Der Gesundheitsminister. Ulrich Hildebrandt

Der Gesundheitsminister - Ulrich Hildebrandt


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tun und müssen sehen, wie wir die Zeit rumkriegen. Deshalb bin ich froh, dass ihr mich heute hierher gelotst habt. Ich gebe einen aus, das Bier geht auf mich.“

      Nachdem jeder von jedem das Aktuelle aus Beruf und Familie erfahren hat, kommt Tom zurück zum eigentlichen Anlass des Abends.

      „Der Anruf von Harry, vor einigen Wochen, war blöd.“

      „Wie meinst du das, blöd?“, fragt Jakob. Offensichtlich hatten wichtigere Ereignisse den Telefon Flop längst verdrängt.

      „Ich meine unsere Idee, dass du Gesundheitsminister werden musst…“ Jakob lässt ihn nicht ausreden.

      „Ach so, ich muss Gesundheitsminister werden und ihr entscheidet das. Ihr drei. Nicht die Partei, nicht die Gremien, nicht der Wähler. Ihr sagt, dass ich muss.“ Jakob greift zum Glas und trinkt einen kräftigen Schluck. Er scheint sichtlich aufgebracht zu sein, denn er steht auf und geht zum Tresen. Die Blicke vom Tisch folgen ihm. Als er zurück an den Tisch kommt und sich hinsetzt, scheint er wieder entspannt zu sein.

      „Ihr habt alle nichts mehr zu trinken. Bei uns kommt kein Kellner vorbei. Ich habe nachbestellt.“

      Tom reagiert umgehend. „Jakob versteh uns bitte. Wir möchten dir das erklären. Hör es dir einfach an, dann reden wir weiter. Okay?“

      „Okay, der Abend ist noch jung. Warum sollte ich nein sagen? Wir sind Freunde und können über alles reden.“

      „Danke Jakob“, antwortet Tom. „Soll ich anfangen?“

      „Ja fang an“, sagt Harry. „Aber erst, wenn wir etwas gegessen haben.“

      Das taten sie auch und redeten dabei über Politik. Gesundheitspolitik ausgenommen. Nach einer kurzen Verdauungspause nimmt Tom den Gesprächsfaden wieder auf.

      „Jakob du kennst die Tagespolitik. Das Thema Gesundheit ist nicht vorrangig, aber denk an zurückliegende Gesundheitsthemen. Die Hygiene im Krankenhaus ist eines davon. Dann die Finanzierung der Krankenhäuser. Das Lamentieren über die Nichtbilligung der Investitionsgelder durch die Länder. Und dann noch das aktuelle Dauerthema, die Pflege. Das ist nur ein Teil der Baustellen im Gesundheitswesen. Wir denken vorausschauend. Anders, als in der vergangenen Legislaturperiode gedacht wurde. Dein Parteifreund, der Bundesgesundheitsminister, hat Hinterher-Politik gemacht. Ist den Ereignissen hinterhergelaufen und hat kosmetische Veränderungen vollzogen. Das geht in Zukunft nicht mehr, das Hinterheragieren.“

      „So, ihr denkt ich sei der Mann für das Vorausschauende“, erwidert Jakob.

      „Ja, davon sind wir überzeugt“, antworten Harry und José im Gleichklang.

      Jakob schaut nachdenklich in sein Glas. Jetzt hat er verstanden. Seine Freunde wollen, dass er Gesundheitsminister würde. Genauer gesagt Bundesgesundheitsminister. Für das ganze Land. Einfach so, wollen das die Freunde.

      „Warum wollt ihr, dass ich auf so einen Posten hinarbeite? Ich kann das noch nicht erkennen. Von dir Tom weiß ich, dass du kein Ministeramt anstrebst. Und du Harry, du Krankenkassenoberster, du könntest schon eher interessiert an mir sein. Dein Zugangsdrang zu gesundheitspolitischen Entscheidern ist selbst mir verständlich. Und bei dir José bin ich mir überhaupt nicht sicher. Du denkst primär wissenschaftlich, nicht geschäftsorientiert. Erklärt es mir, ich kann es nicht verstehen.“

      „Das machen wir“, antwortet Tom. „Ich versuche es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen. Du weißt, dass der Kern unseres Gesundheitswesens die gemeinsame Selbstverwaltung ist. Bis dahin klar?“

      „Natürlich“, erwidert Jakob.

      „Siehst du“, antwortet Tom, „bis dahin klar. Aber danach nicht mehr. Aus Selbstverwaltung ist nämlich Selbstbedienung geworden. Jeder Akteur in der gemeinsamen Selbstverwaltung bedient sich nach Belieben am System. Die Ärzte, die Physiotherapeuten, die Apotheker, die Krankenhäuser, die Krankenkassen, einfach alle. Fehlt noch einer? Jeder nimmt, was er bekommen kann.“

      „Übertreibst du nicht?“, fragt Jakob.

