Die Leben des Michael Kassel. Hannes van de Lay

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      Hannes van de Lay

      Die Leben des Michael Kassel

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       9

       10

       11

       12

       Impressum neobooks

      1

      Ich spürte ein Feuer von ungeheurer Intensität. Von überall her schlugen mir Flammen entgegen, züngelten um meinen Körper und griffen nach mir. Ich fühlte schneidende Hitze auf der Haut, die sich wie ein Flächenbrand weiterfraß, um sich dann plötzlich in meinem Kopf zu konzentrieren. Er schien erfüllt von einem lodernden und knisternden Inferno. Erst als ich mühsam die Augen aufschlug, begann die Hitze langsam abzuschwellen.

      Was für ein Traum, dachte ich, an die makellos weiße Decke starrend. Doch bereits einen Augenblick später überkamen mich wieder die Schmerzen, die mich zuvor schon gequält hatten. Nicht so stark wie noch vor einigen Sekunden, aber sie waren dennoch da und griffen nach mir mit pulsierender Pein. Es schien fast so, als wollte mein Kopf jeden Moment zerbersten. Ich hatte Mühe mich zu konzentrieren, darüber nachzudenken, wo ich mich befand. Doch dass etwas nicht in Ordnung sein konnte, war mir bewusst.

      Nur ganz langsam wichen die Schmerzen und ließen mir etwas Freiraum zum Nachdenken. Ich ließ die Blicke über die Decke gleiten bis an die Wand zu meiner Linken. Als ich den Kopf drehen wollte, bemerkte ich, dass dieser verbunden war. Ein kräftig angelegter Verband verdeckte wohl den größten Teil meines Gesichts. Mir schien auch, als steckte irgendetwas in meiner Nase, das bis hinunter in den Rachen reichte. Völlig sicher war ich mir nicht, da mein Körper weitgehend taub zu sein schien. Es mochte sein, dass es nur eine Schwellung war, die ich dort im Hals spürte.

      Doch als ich endlich den Kopf gedreht hatte, starrte ich wiederum nur auf Weiß. Hell und steril hüllte mich das Zimmer ein und mir wurde bewusst, dass ich mich in einem Hospital befand.

      Aber was war geschehen? Ich hatte keine Erinnerung daran und je öfter ich darüber nachdachte, was passiert sein konnte, desto brennender war der Schmerz in meinem Kopf. Resigniert schloss ich die Augen und ergab mich diesem Brennen.

      Plötzlich vernahm ich ein Geräusch und ich drehte meinen Kopf schnellstmöglich - mir kam es jedoch wie eine Ewigkeit vor - in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Ich sah, dass die Tür offen stand und eine Schwester rückwärts ins Zimmer kam. Sie zog einen fahrbaren Teewagen hinter sich her. Vorsichtig manövrierte sie ihn durch die Türöffnung, wohl um mich so wenig wie möglich zu stören. Ich betrachtete ihr langes blondes Haar, das zu einem Zopf geflochten war, der bei jeder abrupten Kopfbewegung von Schulter zu Schulter schwang. Die blauweiße Schwesternkleidung saß wie angegossen und betonte ihre hübschen weiblichen Formen.

      Als sie den Wagen ins Zimmer gezogen hatte, drehte sie sich zu mir um.

      Sie mochte Anfang zwanzig sein. Mir fielen ihre geröteten Wangen und eine Haarsträhne auf, die sich aus der Frisur gestohlen hatte und ihr nun in die Stirn hing. Doch da war noch etwas, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Diese großen Augen, die kaum ihre Verblüffung verbergen konnten, als sie mich völlig perplex anblickte.

      Mein Verstand funktionierte immer noch nicht richtig, wie mir schien, denn ich begriff absolut nicht, weshalb sie plötzlich aus dem Raum rannte.

      Ich hörte sie draußen den Flur entlanglaufen und nach jemandem rufen, doch ich konnte die Worte nicht verstehen.

      Was war hier los? Was war geschehen? Je mehr ich mich bemühte, das alles zu begreifen, desto deutlicher fühlte ich diese Anstrengung in meinem Kopf. Ich hatte das Gefühl, er müsste gleich platzen. Dann, so fürchtete ich, würde alles, was sich an vorläufiger Orientierung darin befand, verpuffen, als hätte es nicht existiert.

      Dieser Gedankengang enthielt etwas Erschreckendes. Nicht existiert! Ich existierte und fühlte mich doch zugleich wie ausgelöscht. Was hatte ich hier zu suchen? Keine Antwort. Verzweiflung machte sich in mir breit und drohte mich in einen tiefen Abgrund zu reißen. Ich suchte nach einem Halt und rief mir das Bild der Schwester vor mein geistiges Auge zurück, die Erinnerung an die erste Person, die ich seit meinem, ja, … seit meinem… ja, was eigentlich? Unfall, Krankheit, ich wusste es einfach nicht, gesehen hatte. Ich versuchte mich auf sie zu konzentrieren. Sie würde bestimmt gleich wiederkommen, denn der Teewagen stand noch immer mitten im Raum und da gehörte er nicht hin. Was für ein blödsinniger Gedanke, sagte ich mir selbst. Ich war wohl verrückt, vielleicht war das die Erklärung für das Durcheinander in meinem Kopf.

      Die Schwester. Sofort hatte ich ihr Bild wieder vor Augen. Also war doch da oben noch etwas heil geblieben, schlussfolgerte ich. Wie sie wohl hieß, dachte ich und ärgerte mich, dass ich nicht auf das Namensschild gesehen hatte, als sie eben vor mir stand. Sie hatte bestimmt auch einen hübschen Namen! Doch schon wieder erfasste mich eine tiefe Panik. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich mit der Frage nach ihrem Namen etwas zu verdrängen versuchte, nämlich die Frage: Wer war ich selbst? Und wie hieß eigentlich ich? Ich wusste es nicht. Jeder Gedankenvorstoß traf auf eine unüberwindliche Barriere.

      Ich hatte nicht die leiseste Vorstellung, wer ich war. Ich wusste nichts von meiner Vergangenheit. Erst seit meinem Erwachen registrierte ich das Leben. Es war so, als wäre ich gerade erst geboren.

      Noch einmal zwang ich meine Gedanken, nach meiner Identität zu forschen, doch in meinem Kopf herrschte eine beängstigende Leere, und je mehr ich mich anstrengte, desto mehr nahm der Druck in meinem Schädel zu. Aber es war unmöglich aufzugeben, ich musste weitermachen, musste weiter darüber nachdenken, wer ich war, wer ich sein könnte. Plötzlich bemerkte ich, dass ich vor Kopfschmerzen schrie. Erschrocken hielt ich inne und versuchte den Schmerz zu unterdrücken. Mein Blick fiel wieder auf den Teewagen. Zu sehen, dass er noch mitten im Raum stand, und zu wissen, dass daher die Schwester sicher gleich wiederkommen würde, gab mir irgendwie Trost.

      Plötzlich hörte ich Schritte und meine Blicke flogen in Richtung der offenen Tür.

      Ein Arzt im weißem Kittel trat ein, gefolgt von der Schwester, die den Teewagen gebracht hatte.

      Der Mann hatte graues Haar. Sein faltiges Gesicht zierte eine Benjamin-Franklin-Brille, über die er mit seinen stahlblauen Augen blickte. Langsamen Schrittes näherte er sich und gab mir so das Gefühl, als könne er das, was er zu sehen erwartete, kaum


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