Die Midgard-Saga - Muspelheim. Alexandra Bauer
Wir reiten noch ein Stück.“
„Mein Magen hätte nichts gegen eine Pause einzuwenden“, erklärte Thor.
„Das hat er nie“, erwiderte Wal-Freya trocken, saß auf und folgte Odin.
Während Pferd und Reiter keine Mühen hatten sich in dem verkrüppelten Wäldchen zu bewegen, war Thor oft gezwungen Umwege zu laufen, damit sein Wagen zwischen den steinernen Gebilden vorankam. Er gab sich dabei keine Blöße und hielt mit der Gruppe schritt, auch wenn er sich hier und da kaum noch in Sichtweite befand. Das ein oder andere Mal sah Odin ihm seufzend nach und schüttelte leicht den Kopf. Ob er es tat, weil ihn das Bild der Böcke belustigte, die aufrecht auf dem Wagen sitzend in die Umgebung starrten, oder er unglücklich über das Gebaren seines Sohnes war, darüber konnte Thea nur spekulieren. Sie vermutete Letzteres. Djarfur hatte sich über den Donnergott lustig gemacht, der zum Zugtier seiner Zugtiere geworden war. Er verstummte aber augenblicklich, als Thea ihre Bewunderung für Thors aufopfernde Zuneigung seinen Begleitern gegenüber zum Ausdruck brachte.
„Du würdest das also auch für mich tun?“, fragte Djarfur.
„Natürlich. Wenn ich ebenso stark wäre wie Thor und du das wollen würdest ...“
Djarfur kicherte. „Niemals würde ich das wollen. Ich bin ein Pferd und kein störrischer, fauler Bock.“
Nun lachte auch Thea. „Ich gebe zu, jetzt bin ein bisschen beruhigt.“
Djarfur wieherte und zog die Aufmerksamkeit der anderen auf sich.
„Was ist so lustig?“, fragte Wal-Freya. Sie runzelte die Stirn und hob dann die Brauen. Wie es schien, erzählte ihr Djarfur die Geschichte, denn kurz darauf erwiderte sie: „Thea würde es niemals schaffen dich zu ziehen. Erst recht nicht in diesem versandeten Boden.“
„Der Wille zählt“, empörte sich Thea.
„Wer zieht wen?“, staunte Juli.
Odin brummte ungehalten. „Ein störrischer Bock den anderen.“ Er brachte Sleipnir zum Stehen. „Wir machen hier Rast. Jemand sollte ihm Bescheid sagen, bevor er sich im Wald verfährt.“
Thea beobachtete den Donnergott, der etwas abseits zu ihnen lief.
„Ich schicke ihm einen Gedanken“, erklärte Wal-Freya.
Einen Augenblick später hielt Thor an. Umständlich versuchte er den Wagen in Richtung des Rastplatzes zu manövrieren. Als er zum dritten Mal mit dem Rad an einem Baum hängen blieb, ließ er das Gefährt einfach stehen, jagte Tanngrisnir und Tanngnjostr herunter und folgte ihnen zur Gruppe.
„Das hast du jetzt davon, dass du kein Pferd genommen hast“, murrte Odin zum wiederholten Male.
„Hör schon auf, Vater! Als könnte irgendein Gaul meine beiden Schätze ersetzen.“ Es streckte sich auf dem Boden aus, öffnete die Arme und empfing die Böcke, die sich dankbar an ihn kuschelten. Wie auf Kommando flogen nun auch Hugin und Munin heran. Sie setzten sich auf Odins Schultern, krächzten leise und überschauten die Gruppe.
„Es bringt nichts, sich darüber zu streiten. Jetzt ist es so“, sagte Wal-Freya mit Nachdruck.
„Stimmt“, brummelte Odin. Er sah sich um. „Skidbladnir können wir hier nicht aufschlagen.“
„Zu wenig Platz“, bestätigte Tom.
„Wenn der Ritt durch diesen Wald noch lange dauert, werden wir einen Ort dafür suchen müssen. Unsere Vorräte gehen zur Neige“, sagte Wal-Freya.
„Reicht es denn überhaupt noch?“, klagte Juli.
„Du sorgst dich sicher um Fifill“, zwinkerte Thea.
