinsen hervorbringen, sind so gewaltig und betreffen einen so großen Anteil der Menschheit, dass man mit Recht sagen kann: Zinsen sind in der Tat verlorenes Geld.

      2 Einiges zum Grundverständnis über den störungsfreien Wirtschaftsablauf

      Um die Ursachen und Wirkungen von Ereignissen im Wirtschaftsleben besser verstehen zu können, sollten einige grundlegende Begriffe und Zusammenhänge bekannt sein. Einer der zentralen Begriffe ist das Geld. „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles! Ach, wir Armen!“ sagt Gretchen in Goethes Faust, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Woran liegt es denn, dass das Geld eine so wichtige Rolle im Wirtschaftsleben spielt?

      Die Erfindung des Geldes und die Entwicklung des Geldwesens hängen eng mit der Entwicklung der Wirtschaft vom Tauschhandel zur modernen Wirtschaftsform zusammen. Die älteste Wirtschaftsform ist die Lebensweise der Steinzeitmenschen, bei denen jeder die Gegenstände seines täglichen Bedarfs selber herstellte. Wer besonders kräftig und schnell war, tat sich bei der Jagd hervor, und vielleicht zeichnete sich ein Hordenmitglied durch seine besondere Fingerfertigkeit beim Schnitzen oder beim Herstellen von Werkzeugen aus. Wenn wir uns vorstellen, dass der Fingerfertige nicht mit auf die Jagd ging, sondern sich stattdessen der Herstellung von Werkzeugen widmete, dann ist dies bereits ein Fall von Spezialisierung und Arbeitsteilung.

      Die Menschen spezialisierten sich in ihren Tätigkeiten immer mehr, und aus dieser Spezialisierung entstanden die verschiedenen Berufe. Wenn nun jemand einen Stuhl hergestellt oder ein Tuch gewebt hatte, bestand die Möglichkeit, diese Gegenstände gegen Hühner oder Gemüse einzutauschen. Diese Form des Wirtschaftens ist als Tauschhandel bekannt. Der Warentausch wurde als Folge der Spezialisierung notwendig.

      Der Tauschhandel hat aber seine Tücken. Ein Bauer, der sein Pferd beschlagen lassen will, könnte den Schmied mit einem Sack Getreide oder etwas Gleichwertigem entlohnen. Aber was macht ein Schmied mit täglich zehn Säcken Getreide, wenn er doch eher ein Paar Schuhe oder Kohlen für sein Schmiedefeuer benötigt? Aus einem angestrebten Tauschhandel kann nur dann etwas werden, wenn der Anbieter eine Ware oder Dienstleistung anbietet, die der Nachfrager braucht, und wenn der Nachfrager den Anbieter mit einem Gegenstand entlohnt, mit dem der Anbieter etwas anfangen kann. Mit der Erfindung des Geldes hatte man einen universellen Tauschgegenstand. Der Bauer gibt dem Schmied eine bestimmte Menge Geld, und ebenso kann sich der Schmied beim Schuhmacher das gewünschte Paar Schuhe für Geld anfertigen lassen.

      Wenn also eine Ware nicht gegen eine andere Ware getauscht, sondern mit Geld bezahlt wird, dann erleichtert das nicht nur den allgemeinen Handel, sondern das Geld begründet damit auch seine zentrale Stellung für das gesamte Wirtschaftsgeschehen. „Ohne Moos nichts los“ lautet der lockere Spruch über das Geld.

      In einer etwas groben Form lässt sich nämlich die Kausalkette für die Verbraucher ableiten: Ohne Geld kein Handel, ohne Handel kein Konsum, ohne Konsum keine befriedigende Lebensführung. Aber auch die Unternehmen wären betroffen: Ohne Geld kein Handel, ohne Handel kein Gewinn, ohne Gewinn keine Investitionen, ohne Investitionen keine Produktion, ohne Produktion kein Warenangebot. Der Kreis schließt sich mit der Kausalkette: Ohne Geld auf der Unternehmensseite keine Produktion, ohne Produktion keine Beschäftigung, ohne Beschäftigung keine Löhne, ohne Löhne kein Geld auf der Arbeitnehmerseite, ohne Geld auf der Arbeitnehmerseite kein Handel, ohne Handel kein Gewinn der Unternehmen.

      In der heutigen arbeitsteiligen Wirtschaft hängt also alles vom Geld ab. Aus dieser Einsicht erklärt sich auch: Geldmangel dämpft die Wirtschaftstätigkeit, und ausreichend vorhandenes Geld regt die Wirtschaftstätigkeit an.

      Um eine florierende Wirtschaft zu betreiben, muss nicht alles Geld aus Münzen oder Banknoten bestehen. Der überwiegende Teil unserer Wirtschaftstätigkeit wird bargeldlos abgewickelt. Dabei werden lediglich entsprechende Buchungen auf den betroffenen Bankkonten vorgenommen. Sofern man einen Kredit bekommt, braucht man noch nicht einmal ein ausreichendes Guthaben auf seinem Bankkonto zu haben.

