Auf Biegen oder Brechen. Thomas Hölscher

Auf Biegen oder Brechen - Thomas Hölscher


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gesagt: Dass er selber schwul war, und die Polizei hielt er nicht für den geeigneten Adressaten, was solche Informationen anbelangte.

      Diesen Bennie, Bernhard Kohlbrink, hatte er aus Kneipen in Essen gekannt; sein Freund Ecki, Eckhardt Lertner, hatte in Bochum E-Technik studiert. Und Christoph Kalessa hatte er auch zum ersten Mal auf der Fete in Langendreer getroffen und danach ab und zu in Essener Schwulenkneipen wiedergesehen. Er war vor einiger Zeit aus Polen gekommen und Krankenpfleger im Bergmannsheil gewesen. Die anderen Opfer kannte Heinz nicht.

      Viele Leute, die er kannte, waren von der Polizei verhört worden. Nach dem Mord auf der Hollestraße in Essen waren zwei Schwulenkneipen von der Polizei - wie Heinz es nannte - gestürmt worden: Von allen Anwesenden seien die Personalien festgestellt worden, einige Personen habe man bis zum frühen Morgen vernommen; viele hätten schon mehrfach auf dem Präsidium erscheinen müssen. Die Polizei habe sich den Schwulen gegenüber sehr mies benommen; er selber sei Gottseidank an jenem Abend in Düsseldorf gewesen. Vor allem hatten einige Leute Vorladungen bekommen, und keiner hatte gewusst, wie die Kripo ausgerechnet auf ihn gekommen war.

      Viele Schwule hätten Angst. Nicht vor einem wahnsinnigen Mörder, der wahllos Schwule umbrachte; so einen Quatsch könnten sich nur die Zeitungsfritzen ausdenken. Angst hätten die meisten vor der Polizei, davor, dass ihr Schwulsein nun publik würde, Angst um ihren Arbeitsplatz und vor Ärger im Familien- und Bekanntenkreis.

      Börner konnte das sehr gut verstehen; und wenn er an seine eigene Zeit bei der Polizei dachte, die Gespräche, die dort geführt worden waren, wusste er auch, dass diese Ängste sehr begründet waren. Auf seine Frage, was denn in Schwulenkneipen über das Motiv des Mörders spekuliert würde, sah ihn der Bekannte zunächst verständnislos an und meinte dann: "Gar nichts. Was habe ich denn damit zu tun?" Und dann fügte er offensichtlich wütend hinzu: "Wieso fragst du mich eigentlich, was in Schwulenkneipen gequatscht wird? Bist du etwa nicht schwul?"

      Börner fragte, ob er ein Bier bekommen könnte; Heinz ging in die Küche und kehrte mit zwei Flaschen zurück.

      Dann kamen sie auf die Fete in Langendreer zu sprechen. Die Tatsache, dass drei der Opfer mit Sicherheit auf der Fete gewesen waren, machte es - wie Börner nun wieder ausführte - zumindest wahrscheinlich, dass der Täter auch dort gewesen war. Aber Heinz konnte sich nicht erinnern, die in den Zeitungen abgebildete Person dort gesehen zu haben. "Mein Gott, diese Beschreibung: Dunkle Haare und ein Schnäuzer: So sehen doch 80 Prozent aller Schwulen aus."

      "Aber die Größe", sagte Börner schnell. "Der ist doch höchstens so groß." Er deutet mit der rechten Hand die ungefähre Große des Täters an. Heinz schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht."

      Börner glaubte, dass die Stimme des Bekannten wieder ärgerlicher geworden war. Er wollte jetzt auf keinen Fall, dass Heinz noch einmal den Sinn der ganzen Sache in Frage stellte. Deshalb fragte Börner schnell nach den anderen Anwesenden auf jener Fete.

      Auch Heinz hatte von den rund 20 bis 25 Anwesenden nicht alle gekannt. Es dauerte fast eine viertel Stunde, bis er sich an 10 Personen erinnert hatte. Börner notierte die Namen und Adressen. Von den meisten wusste Heinz nur die Stadt, in der sie wohnten. Zusammen mit den drei Ermordeten war damit die Identität von rund der Hälfte der Anwesenden festgestellt: Börner wollte nun keinen Zweifel am Sinn seiner Nachforschungen mehr aufkommen lassen.

      "Sag mal", Börner zögerte einen Augenblick, weil er nicht wusste, wie er seine Frage formulieren sollte. "Von den 10 Leuten hier", er deutete auf die Liste, die Heinz Behrend ihm diktiert hatte, "Gleicht von denen einer dem Bild des Täters?"

      Heinz sah ihn entgeistert an. "Du willst doch wohl nicht sagen..."

      "Gar nichts will ich sagen", unterbrach ihn Börner. "Gar nichts. Pass auf, ich lese dir jetzt noch einmal alle Namen vor, und du sollst nur sagen, ob du mit Sicherheit ausschließen kannst, dass die jeweilige Person dem Täter ähnlich sieht." Noch immer sah Heinz ihn unwillig an, und wieder spürte Börner eine ohnmächtige Wut, aber er ließ sich nicht von seinen Vorstellungen abbringen. "Du musst vor allem bedenken, dass es veränderliche Merkmale gibt. Man kann seine Haare kurz oder lang tragen, einen Schnäuzer abrasieren usw.. Also klar?" Es dauerte keine zwei Minuten, bis Heinz mit Bestimmtheit die zehn Personen als Täter ausgeschlossen hatte.

