Liebe, rette mich!. Kilda Cirus

Liebe, rette mich! - Kilda Cirus


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dann ist der Mann an mir vorbei. Er trägt sie nach vorn in den Bus. Ein anderer nimmt die zweite Leiche. Sie legen beide nebeneinander in den Treppengang.

      Ich stehe noch immer an derselben Stelle. Es ist still. Die Frauen taxieren die Entführer mit großen Augen, einige weinen lautlos, manche verstecken sich in ihren Sitzen, ein paar Gesichter sind zu solch schrecklichen Grimassen verzerrt, dass ich wegsehe. Mein Herz pocht wie eine Maschine schmerzhaft in der Brust. Einer der Entführer nähert sich mir, er sieht mich direkt an, fast liegt etwas Bedauern in seinem Gesicht. Er stoppt vor mir und hält mir einen Eimer hin. Er deutet in Richtung des Blutes.

      „Wash“, befiehlt er mir brüsk mit starkem russischen Akzent. Widerspruchslos, ja, geistlos nehme ich den Eimer. Der Mann schiebt mich zurück in die Toilette, er drückt mich weiter in den engen Raum, so dass ich zwischen ihm und der Toilettenschüssel eingeklemmt bin. Er fasst den Eimer, an dem meine Hand klebt, hebt beide unter den Wasserhahn, dreht ihn auf. Das Wasser läuft unendlich langsam, ohne Druck. Es ist widersinnig, dass sich dieses Element nicht der Situation anpasst. Es sollte überschäumend aus dem Hahn sprudeln und sich nicht alle Zeit der Welt nehmen. Es macht mich wütend. Der Mann steht zu dicht bei mir. Ich rieche seinen Atem, er stinkt nach altem Rauch. Die Körperwärme des Mannes löst einen Fluchtreflex in mir aus, als ob die Zellen meiner Haut von dieser Wärme abgestoßen werden. Der Mann rückt näher an mich heran, unsere Hüften berühren sich, er legt seine Hand auf meine. Eisige Stiche fahren in mich. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, nur seine Hand. Sie ist kräftig, groß, die Finger sind dick. Das Wasser plätschert weiter. In einem plötzlichen Entschluss drehe ich den Hahn zu, packe den Eimer. Der Mann ist überrascht. Ich dränge mich an ihm vorbei aus der Toilette heraus und gehe in den hinteren Teil des Busses, wo das Blut auf dem Boden ist. Die Blicke der Frauen folgen mir, doch in mir ist die Wut über den aufdringlichen Mann, der Ausdruck ihrer Gesichter erreicht mein Bewusstsein nicht. Ich stelle den Eimer neben den blutigen Fleck, tauche die Hände in das lauwarme Wasser, wringe den nach Fisch stinkenden Lappen aus. Meine Oberlippe hebt sich und der Magen liegt wie ein Stein in meinem Bauch, er schmerzt durch die Rippen hindurch. Ich tauche den Lappen in das Blut, es bleibt an ihm kleben und an mir. Ich spüle den Lappen aus, doch je öfter ich das wiederhole, desto dunkler wird meine Hand. Ich versuche, es zu ignorieren, und konzentriere mich auf die Arbeit, auf die Bewegungen, die ich mit dem Arm ausführe, wische das Blut auf. Fast ist es wie rote Farbe. Wären nur die Hände nicht. Als der Boden sauber ist, reibe ich meine Hände kräftig in dem drüben Wasser und wende schnell den Blick ab, Übelkeit steigt in mir auf. Ohne hinzusehen, schrubbe ich meine Hände, bis ich irgendwann doch aufstehe und den Eimer nach vorn bringe. Der Mann, der mich in der Toilette bedrängt hat, steht in der Mitte des Ganges, er lacht mich schleimig an. Ich stelle den Eimer vor seine Füße und mache auf dem Absatz kehrt.

      Die Sitzreihe, auf der ich gesessen hatte, ist leer. Mary ist weg, tot, mir ist schwindelig und übel, mich fröstelt. Ich möchte nicht allein sitzen, ich brauche Gesellschaft, auch wenn wir nicht reden dürfen, weil die Entführer alle Gespräche unterbinden. Deshalb setze ich mich auf den Platz, auf dem vorher die Frau saß, die nun tot vorn im Bus liegt. Ihre Nachbarin starrt auf meine Hände. Sie sind fast sauber. Ich zögere, versuche zu lächeln, doch ich merke, dass es missglückt. Ich spüre mein trauriges Gesicht. Die Frau zittert am ganzen Körper. Ich nehme sanft ihre Hand und streichle sie. Sie sieht mich irritiert an, starrt wieder auf meine Hände, lässt ihre aber in meiner und sieht apathisch zum Fenster hinaus. Die anderen Frauen halten den Kopf steif, sehen verstohlen auf die leeren Sitze hinter mir oder taxieren die Entführer angstvoll, nur zwei oder drei sehen die Männer voller Wut und Abscheu an, unverhohlen und ohne Angst. Im Gang, drei Schritte von mir entfernt, steht der Mann, der mir den Eimer in die Hand gedrückt hatte. Sein Grinsen ruft Ekel in mir hervor. Deutlich genießt er die Furcht, die im Bus spürbar ist. Durch die Angst der Frauen wächst die Macht der Männer. Je verschüchterter wir sind, desto leichter beherrschen uns die Entführer. Er sieht mich weiter mit diesem anmaßend widerwärtigen Grinsen an, als ob ich die Nächste sei, die seine Grausamkeit erleben wird. Abscheu steigt in mir auf. Diese widerlichen Männer. Ich würde sie umbringen, um uns zu befreien. Ich würde fliehen, rennen, lügen, alles tun, um hier herauszukommen.

