Anarchistische Analysen zur Gegenwart. Jörg Djuren
einen Überschuß an leeren Versprechungen, die sie nicht erfüllen kann.
Um die so enstehenden Bedürfnisse aufzufangen, wird die nach Effizienzkriterien organisierte reale neue Familienform der MIS-BürgerInnen durch die Familien-Simulation ergänzt. 1,5 Stunden am Freitag Abend immer von 18.oo bis 19.3o Uhr hat Papa für seine Tochter Zeit. In dieser 'Qualitätszeit' wird Familie simuliert. Und da die Simulation nicht die Widersprüche der Realität, die alltägliche Arbeit an der Optimierung des Warenwertes, aushalten muß, ist alles hier nun viel schöner, zumindest nachdem der Widerstand der Kinder gegen diese Zeitpraxis gebrochen ist16 . Die schöne neue Familien-Simulation kann so nach ausreichend Training, als Projektionsfläche für all die im Alltag des Warensubjektes nicht erfüllten Bedürfnisse fungieren.
Die Struktur der Auslagerung wesentlicher Teile der Familien('HausFrauen')arbeit aus der Familie und ihre Kommerzialisierung setzt dabei die sexistische Arbeitsteilung fort, nur das sie nun mit einer rassistischen Arbeitsteilung verschränkt wird. So sind es meist Frauen marginalisierter Bevölkerungsgruppen, z.B. 'Ausländerinnen' mit unsicherem Aufenthaltsstatus, die gezwungen17 werden diese Arbeiten gegen geringfügige Bezahlung zu übernehmen.
Dies gilt nicht nur für die westlichen Industrieländer und es geht hier nicht 'nur' um Haushaltshilfen sondern um die gesamte Billiglohnökonomie. Der Metropolenkapitalismus ist auf eine verfügbare Masse an Billigarbeitskräften, die Nachts die Banken putzen und für die/den BankerIn das Chop Suey kochen angewiesen18 . Die bevölkerungspolitische und frauenpolitische Strategie der Weltbank weist genau in diese Richtung. Durch Kleinstkredite zum Aufbau einfacher Dienstleistungen für die regionale MIS-Schicht und ihre ZuarbeiterInnen werden insbesondere Frauen im Trikont in diese Billigweltmarktökonomie integriert und von ihr abhängig. Zusätzlich zur direkten ökonomischen Vernutzung ergibt sich als Nutzen für das Kapital, daß die Frauen damit in die Lage versetzt und dazu angehalten werden, die Grundausbildung ihrer Kinder zu finanzieren. So können auch diese Kosten für die Ausbildung zukünftiger Arbeitskräfte auf die Frauen abgewälzt werden.
Die sexistische Spaltung verläuft nicht mehr zwischen dem souveränem Subjekt ('Mann') und der Ware ('Frau') sondern zwischen Waren, die sich souverän selbst vermarkten, eben den Führungsschichten der MIS und wichtigen ZuarbeiterInnen (Überwiegend 'Männer' aus wenigen reichen Ländern mit bürgerlichem Familienhintergrund), den MIS BürgerInnen, und Waren, denen es durch rassistische und sexistische Gesetze und Gesellschaftsstrukturen, z.B. durch das Aufenthalts- und Arbeitsrecht, unmöglich gemacht wird, sich souverän selbst zu vermarkten, und die sich zu Dumpingpreisen verschleudern müssen (Der überwiegende Teil der Frauen, die Bevölkerungen der Trikont-Länder und die ärmeren Schichten der Metropolen). Obwohl der Warencharakter, die Menschen in dieser Ideologie alle gleich macht, gibt es auch hier wie im Absolutismus eine klare Hierarchie der oberen und unteren Diener Gottes, also in diesem Fall der oberen und unteren Diener des freien Marktes, der wie Gott eine ideologische Fiktion im Interesse der Herrschenden ist.
Essen Sie mehr Christen!
Sie wissen doch, wenn Sie Menschen essen, eignen Sie sich die Eigenschaften dieser Menschen an.
Und Christen sind zivilisiert.
Wollen Sie nicht zivilisiert sein?
Falls es nicht wirkt müssen Sie einfach mehr Christen essen. Das ist wie mit der freien Marktwirtschaft, Sie haben halt nur noch nicht genug davon.
Ein wesentliches Moment dieser Hierarchie ist die, daß WeltbürgerInnentum der MIS-Klone ergänzende, Reteritorialisierung für die Beherrschten. Es wird ein immer ausdifferenzierteres System der Zuweisung an Bewegungsfreiheit aufgebaut. An deren einem Ende die MIS-BürgerInnen stehen, die sich überall bewegen und ihren Zugang zu Territorien auch militärisch erzwingen, und an deren anderem Ende zu Hungerlöhnen zwangsarbeitende Gefängnisinsassen, Kriminalisierte mit elektronischer Fußfessel, Menschen mit keiner oder beschränkter Aufenthaltsbefugnis und die Masse der Bevölkerung der Länder des Trikont stehen. Auf der städtischen Ebene bildet sich dies ab über No-Go-Areas für Obdachlose, DrogenutzerInnen und Farbige besonders in aufgewerteten Innenstadtbereichen. Auch im Internet zeigen sich mit vielfältigen Paßwortzugängen inzwischen Tendenzen zum Aufbau ähnlicher Strukturen.