      „Nein, ich übertreibe nicht. Ich, oder besser wir, können gut verstehen, dass du dich überrumpelt fühlst. Gesundheit war bisher nicht dein Thema…“

      „Und soll es jetzt werden“, unterbricht Jakob.

      „So ist es.“ José meldet sich zu Wort. „Gesundheit und Wirtschaft sind untrennbar verbunden. Tom erwähnte schon, dass die Bundesländer ihren gesetzlichen Investitionspflichten für die Krankenhäuser nicht nachkommen. Aus verschiedenen Gründen. Lassen wir das jetzt, es führt zu weit. Es ist auch nur ein Beispiel.“

      Wieder entsteht eine Gedankenpause. Die Freunde warten auf eine Antwort von Jakob.

      „Es ehrt mich, dass ihr euch derartige Gedanken macht. Aber ganz ehrlich, ihr stellt euch das sehr einfach vor.“

      „Das hätte ich bis vor kurzem auch gedacht“, erwidert Tom. „Seitdem ich mitbekomme, was so diskutiert und geplant wird, halte ich alles für möglich. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, welche Namen da fallen. Die Dimension der Planspiele hat mich vollkommen überrascht. Warum sollen wir uns heraushalten?“

      „Und ich bin euer Ball im Spiel. So stellt ihr euch das doch vor“, entgegnet Jakob verärgert.

      „Nein so ist es nicht“, sagt José. „Es ist unsere Sorge. Die lässt sich in wenigen Sätzen nicht erklären. Wir sind ja schon froh, wenn du uns ein Signal geben würdest. Das Signal, dass du dich mit dem Gedanken befassen wirst. Dann reden wir nochmal drüber.“

      Jakob denkt angestrengt nach. Hält sein Glas fest, schiebt es hin und her, blickt seine Freunde einzeln an, seufzt kurz und richtet sich gerade auf.

      „Ich gebe euch Recht. Bei der Dimension dessen, was heute in den Begriff Gesundheitswirtschaft eingeht, nämlich die besagten 300 Milliarden Euro und mehr, sind wir tatsächlich mitten in der Wirtschaft angekommen. Übrigens, der Begriff Wirtschaft gefällt mir überhaupt nicht. Gesundheitswesen ist für mich verträglicher.“

      „Wenn es nur das ist“, antwortet Tom.

      Jakob fährt fort. „Was mir an euch gefällt, das ist euer vorrausschauendes Denken. Ich habe die Gesetze zur Gesundheitspolitik mitentschieden, als Abgeordneter, wie jeder andere auch. Aber nicht mitgedacht. Gedacht habe ich mir, dass die Leute im Gesundheitsministerium schon wissen, was in ihren Gesetzesvorlagen drinsteht. Mehr nicht. Jetzt, wo ihr es sagt, sind es Entscheidungen auf Vorgänge, die lange vorher gelaufen sind. Das ist keine vorausschauende Politik.“

      „Ist es nicht“, erwidert José. „Womit wir wieder bei unseren Sorgen sind. Wir erkennen keine Konzepte. Gesundheitspolitik ist kein Schwerpunkt in der Politik, ausgenommen die Pflege. Die wird derzeit voll ausgespielt und von den unterschiedlichsten Interessenten befeuert. Stimmt doch Harry, oder?“

      „Ich sage besser nichts zur Pflege. Ich könnte euch sagen, was sie kostet, wenn sie auf einem attraktiven Niveau wäre. Später ja. Erst einmal müssen wir Jakob überzeugen.“

      „Überzeugt bin ich noch nicht“, antwortet Jakob. „Aber, wie sagt man, angestachelt. Die Nähe zur Wirtschaft ist ein tragendes Argument. Aber mal ehrlich, von Gesundheit, von Gesundheitspolitik habe ich herzlich wenig Ahnung.“

      „Womit wir mitten im Thema sind, Jakob. Genau das wird unsere Aufgabe sein. Wir coachen dich, wir bringen dir Gesundheitspolitik bei.“

      „Du siehst, so gemein sind wir nicht“, sagt José. „Wir sagen nicht, du sollst, ohne dir unsere volle Unterstützung zu versichern. Du wirst der erste Resort Minister sein, der wirklich Ahnung von seinem Fach hat.“

      Die letzte Bemerkung von José entspannt die Diskussion. Jakob beteiligt sich jetzt viel lockerer an dem Gespräch. Es ist wieder so wie früher, wenn sie engagiert die Themen durchkauten. Am Ende zieht Tom einen Umschlag aus der Jacke und übergibt ihn Jakob.

      „Hier ist noch was zum Einschlafen, nein lies es besser, wenn du ganz wach bist. Es ist ein Papier, von uns dreien verfasst. Darin findest du


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