      Es ist stockfinstere Nacht. Kein Licht brennt, wir sind weit außerhalb einer Stadt, das letzte Dorf haben wir vor zwei Stunden durchquert. Die russische Taiga umgibt uns wie eine endlose Aneinanderreihung des immer selben Bildes, wie etwas, das alle gefangenen Frauen in diesem Bus einlullt. Sie sind alle still. Jede von ihnen drückt sich in ihren Sitz, als ob die harte Lehne Sicherheit gibt. Einige schlafen oder stellen sich zumindest schlafend, andere sitzen apathisch mit offenen Augen und starren ins Leere. Der Busfahrer bremst leicht, fast lässt er den Bus nur ausrollen. Doch ich höre, wie der Fahrtwind nachlässt, schließlich kommen wir zum Stehen. Der Bus ist innen nicht beleuchtet. Nur durch die Scheinwerfer dringt schwaches Licht hinein. Trotzdem erkenne ich nichts. Was geschieht jetzt? Warum halten wir? Ich starre in die Dunkelheit. Ist dort ein Haus, ein weiterer Bus, irgendetwas? Aber ich sehe nichts, nur die Lichtkegel der Scheinwerfer, milchig, trüb und allein. Niemand rührt sich im Bus, nicht einmal die Entführer bewegen sich. Sie stehen an ihren Posten und beobachten uns aufmerksam. Selbst der vorhin so hämisch grinsende Mann sieht mich nicht mehr an, sondern hat seinen Blick auf die vor ihm sitzenden Frauen gerichtet. Der Busfahrer schaltet die Scheinwerfer aus. Alles wird schwarz. Den Sitz vor mir und die Frau neben mir erkenne ich für einen Moment nicht. Dann gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Außerhalb des Busses ist es heller. Der Mond steht im Viertel am Horizont. Welche Himmelsrichtung es ist, weiß ich nicht. Ich habe meine Orientierung verloren. Das kalte Mondlicht erleuchtet die kleine Ebene, auf der wir uns befinden, von der sich die Bäume durch schwarze Flächen abheben. Die Farben sind so still wie die Menschen atemlos. Ich betrachte den Mond und er beruhigt mich, entspannt mich. Ich verdränge den gesamten Bus aus meinem Bewusstsein und fühle keine Angst mehr in den verkerkerten Winkeln meiner Seele. Ich sehe den Mond in seinem klaren, ehrlichen Licht. Er verspricht mir etwas, so scheint es mir. In der Dunkelheit lächle ich leise vor mich hin, als sich die Türen des Busses geräuschvoll öffnen. Der Wind, der plötzlich hinein fegt, weht einen stechenden Geruch von Urin und Erbrochenem durch den Bus. Ich halte mir die Nase zu. Zwei der Entführer laufen im Bus nach vorn, ihre schwarzen Gestalten heben sich ungenau von der dunkelgrauen Masse ab, einer läuft die Treppe nach unten, der andere bleibt oben stehen. Sie bücken sich, heben eine der beiden toten Frauen hoch und tragen sie nach draußen. Wieder zucke ich zusammen, höre den Knall erneut, den zweiten Knall, rieche das Erbrochene, den Kot, den Urin der Toilette, auf der ich war, während Mary und die andere Frau erschossen wurden. Die Bilder überfluten meinen Kopf. Wieder wird mir übel und ich starre in die Dunkelheit, schlucke die Galle hinunter, versuche, mich abzulenken, aber der Mond steht auf der anderen Seite des Busses und ich sehe nicht, was die Männer draußen machen. Sie kommen wieder in den Bus und tragen die zweite Leiche hinaus. Mit ihnen verlässt der dicke Fahrer den Bus. Die drei Männer bleiben weg. Alle warten. Dann ein Geräusch. Ein Brummen, ein Motor, ein großes Fahrzeug, das sich nähert. Es klingt nach einem Lastwagen, der Motor rasselt jetzt, seine Scheinwerfer leuchten in den Bus.

      Das kalte Licht lässt die Frauen blass und krank aussehen, die Ecken des Busses bleiben dunkel, schemenhaft verändern sich die Schatten, tanzen bizarr an der Decke, verstecken die Bewacher in ihren schwarzen Anzügen. Ich drehe mich im Sitz, sehe in das Licht, aber es blendet nur. Ich kneife die Augen zusammen, verfolge die Fahrt des ankommenden Lastwagens, bis er knapp neben dem Bus hält. Sofort erlöscht das Licht und vollkommene Schwärze umgibt uns. Die Türen klacken auf, leises Stimmgemurmel, ein lautes Knacken, das mich zusammenschrecken lässt, dann ein Summen wie von einem Elektromotor. Neugierig stehe ich auf, trete in den Gang, starre in die Dunkelheit. Was geht dort vor? Plötzlich ist jemand neben mir, greift so brutal in meinen Nacken, dass ich aufschreie. Ohne den Griff zu lockern, drückt er mich in den Sitz zurück. Dann lässt er los. Automatisch reibe ich die Nackenmuskeln und sehe den Mann an, doch er hat sich bereits von mir abgewandt, geht zwei Schritte weg, stellt sich in den Gang und lässt diesen gleichgültigen Blick über mich gleiten, dass mich schaudert. Die anderen Entführer beobachten die Frauen nun mit höchster Aufmerksamkeit. Die Tür ist geöffnet. Wenn ich vorn im Bus säße, würde ich dann versuchen zu fliehen? Ich weiß es nicht. Ich sitze hinten und vier Männer trennen mich von der offen stehenden Bustür. Wieder warten, doch die Frauen werden unruhig, ihre Köpfe bewegen sich, das


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