Zinsen sind verlorenes Geld. Otfried Müller
wirtschaftlichen Erfahrungen und Wirkungszusammenhängen. Beispielsweise hat sich durch vielfältige Beobachtung die Erkenntnis herausgebildet, welche Auswirkungen ein Preis auf das mengenmäßige Angebot einer Ware und die Nachfrage danach ausübt, oder umgekehrt, wie Angebot und Nachfrage zu einem marktüblichen Preis einer Ware führen.
Die Marktgesetze sind im Wesentlichen statistische Aussagen und beschreiben, wie sich eine große Anzahl von Menschen unter gegebenen Umständen erfahrungsgemäß verhält. Was der Einzelne tut, spielt dabei kaum eine Rolle, weil es bei statistischen Aussagen vor allem auf den Mittelwert der in Frage stehenden Erscheinung ankommt. So führt an der Wechselwirkung zwischen Preis, Angebot und Nachfrage einer Ware kein Weg vorbei, und es wäre hoffnungslos, an diesem erfahrungsgemäßen Zusammenhang etwas verändern zu wollen. Selbst dann, wenn eine Regierung den Preis einer Ware mit staatlicher Macht zu verändern versucht, wird sich neben dem staatlich kontrollierten Markt ein Schwarzmarkt mit eigenem Schwarzmarktpreis entwickeln, bei dem das Gesetz über Preis, Angebot und Nachfrage seine Verwirklichung erfährt. An solchen Marktgesetzen kann man so gut wie nichts verändern.
Anders als die Marktgesetze ist eine Wirtschaftsordnung ein rechtliches System, in dem festgelegt ist, wer was tun darf und was nicht, ob Verträge eingehalten werden müssen und wer im Bedarfsfall die Einhaltung eines Vertrages erzwingt, oder welche Dinge als Privateigentum gelten dürfen, usw. Die Sachlage, wem eine Fabrik gehört, hat Auswirkungen auf die Frage, wer wem Befehle erteilen darf, was mit dem erwirtschafteten Gewinn geschieht und wer darüber verfügen darf. Die Wirtschaftsordnung regelt also die Fragen, in welchem rechtlichen Rahmen wirtschaftliches Handeln erfolgen soll und darf. Solche Fragen der Wirtschaftsordnung werden von Menschen, zumeist vom Staat festgelegt und lassen sich deshalb auch von Menschen verändern.
Unsere kapitalistische Wirtschaftsordnung fußt auf zwei rechtlichen Säulen: auf der Vertragsfreiheit und dem Eigentumsrecht. Beides wird durch die bestehende Rechtsordnung gewährleistet. Die Vertragsfreiheit ermöglicht es dem Einzelnen, selber zu entscheiden, ob er wirtschaftlich aktiv werden will oder nicht, ob er etwas herstellen will und was. Der Unternehmer (bzw. das Unternehmen) entscheidet über die Herstellungsweise der Güter, wen er als Arbeitskraft einstellen will oder nicht, und wem, wann und zu welchem Preis er seine erzeugten Güter verkaufen will. Und vor allem gehört ihm allein der Gewinn. Theoretisch könnte in diesem Wirtschaftssystem jeder zum Unternehmer werden, und das suggeriert uns ja auch der Mythos vom amerikanischen System, bei dem es jedermann vom Tellerwäscher zum Millionär bringen kann. Allerdings muss man hier sorgfältig zwischen Theorie und Praxis unterscheiden.
3 Inflation, Deflation und Konjunkturzyklus
Stabile Preise sind die Voraussetzung für eine sinnvolle Planung in den Unternehmen und in den Haushalten. Geld, das eine Familie für die Heizung ausgibt, kann sie nicht gleichzeitig auch noch für andere Sachen ausgeben. Wenn zum Beispiel die Ölpreise steigen und deshalb das Geld bei vielen Haushalten für geplante Möbelkäufe fehlt, schwächt dies die Nachfrage nach Möbeln. Falls nun die Nachfrage nach Möbeln auf breiter Front fallen sollte, könnte man erwarten, dass die Hersteller ihre Preise für Möbel senken, damit die Kunden wieder zum verstärkten Kauf von Möbeln angeregt werden.
Gesamtwirtschaftlich bedeutet das, dass der Anstieg des Ölpreises durch den Verfall der Möbelpreise ausgeglichen wird. In solch einem Fall spricht man gesamtwirtschaftlich immer noch von stabilen Preisen, denn das Preisniveau als Ganzes bleibt erhalten. Die Tatsache, dass die Preise bei Möbeln fallen, während sie für die Heizung steigen, liegt vor allem daran, dass die Haushalte nur eine bestimmte Geldmenge verplanen und ausgeben können und nicht mehr. Auf die gesamte Volkswirtschaft übertragen, bedeutet das, dass bei einem konstanten Warenangebot auch die umlaufende Geldmenge gleich bleiben muss, wenn die Preise stabil bleiben sollen.
