Der Gesundheitsminister. Ulrich Hildebrandt

Der Gesundheitsminister - Ulrich Hildebrandt


Скачать книгу

      Dass seine Freunde ihn ins Spiel bringen, empfindet er als einen Scherz. Ehrgeiz allein erklimmt keine Berge. Und der Anstieg muss gut vorbereitet sein. Die Ausrüstung für den Anstieg fehlt ihm vollkommen. Es sollte hoch hinauf gehen.

      In Sherpa Manier haben die Freunde entschieden, Jakob auf den Posten des Gesundheitsministers zu hieven. Harry bekommt den Auftrag mit Jakob zu telefonieren.

      „Von Gesundheit verstehe ich nichts, rein gar nichts“, entgegnet Jakob. „Ihr seid verrückt, einfach nur verrückt. Das könnt ihr mit mir nicht machen.“

      „Das siehst du völlig falsch. Du verstehst die Wirtschaft, das zählt. Die Gesundheit ist nur Beiwerk. Wenn wir von über 300 Milliarden Euro in der Gesundheitswirtschaft reden, dann reden wir von Geld und nicht von Fieber.“ Das sagt einer, der es wissen könnte. Harry, eigentlich Harald, ist CEO einer gesetzlichen Krankenversicherung.

      „Für mich ist Gesundheit nicht Wirtschaft“, entgegnet Jakob. „Gesundheit hat was mit Medizin zu tun. Und die Medizin ist Sache der Ärzte. Die Wirtschaft bietet eine Plattform. Ohne die geht es nicht, zugegeben. Auf der wirtschaftlichen Plattform bewegt sich die Medizin. Aber sie dominiert. Sie steht über der Wirtschaft.“

      „Das war einmal“, entgegnet Harry.

      „Wir brauchen nicht weiter zu reden.“ Jakob hat nicht die geringste Lust, das Thema zu vertiefen.

      Die Freunde haben ein Treffen vereinbart. Ein Treffen ohne Jakob. Der Anruf von Harry erscheint ihnen im Nachhinein als ziemlich plump. Es sollte nur ein Stimmungsballon sein. Wurde es auch. Mit einem Knall wurde klar, dass Jakob auf Abwehr gestellt hat. Dabei führen sie wirklich nichts im Schilde. Jakob ist einer der Ihren. Ein starker, ein ganz starker. Die Idee für den Ministerposten hat ein enger Freund. Einer, mit dem Jakob sehr häufig zusammen ist. Thomas, Tom genannt, ist in seiner Partei gut vernetzt. Er spielt weit vorn mit. Ein großes Rad will er nicht drehen. Nach eigener Einschätzung fehlt ihm dafür das letzte Quäntchen an politischer Intuition. Tom gehört zu der Spezies, die gern in der zweiten Reihe steht. Nicht wegen der Deckung, nicht wegen der Pfeile, die er aus dem Hintergrund schießen könnte. Sondern wegen eines Gefühls der Sicherheit. Ein weiterer Schritt nach hinten, fällt in der zweiten Reihe nicht auf. Tom ist auch das, was man als einen Wasserträger aus freien Stücken bezeichnen könnte. Er hilft lieber denen, denen er mehr zutraut, als sich selbst. Weil er überzeugt ist, dass Jakob der Mann für den Posten des Gesundheitsministers ist, hat er das Treffen arrangiert. Neben ihm und Harry ist auch noch José dabei. José ist ziemlich viel und weit herumgekommen. Auch er hat Wirtschaft studiert, aber nicht so richtig den Absprung von der Wissenschaft gefunden. Die Kombination von Wirtschaft und Wissenschaft, das ist sein Ding. Er war an unterschiedlichen Unis und Institutionen unterwegs gewesen. Auch im Ausland. So richtig sesshaft wurde er vor nicht allzu langer Zeit. Wegen einer Frau, wegen der daraus resultierenden Familie und den Kindern, die dann folgten. Die Gesundheitsökonomie ist sein Thema.

      „Es war sehr naiv, den Jakob mit einem dilettantischen Anruf zu überfallen“, betont Harry.

      „Stimmt, das ging voll daneben. Macht aber nichts. Ich spreche morgen mit ihm und dann gehen wir in die zweite Runde.“ Tom sieht darin kein Problem.

      „Glaubt ihr, dass er es macht?“ José ist eher skeptisch.

      „Ein bisschen hängt das von uns ab. Wir müssen ihm den verfahrenen Zustand des Gesundheitswesens erklären“, erläutert Harry. „Was allgemein geredet wird, ist zu wenig. Wir müssen in die Tiefe gehen. Dafür sind wir übrigens gut aufgestellt. Mit dir, José, als Gesundheitsökonom und mit mir. Ich versteh was von den Krankenkassen.“ Er sagt das mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Was prompt Tom auf den Plan ruft.

      „Weht da nicht ein Hauch von Lobbyismus rüber?“

      „Noch nicht. Nein, überhaupt nicht. Aber ein paar Gedanken aus unserer Sichtweise werde ich schon rüberbringen müssen“, betont Harry.