      Börner fing an, ihn dafür zu hassen, dass es nicht voran ging. Vor allem dafür, dass Heinz ihn offensichtlich immer weniger ernst nahm, er aus seiner Verstimmung über Börners Fragerei gar keinen Hehl mehr machte, der Tonfall seiner Stimme schon klar machte, dass er alles für Blödsinn hielt, was Börner da erzählte, weil er ja besoffen war.

      Und dann wusste Börner nicht mehr weiter. Und auch dafür gab er Heinz die Schuld.

      Außerdem wurde er nun auch müde; immer wenn er sich besoff, kam der Umschlag ganz plötzlich: Gerade war er noch aufgekratzt gewesen, hatte voller Ideen, Pläne und Selbstvertrauen gesteckt, und ganz plötzlich war es dann immer vorbei. Das durfte jetzt nicht passieren, das durfte auf keinen Fall passieren. Irgendwie musste er diesen Heinz dazu bringen, die Sache genau so ernst zu nehmen, wie er selber es immer noch tun wollte. Wenn der doch auch nur besoffen wäre!

      Börner sah auf die Bierflasche des Bekannten und stellte enttäuscht fest, dass sie nicht einmal zur Hälfte geleert war. Er selber trank seine Flasche in einem Zug aus. Er spürte, wie sich sein Körper gegen den Alkohol wehrte.

      Er versuchte zu resümieren; er musste sich jetzt konzentrieren. Wie lange dauerte die Stille zwischen ihnen schon? Gleich würde der Bekannte irgendetwas sagen, er habe aber nun genug, er solle nach Hause gehen oder irgendsowas. Das Muster der Tapete begann vor Börners Augen zu tanzen.

      Er hatte nur die eine Chance, dass nämlich der Täter auch auf dieser verdammten Fete in Langendreer gewesen war. Sonst war alles Unsinn. Aber der musste einfach dort gewesen sein, er wollte nicht, dass alles sinnlos war. Zumindest ist es doch nicht unwahrscheinlich, versuchte er sich selber einzureden; es spricht doch einiges dafür. Aber dann musste er selber diesen Jungen doch auch gesehen haben. Es war einfach nicht zu fassen: Außer an Christoph K., Bennie, den großen blonden Typen und natürlich Heinz Behrend konnte er sich an niemanden erinnern. Nur dass einige der Männer ganz gut ausgesehen hatten, das wusste er noch. Aber das wusste er; wie sie tatsächlich ausgesehen hatten, davon hatte er keine Vorstellung mehr.

      Du musst dich erinnern. Du bist mit Heinz dahin gefahren. Bei der Ankunft in Langendreer war es schon dunkel. Es war eine Art Zechenkolonie mit Ein- oder Zweifamilienhäusern. Da war gleich am Eingang diese Bar. Bennie hatte fast den ganzen Abend da gestanden, den Leuten Alkohol angeboten und geredet. In blitzschnell wechselnden Impressionen zog der Abend an Börner vorbei. Da war auch dieser Mann, den du nett gefunden hast, diese große blonde Schnitte. Der saß auch den ganzen Abend an der Bar und hat mit kaum jemandem geredet. Du hast ihn die ganze Zeit beobachtet, aber du warst zu feige, ihn anzureden. Der sah gut aus, oder besser geil. Ein großer Kerl; er war gerade von Gran Canaria zurückgekommen und sah braungebrannt aus. Wegen dem bist du doch dann so früh gegangen, weil du zu feige warst ihn anzuquatschen, nicht weil dich die ganze Atmosphäre auf der Fete abgestoßen hat. Das war nur ein Vorwand; du hast dich mit diesem Christoph eigentlich über deine Angst unterhalten, einen Mann, den du geil findest, anzureden.

      "Sag mal, ist dir schlecht?"

      Die Stimme von Heinz ließ Börner zusammenschrecken. Er schüttelte langsam den Kopf und hoffte, dass er nun so aussah, als überlege er angestrengt. Heinz sollte jetzt den Mund halten.

      Die Polizei: Börner fixierte den Wust von Papier, der vor ihm auf dem Tisch lag und den er seit heute Nachmittag 17 Uhr produziert hatte. Wenn er allein in nun vielleicht fünf Stunden irgendetwas von Bedeutung herausgefunden haben wollte, dann musste die Polizei in über drei Wochen schon viel weiter gekommen sein, seine Fährte schon längst als falsch aufgegeben haben. Wieder spürte Börner, wie das Gefühl der Resignation unaufhaltsam in ihm hochstieg.

      Aber ohne irgendein Ergebnis würde er hier nicht weggehen, würde er nicht einmal mehr die Augen öffnen. Nun sah Börner das Gesicht des Mannes, den er auf der Fete nett gefunden hatte, ganz klar vor sich. Er musste sich zusammenreißen. Ein letztes Mal.

      Vielleicht war es das: Wenn seine Annahme richtig war,


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