Die Verwandlung. Claudia Rack
der Vollstrecker.“ Ariana schluckte schwer, als sie die Bezeichnung vernahm. Er war ihr nicht gefährlich erschienen, als er sie gestern aufgefangen hatte.
„Was vollstreckt er denn so?“, fragte sie belustigt. Arabas starrte sie entgeistert an.
„Das ist nicht witzig Ariana“, tadelte er sie. Sie unterdrückte ihr Lachen und versuchte, Ernst zu bleiben. „Er ist für die abtrünnigen Engel zuständig und richtet über sie. Zumindest wird das über ihn behauptet.“ Diese Information beängstigte sie.
„Ist er hinter Jazar her?“, fragte sie sofort. Sie war um den Beschützer besorgt, als um ihre eigene Person. Arabas konnte es nicht fassen.
„Nein, hinter dir, Auserwählte“, betonte er. Sie stutzte. Ihre Gedanken überschlugen sich.
„Ich verstehe nicht. Ich bin kein abtrünniger Engel. Was will er ...“, abrupt verstummte sie, als sie auf die Antwort kam. Arabas sah sie eindringlich an.
„Was? Was denkst du, Ariana? Sprich mit mir, verdammt!“, hakte er ungeduldig nach. Unsicher sah sie zu Boden, setzte die Puzzleteile noch gedanklich zusammen, bevor sie auf Arabas einging.
„Der freie Fall. Das ist die einzige Erklärung, weshalb dieser Vollstrecker hinter mir her ist. Ich bin auf dem richtigen Weg, Arabas. Verstehst du das nicht?“ Euphorisch sprang sie von der Couch und strahlte ihn an. Er verstand es noch nicht und schüttelte bedröppelt den Kopf. „Wenn sie jemanden zu mir schicken, bedeutet das, dass ich der Wahrheit zu nahe gekommen bin, Arabas. Möglicherweise habe ich irgendetwas übersehen in meinen Unterlagen.“ Arabas schien nicht überzeugt. Er fand es alarmierend, dass sie die Tatsache, dass ein gefährlicher Engel hinter ihr her war, sie nicht beunruhigte.
„Du weißt schon, dass du es dieses Mal nicht mit meinem Gefolge zu tun hast, die eher harmlos sind, oder?“ Sie sah ihn fragend an. „Sariel ist ein anderes Kaliber, Auserwählte. Du solltest das verdammt Ernst nehmen, hörst du?“ Der Ernst der Lage sprach deutlich aus seiner Stimme, sodass Ariana verstand, in welcher Gefahr sie schwebte.
„Und die anderen zwei? Wer sind die?“, fragte sie beunruhigt.
„Calliel darfst du ebenfalls nicht unterschätzen. Ich kenne sie gut, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Dass sie für Rafael arbeitet, ist eher das, was mich beunruhigt. Nemir sagt, sie sucht Ophelia.“
„Aber das ist doch gut, oder? Ich meine, wenn sie Ophelia findet, habe ich nichts dagegen“, unterbrach Ariana ihn.
„Vielleicht, vielleicht auch nicht“, antwortete er nachdenklich, „falls sie Ophelia finden, wird sie es schwer haben. Rafael ist ein Erzengel. Und zwar einer der Skrupellosesten unter ihnen.“ Ariana konnte sich noch kein Bild davon machen, aber sie glaubte Arabas. Er verstand mehr von den Engeln und deren Rangfolge, als sie das tat.
„Also haben wir es jetzt noch mit Erzengeln zu tun?“, fragte sie überrascht. Arabas sah sie nachdenklich an. Sein Blick ruhte länger auf ihr, als nötig.
„Ja. Und glaub mir, Auserwählte, das ist nicht gut. Niemand legt sich mit einem Erzengel an, nicht einmal ein Gefallener. Verstehst du?“ Sie verstand ihn. Dessen ungeachtet wusste sie, dass es einen Gefallenen gab, der genau das tun würde. Und dieser gefallene Engel stand direkt vor ihr.
5. Kapitel
Sie spürte es sofort. Ariana konzentrierte sich, suchte nach der Ursache für ihre innere Unruhe. Arabas sprach zu ihr, sie hörte ihn schon nicht mehr. Sie blendete alles um sich herum aus, bis auf dieses irritierende Gefühl, welches ihr eine Gänsehaut verursachte. Abrupt stand sie auf, sodass Arabas sie verwundert ansah. Er brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass irgendetwas nicht stimmte.
„Was ist los, Auserwählte?“, fragte er beunruhigt. Ihr Kopf fuhr zur Wohnungstür herum. Die Augen zusammengekniffen, starrte sie die Tür an. Sie zitterte und überlegte, wo ihre Waffen waren.
„Er ist hier“, flüsterte sie. Arabas folgte ihrem Blick und glaubte ihr. Sie war in der Lage Gefahr zu erkennen, bevor man sie sah. „Der Schutzzauber?“, fragte sie hoffnungsvoll. Arabas schüttelte den Kopf.
„Nützt nichts, nicht bei einem Erzengel. Spürst du nur ihn?“
„Ja.“
„Ich übernehme das, Auserwählte.“ Ariana wirbelte zu ihm herum und sah ihn wütend an.