      „Unsere Runde ist nicht schlecht“, fährt Tom fort. „Aber uns fehlt jemand aus der Medizin. Jemand aus dem Krankenhaus, oder aus den Ärzteverbänden.“

      „Das lässt sich machen“, sagt José. „Ich kenne einige. Kein Problem. Die holen wir uns, wenn wir sie brauchen.“

      „Das sieht gut aus“, resümiert Tom. „Wir laden Jakob zum Essen ein und dann präsentieren wir unser Konzept. Was isst der eigentlich gern? Die Wahl des Lokals ist nicht unerheblich.“

      „Alles, was Isabell nicht mag.“ Harry findet die Frage offenbar lustig.

      „Das ist nicht zum Lachen“, erwidert Tom, der sichtlich bemüht ist, den Dampfer in Fahrt zu bringen. „An einem falschen Essen ist schon so manches Projekt gescheitert. Isabell liegt auf der vegetarischen Spur. Was Deftiges wäre schon gut. Etwas mit Bier könnte ihm gefallen. Er trinkt gern Bier, das weiß ich. Es gibt da so ein Lokal, das ausgesuchte Biersorten vom Fass hat. Das Essen soll sehr gut sein.“

      „Du meinst jetzt aber nicht so eine laute Bierkneipe. Schließlich wollen wir uns unterhalten.“

      Die Bemerkung von José hatte noch eine kleine Diskussion zur Folge. Am Ende waren sie sich einig, in welchem Lokal das Gespräch stattfinden sollte. Den Anlass sollte Jakob erst erfahren, wenn sie das erste Bier hinter sich haben. Als vorgeschobener Grund soll der Besuch eines neuen Lokals genannt werden, das einige Erwartungen verspräche. Tom übernimmt die Organisation des Termins, was erwartungsgemäß nicht einfach ist. Jakob hat kaum noch Lücken. Vor allem die Abstimmung mit Isabells Zeitplan macht das Zeitfenster klein. Die beiden haben vereinbart, dass außerhalb des Berufes ihre gemeinsame Zeit absolute Priorität hat. Tom hat echte Schwierigkeiten, einem Treffen der Internatstruppe den Anflug von Bedeutung anzuheften. Umso mehr, als der Grund für das Treffen nicht mehr als ein Kneipenbesuch sein soll. Da es eine Männerrunde werden soll, ist die Wahl eines Bierlokals mit deftiger Küche für Frauenwünsche nicht begehrlich. So ist es auch gewollt und es klappt. Die Männer sind unter sich.

      Jakobs Freunde telefonieren noch mehrmals hin und her, um den Gesprächsverlauf für den Abend zu planen. Einen weiteren Reinfall darf es nicht geben. Drei Wochen nach dem Treffen sitzen sie in dem Bierlokal „Die zornige Ameise“. Tom war zuvor da gewesen und hat einen Tisch reserviert, der etwas abgesetzt in einer Nische steht. Gut geeignet für ein Gespräch ohne Gelegenheitslauscher. Der Geräuschpegel würde für eine zusätzliche Sprachverneblung sorgen.

      Jakob ist sichtlich entspannt. Nicht schlecht für den Abend. Das Lokal gefällt ihm und Lust auf Bier hat er heute auch.

      „Wer von euch hatte die Initiative? Schön, dass wir uns wieder einmal treffen. José, dich habe ich ewig lang nicht gesehen. Warst du nicht in Dänemark?“

      „Da war ich auch. Aber das ist schon länger her. Zuletzt war ich bei der EU.“

      „Bei der EU? Du beschäftigst dich, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, mit Gesundheitsökonomie.“ Jakob hat unbeabsichtigt den Gesprächsball in die richtige Ecke geschossen.

      „Ja das ist mein Thema. In Brüssel habe ich an einem europäischen Gemeinschaftsprojekt mitgewirkt. Wir wollten herausfinden, wie sich die Gesundheitssysteme der EU Staaten voneinander unterscheiden. Und wir wollten Gemeinsamkeiten ausloten.“

      „Das ist euch sicher gelungen“, antwortet Jakob mit einem Schmunzeln.

      „Wie du dir denken kannst, ist es uns gelungen. Aber es hilft uns nicht weiter. Die EU hat eine schöne große Bibliothek. Da kommt der Bericht wohl rein. Zu den vielen anderen.“ José quittiert Jakobs Frage ebenfalls mit einem Lächeln. Tom findet, dass das Thema zu früh dran ist und schwenkt zurück auf die Beziehungsebene.

      „Wie geht es Isabell? Wie toll sie aussieht, wissen wir ja. Vom Fernsehen. Ich meine, ist sie zufrieden mit ihrem Job?“

      „Auf jeden Fall. Sie ist in ihrem Element. Sie liebt den Themenwechsel. Dank der Politik. Im Augenblick ist richtig was los. Das ist gut für Isabell. Wie sieht es bei dir aus? Ich meine in deinem Ministerium. Habt ihr heiße Projekte in der Pipeline? Die Wirtschaft läuft ja von selbst. Ihr müsst eigentlich


Скачать книгу