Ertappt stotterte Juli: „Ja klar! Natürlich. Was sonst?“
Thor lachte. Er zog den Riemen des Quersacks über seinen Kopf und verteidigte den Inhalt lachend gegen Tanngrisnir und Tanngnjostr, die gierig ihre Nasen in die Öffnung steckten. „Wartet doch!“, lachte Thor. Er zog eine Schale aus dem Sack und füllte sie mit Wasser auf, das gierig gesoffen wurde. Erst dann legte er Obst, Karotten und sogar ein paar Zweige vor den Napf, bevor er den Rest des Beutels in seinen Schoß lehrte.
„Da wirst du den Gürtel wohl etwas enger schnallen müssen, Sohn“, höhnte Odin.
„Wieso? Wir haben noch genug“, lachte Thor.
„Ich in meinem Beutel schon“, scherzte Odin.
„Ich in meinem auch“, schmunzelte Wal-Freya.
Thor hob die Augenbrauen. „Juli in ihrem ebenso“, versetzte er und lachte über seinen eigenen Scherz, als er das überraschte Gesicht des Mädchens entdeckte. Juli hatte ihren Beutel geöffnet und sich bereits daraus bedient. Was immer sie kaute, es blieb ihr beinahe im Hals stecken.
„Einen Teil sollst du immer deinen Göttern opfern“, erinnerte Thor mit einem Grinsen.
„Ich würde dir alles opfern, wenn ich sicher gehen könnte, dass Wal-Freya bald Skidbladnir öffnet“, versicherte sie.
Sie lachten und Thor stieß sie mit der Schulter an.
„Wir werden versuchen noch zwei oder drei Tage damit durchzuhalten. Vielleicht lassen wir den Wald dann hinter uns und finden ein geeignetes Plätzchen“, sagte Odin.
„Ich kann auch einfach ein paar dieser Bäume umwerfen“, schlug Thor vor.
„Wiederhole ich mich, wenn ich dir sage, dass wir gerade sehr froh darüber sind, nicht gegen eine Horde wildgewordener Feuerriesen zu kämpfen?“, versetzte Wal-Freya.
„Je früher, umso besser“, widersprach Thor.
„In diesem Fall nicht, Sohn“, antwortete Odin streng. „Wir waren uns einig.“
„Sonst hätten wir uns diese ganze Lauferei ersparen können“, erinnerte Juli.
„Ist ja gut. Allmählich gewöhne ich mich daran“, versicherte Thor. „Aber zu meiner Besänftigung müsst ihr eure Beutel wohl mit mir teilen.“
„Um dich zu begütigen, würden wir doch fast alles tun“, lachte Juli und schob ihren Beutel zu Thor hinüber.
„Das beruhigt mich zutiefst, liebe Juli. Mit einem vollen Bauch kann ich auch viel besser schlafen.“
„Nichts da. Du bist mit der Wache dran“, sagte Odin.
„Och nö“, stöhnte Thor. Alle lachten.
4. Kapitel
In der Nacht erwachte Thea von einem merkwürdigen Laut. Klopfenden Herzens blickte sie auf die Fylgja, die ein Auge öffnete und es zu Theas Beruhigung sofort wieder schloss. Hugin und Munin krächzten fragend.
„Ein komisches Ding macht sich über unsere Nahrungsvorräte her“, erklärte Djarfur. Im gleichen Moment bäumte er sich wiehernd auf und stampfte mit den Vorderhufen in Richtung der Quersäcke.
Alle fuhren gleichzeitig hoch. Thea, die wusste, wohin sie blicken musste, entdeckte gerade noch eine kniehohe Gestalt, ehe diese geräuschvoll in sich zusammenfiel. Nur ein Haufen Steine blieb von ihr zurück.
Alarmiert sprang Wal-Freya auf, die Hand am ausgestreckten Arm erhoben. Odin war genauso schnell wie sein Sohn auf den Beinen, Gungnir in Kampfhaltung auf die Umgebung gerichtet. Auch Tom und Juli zogen ihre Schwerter. Nur Thea, im Vertrauen darauf, dass ihre Fylgja die Gefahr richtig einschätze, behielt Kyndill in seiner Scheide.
Wal-Freya machte einen Schritt auf den Steinhaufen zu und schob ihn mit den Füßen auseinander. „Was war das?“
„Kein Plan“,