      Wenn sich jemand etwas auf Kredit kauft, dann ist die Gewährung des Kredites gleichzusetzen mit einer Geldschöpfung. Bei dieser Art von Geldschöpfung werden freilich keine Münzen oder Banknoten erzeugt, sondern es wird nur theoretisches Geld erschaffen. Gegenüber dem Kreditnehmer, also dem Käufer, entsteht auf diese Weise eine juristische Forderung, das Geld später zu bezahlen. Dennoch ist der Kredit ebenso wirksam wie Bargeld, denn man kann über einen Kredit genauso eine Ware oder eine Dienstleistung erwerben wie mit Bargeld. Die spätere Tilgung des Kredites entspricht dann der Vernichtung des durch den Kredit geschöpften Geldes.

      Mit der Einführung des Geldes wurden die vielfältigen Hemmnisse, wie sie der Tauschhandel mit sich bringt, aus dem Wege geräumt, und daher blühte die Wirtschaft erst mit der Einführung des Geldes richtig auf. Kaufen und verkaufen mit Geld war wesentlich leichter, als Waren gegen Waren zu tauschen. Die Arbeitsteilung wurde mit der Zeit immer umfangreicher. War es im Mittelalter noch üblich, dass ein Tischler einen Tisch von der Idee bis zum fertigen Produkt allein herstellte, so wurden die komplexen Produktionsabläufe in den Manufakturen bereits in Teilschritte zerlegt und von verschiedenen Personen ausgeführt. Einen weiteren Schritt bei der Arbeitsteilung erfuhr die Warenherstellung mit der Einführung des Fließbandes, wo ein einzelner Arbeiter nur noch wenige Handgriffe ausführt. Die arbeitsteilige Produktionsweise erlaubt es, beispielsweise einen Stuhl wesentlich billiger und damit konkurrenzfähiger herzustellen, als es ein einzelner Tischler tun könnte. Deshalb hat die industrielle Fließbandproduktion die klassische Handwerksarbeit weitestgehend verdrängt.

      In der modernen, arbeitsteiligen Wirtschaft wandert das Geld von einem Marktteilnehmer zum andern. Die wichtigsten Marktteilnehmer sind die Wirtschaftsunternehmen und die Haushalte. Die Wirtschaftsunternehmen stellen Waren und Dienstleistungen her, und die Haushalte verbrauchen sie. Daneben umfasst die moderne Wirtschaft noch den Handel, die Banken und den Staat. Zwischen diesen Marktteilnehmern fließt nun das Geld, kreuz und quer oder im Kreis, je nach Betrachtungsweise. Wer mag, kann sich den Geldfluss innerhalb einer Volkswirtschaft wie den Blutfluss im menschlichen Körper vorstellen.

      Grob gesehen, unterteilt man die hergestellten Waren in Konsumgüter und Investitionsgüter. Unter Konsumgütern versteht man die Dinge des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel Möbel, Nahrungsmittel oder Unterhaltungselektronik. Investitionsgüter sind beispielsweise Maschinen oder eine neue Fabrikhalle. Damit wird deutlich, dass nicht nur die Haushalte Waren und Dienstleistungen nachfragen, sondern auch die Wirtschaftsunternehmen. Der Handel bringt die Waren von den Unternehmen zu den Konsumenten. Er stellt selber keine Waren her, er fragt die Konsumwaren bei der produzierenden Wirtschaft nach und bietet sie den Haushalten an. Gleichzeitig tritt der Handel gegenüber der produzierenden Wirtschaft als Nachfrager nach Geschäftshäusern, Büroeinrichtungen, Fahrzeugen und anderem auf.

      Eine Sonderstellung in wirtschaftlicher Hinsicht nimmt der Staat ein. Er ist gleichzeitig Produzent, Dienstleister und Konsument. Als Produzent ist er oft an großen und kleinen Aktiengesellschaften beteiligt. So hält beispielsweise das Land Niedersachsen Aktien des VW-Werkes, oder die Stadt Frankfurt und das Land Hessen halten Aktien des Flughafenbetreibers Fraport. Vorwiegend auf kommunaler Ebene betreibt der Staat Wasserwerke und andere Versorgungsunternehmen, teils als alleiniger Besitzer, teils als Anteilseigner zusammen mit anderen Aktienbesitzern. Vor allem aber ist der Staat Anbieter einer großen Palette an Dienstleistungen. Seine Dienstleistungen erstrecken sich von der Gewährleistung der Sicherheit (Militär und Polizei) über das Rechtssystem (Gerichte und Staatsanwaltschaften), die öffentliche Verwaltung (Regierungen, Stadtverwaltungen, Finanzämter), Bildung (Schulen und


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