Wir hatten schon gesehen, dass im Idealfall das gesamte Sozialprodukt konsumiert wird. Das Geld, das über den Konsum zurück zur produzierenden Wirtschaft fließt, ermöglicht die Produktion des neuen Sozialprodukts für das nächste Jahr. Im Idealfall ist also die Kaufkraft auf der Nachfrageseite so groß wie das Sozialprodukt. Wenn aber aus irgendeinem Grund die umlaufende Geldmenge ansteigt, während die Herstellung von Sozialprodukt auf demselben Stand bleibt, entsteht ein Überhang von Geld gegenüber den hergestellten Waren und Dienstleistungen. Das hat zur Folge, dass sich ein neues, höheres Preisniveau einstellt. Die Menschen können jetzt zwar mehr Geld ausgeben, aber sie erhalten dafür genau so viele Waren wie vorher; sie müssen jedoch höhere Preise für die Waren bezahlen.
Wenn sich die Erhöhung der Preise bei sonst gleichem Angebot an Waren und Dienstleistungen auf breiter Front und über längere Zeit fortsetzt, dann spricht man von einer Inflation. Die Zentralbank druckt ständig frisches Geld und gibt es an die Geschäftsbanken oder an den Staat aus. Wenn die Gewerkschaften nun höhere Löhne fordern, weil die Preise gestiegen sind, erhöhen die Unternehmen die Preise, weil die Löhne gestiegen sind. Es kommt zur berühmten Lohn-Preis-Spirale. Was zuerst da war, die Lohnerhöhung oder die Preiserhöhung, lässt sich oft ebenso schwer entscheiden wie die Frage, ob die Henne oder das Ei zuerst da war.
Die Inflation ist eine Störung des Gleichgewichtes zwischen Angebot und Nachfrage nach Sozialprodukt. Sie vernichtet Guthaben und Schulden. Wenn 12 Jahre lang in einer Volkswirtschaft eine jährliche Inflationsrate von 6 % herrscht, dann verlieren die Menschen die Hälfte ihrer Ersparnisse. Angenommen, ein Mensch hat als Altersvorsorge 50.000 Euro angespart, dann hat er nach 12 Jahren Inflation zwar immer noch 50.000 Euro, aber er kann sich damit nur noch halb so viel kaufen wie vorher. Die inflationäre Preisentwicklung hat die Kaufkraft seiner Ersparnisse halbiert.
Was für einen Sparer, der für sein Alter vorsorgen will, tragisch ist, kann für jemanden, der Schulden hat, höchst angenehm sein. Wenn jemand 50.000 Euro Schulden hat, dann muss er zwar nominell ebenfalls 50.000 Euro tilgen, in einer Inflation tut er das aber mit „wertlosen“ Euros. Für die Staaten, die heute so gut wie allesamt verschuldet sind, ist das ein Anreiz, eine inflationäre Wirtschaftspolitik zu betreiben. Eine Regierung, die bei hoher Staatsverschuldung Jahr für Jahr Geld aus dem Haushalt für die Tilgung der Schulden abzweigt, muss dafür an anderer Stelle sparen und gefährdet wegen der erforderlichen Sparmaßnahmen die eigene Wiederwahl. Da ist es doch wesentlich leichter, Staatsschulden durch eine Inflation abzubauen. Nach 9 Jahren Inflation mit einer Inflationsrate von 8 % kann sich ein Staat bereits zur Hälfte entschulden. Allerdings verlieren die Menschen dann auch die Hälfte ihrer Ersparnisse.
Die Inflation hat nicht nur den Nachteil, dass Sparguthaben entwertet werden, sondern sie trägt auch wesentlich dazu bei, dass die gesamte Wirtschaftstätigkeit gedämpft wird. Der wirtschaftliche Druck, der die heimische Wirtschaft schrumpfen lässt, kommt dabei in nicht geringem Ausmaß aus dem Ausland. Moderne Volkswirtschaften stehen nämlich über den internationalen Handel mit anderen Volkswirtschaften in Verbindung und damit auch untereinander im Wettbewerb.
Wir wollen annehmen, die heimische Wirtschaft macht eine Inflationsphase durch, dann steigen die Preise der heimischen Waren und Dienstleistungen. Wir nehmen ferner an, die heimische Wirtschaft steht in Konkurrenz zu einer ausländischen Volkswirtschaft ohne Inflation. Dann bleiben die Preise der ausländischen Waren stabil. Dadurch gewinnen die ausländischen Waren einen Preisvorteil gegenüber den heimischen Waren. Die ausländischen, billigeren Waren werden deshalb verstärkt importiert und im Inland gekauft.
Gleichzeitig wird die Ausfuhr einheimischer Produkte ins Ausland behindert, denn wenn die Preise der heimischen Produkte über die Preise der ausländischen Waren hinauswachsen, geht die Bereitschaft des Auslandes, die teureren heimischen Waren zu kaufen, zurück. Die teuren heimischen Waren treffen also im Inland wie im Ausland auf die preisgünstigeren ausländischen Waren, ihr Absatz geht sowohl im Inland als auch im Ausland zurück. Den heimischen Herstellern bleibt daher nichts anderes übrig, als die Produktion ihrer Waren zurückzufahren, sie entlassen Arbeitskräfte, Arbeitslosigkeit macht sich breit, die Kaufkraft im Inland geht zurück, und die Nachfrage nach heimischem Sozialprodukt fällt noch weiter ab. Auf diese Weise schrumpft die gesamte inländische Wirtschaft.
Wenn die Wirtschaft wieder in Gang kommen soll, bleibt der heimischen Wirtschaft unter den Bedingungen des freien Marktes nichts anderes übrig, als die Preise ihrer Produkte zu senken. Dazu bieten sich zwei Möglichkeiten an: die Erhöhung