EinE MIS-BürgerIn wird in vielen Fällen diese Barrieren nicht einmal mehr wahrnehmen, läuft doch die Zugangskontrolle im Internet inzwischen längst im Hintergrund automatisiert ab, und wird sie doch an den Außengrenzen bevorzugt behandelt, bzw. erledigt die MIS die Formalitäten.
Den meisten Menschen wird die Möglichkeit zur souveränen Selbstvermarktung genommen, sie müssen sich zu Zwangsbedingungen verkaufen.
Ideologisch abgesichert und real ermöglicht wird diese Spaltung durch die systematische Aufwertung der alten überholten bürgerlichen Familie in diesen Bevölkerungsschichten in ihrer sexistischten und reaktionärsten Form durch religiöse und kulturelle Institutionen, die vom Großkapital finanziert auf die Masse, der nicht zur Klonschicht der MIS gehörigen Bevölkerung, gerichtet sind. Diese Funktion erfüllt z.B. der vom saudischen Großkapital finanzierte islamische Fundamentalismus, aber auch protestantisch christliche Organisationen in den USA und bestimmte Massenmedien.
Die bürgerliche Familienform erfüllt hier zwei Zwecke.
- Sie sorgt für die weitere ausreichende Zurverfügungstellung zu Niedriglöhnen ausbeutbarer Arbeitskräfte.
- Sie sichert ideologisch ab, daß den marginalisierten Bevölkerungsgruppen die Selbstvermarktung als Unmoral erscheint, und sie somit den auf der Spaltung basierenden Bestand der Herrschaftsverhältnisse von sich aus aufrechterhalten. Dies vor allem über eine repressive sexistische insbesondere gegen eine sowohl reproduktiv wie lustvoll selbstbestimmte Sexualität von Frauen gerichtete Sexualmoral und Homophobie. Da souveräne Selbstvermarktung immer auch, auch bezogen auf Männer19 , sexuelle Aspekte mit einbezieht schließt eine solche Moral eine vollwertige Teilnahme als Ware am Markt aus.
Als Legitimation für diese repressive Sexualnorm wird dabei der genannte immer aggressivere sexistische Zugriff durch MIS-Bürger auf Kinder und Frauen aus diesen marginalisierten Schichten angeführt. Wobei in der klassischen Strategie des "Blaming the Victim" diese für ihre sexuelle Ausbeutung auch noch selbst verantwortlich gemacht werden.
Auf männlicher Seite wird auch in diesen marginalisierten Gesellschaftsbereichen der Reduktion auf ein sexuelles Objekt durch verstärkt aggressiv heterosexistisches Auftreten entgegen gearbeitet.
Da diese klassische bürgerliche Familienform aber im globalisierten Kapitalismus zunehmend disfunktional wird, z.B. weil sie häufig auf Mutter und Kind reduziert wird, oder sie migriert sind, oder auch die Mutter in Freihandelszonen oder in der internationalen Dienstleistungsökonomie einschließlich Prostitution ihre Haut zu Markte tragen muß, u.a., ist sie nur noch aufrecht zu erhalten durch die verschärfte Ausbeutung der (Reproduktions)Arbeit von Frauen. Diese Ausbeutungsverhältnisse werden durch extreme Formen von Gewalt gegen Frauen, gegen aufkeimenden Widerstand und alternative Lebensentwürfe von Frauen, abgesichert.
Der Islamismus ist hier nur ein Beispiel, massenhafte sexuelle Gewalt in den Freihandelszonen Mexicos oder den französischen Vorstadtgettos sind ein anderes Beispiel für diese Gewalt zur Aufrechterhaltung der klassischen Familie.
Diese Gewalt ist und dies gilt auch für den islamischen Fundamentalismus ein funktionaler Bestandteil der kapitalistischen Modernisierung, sie ist dies ebenso, wie die Inquisition Teil des Modernisierungsprozesses im Umbruch vom Mittelalter zur Neuzeit war, und eben kein Überbleibsel einer 'unzivilisierten' Vergangenheit.
Für AnarchistInnen muß es wiederum darum gehen, sowohl die alte bürgerliche Familienform, wie auch das neue souveräne Warensubjekt gleichzeitig zu bekämpfen.
Der gerechte Orgasmustausch als Liebesideal
Ausgehen von den Theorie des französischen Philosophen Michel Foucault zur Bedeutung der Bio-Macht für den modernen Kapitalismus gilt, daß die Machtdiskurse auf das Subjekt wesentlich über die Sexualität laufen. Durch die Sexualitätspolitiken und -praxen werden die bevölkerungspolitischen Machtinteressen