„Das wirst du nicht tun, Arabas. Vielleicht geht er wieder und kommt nicht herein.“ Er betrachtete sie skeptisch. Sie musste zugeben, dass das Selbst für sie absurd klang. Sein gesegneter Dolch lag in seiner Hand, als er sich kampfbereit aufstellte, direkt vor ihr. Er würde sie beschützen, wusste sie. Bevor er irgendetwas darauf erwidern konnte, ging die Wohnungstür auf. Beide warteten gespannt, ob der Eindringling sich zeigen würde. Zuerst erschien sein silbernes Gewand, überzogen mit roten Streifen. Seine kräftigen Beine steckten in dunkelgrünen hautengen Hosen. Erst beim Anblick seiner schneeweißen Flügel, durchzogen mit olivgrünen Federn, konnte Ariana ihren Blick nicht mehr von Sariel abwenden. Seine grünen Augen stachen in ihre, ließen sie nicht mehr los, desto näher er auf sie zukam. Er hatte die Flügel nicht vollständig ausgefahren, nur soweit, dass sie zu erkennen waren. Seine Erscheinung war atemberaubend. Anders, als in der Trainingshalle, bemerkte Ariana. Seine durchdringenden Augen würde sie schon nicht vergessen. Jetzt, wo er in seiner Engelsmontur auf sie zukam, war sie sprachlos. Sein lebhaftes Grinsen erreichte die Augen nicht, die wachsam auf Arabas achteten. Ariana umklammerte Arabas Oberarm und zog ihn zurück. Widerwillig ließ er sie gewähren und nahm Abstand von Sariel. Dieser stellte sich breitbeinig vor ihnen auf, die Daumen im Waffengürtel verhakt, sah er sie provozierend an. Sein Blick fiel auf den gesegneten Dolch, den Arabas in der Hand hielt. Das Grinsen wurde breiter und er schüttelte belustigt den Kopf.
„Arabas“, erklang seine gefährliche Stimme, „ich hatte angenommen, du bist intelligenter. Willst du dich ernsthaft mit mir anlegen?“ Ariana spürte es in jeder Faser ihres Körpers. Dieser Erzengel war extrem gefährlich. Sie glaubte nicht, dass Arabas oder sie eine Chance haben würden, sollte es zum Kampf mit Sariel kommen. Allerdings glaubte Ariana nicht, dass er aus diesem Grund hierher gekommen war. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, sie niederzumetzeln, wenn er das wollte.
„Was willst du?“, fragte sie ihn mutig. Sariel unterbrach den stummen Wortaustausch mit Arabas, um sie direkt anzusehen. Sariel zog seinen Dolch aus dem Waffengürtel. Er ließ Arabas nicht aus den Augen, sobald er mit seinem Dolch in der Hand spielte. Arabas wollte sich auf ihn stürzen, der scharfe Blick von Sariel ließ ihn umdenken.
„Tu das nicht, Gefallener“, meinte er gelassen, „es wäre mir eine Freude, über dich richten zu können, wie es sich gehört. Ich bin nicht deinetwegen hier, noch nicht“, betonte er. Arabas wusste genau, worauf der Erzengel damit anspielte. Als Vollstrecker gehörte es zu seinen Aufgaben, die Gefallenen zu bestrafen. Es lag in seiner Natur. Offenbar kostete es Sariel einiges an Willenskraft, sich nicht direkt um Arabas zu kümmern. Neugier war es, die Arabas zurückhielt. Er wollte wissen, weshalb Sariel zu Ariana kam. „Ich bitte dich ein einziges Mal, Ariana.“ Sie horchte auf und begegnete seinem eindringlichen Blick. Ein Erzengel wollte sie um etwas bitten? Das war äußerst seltsam. Ihre Körperhaltung war angespannt. Die Hand krallte sich in Arabas Oberarm, sodass dieser kurz vor Schmerz stöhnte und sie ärgerlich ansah. Sie nahm davon keine Notiz, sie konnte ihren Blick nicht von Sariel abwenden. Da war irgendetwas an diesem Erzengel, was sie regelrecht lähmte. Sie konnte es sich nicht erklären, sie empfand Respekt vor ihm. Sie kannte ihn nicht. Sie wusste nichts über diesen Erzengel, bis auf die Tatsache, dass er der Vollstrecker genannt wurde und gefährlich war. Dennoch fühlte sie, wie kräftig er war und das ängstigte sie zu Tode. Zum ersten Mal seit einer geraumen Zeit verspürte sie Angstgefühle. Das letzte Mal hatte sie solche Gefühle gespürt, als die Gefallenen ihr Elternhaus überfallen hatten und ihre Adoptiveltern töteten. Er wusste es. Sie konnte es in seinem Blick erkennen. Sariel wusste, wie sie sich fühlte. „Ich will dir nichts tun, Ariana. Du gehörst zu den Guten, du bist eine Auserwählte. Es liegt nicht in meiner Natur über dich richten zu müssen, aber wenn ich es tun muss, werde ich es tun. Hör auf meinen Rat