Und es jubeln die Rachegeister: Ein Regio Mystery Krimi aus Österreich. Karl Plepelits
Schüchternste der drei. Zugleich war sie die eine, die den nachhaltigsten Eindruck auf ihn machte.
Vollkommen ungestört, verbrachten die vier einen höchst angenehmen (und für Eduards Französischkenntnisse segensreichen) Nachmittag mit lieblichen Beschäftigungen wie um die Wette schwimmen, sich gegenseitig unter tollem Gekreische anspritzen, Sandburgen bauen, in der Sonne braten und wohl auch dem drohenden Hungertod vorbeugen. Zu diesem Zweck teilten sie sich wie selbstverständlich ihre mitgebrachten Fressalien. Und weil's so schön und lustig war, vereinbarten sie beim fröhlichen Abschied vor der Behausung der drei Grazien, einer großen Villa inmitten eines prachtvollen Gartens, sich tags darauf um zwei Uhr hier zu treffen und wieder gemeinsam baden zu fahren.
Am nächsten Tag versteckte sich die liebe Sonne hinter einer dichten Wolkendecke. Als Eduard die Villa erreichte, wartete schon Juliette auf ihn und begrüßte ihn freudig, doch ausgesprochen schüchtern. Und sie war allein.
Und Madeleine und Denise?
Kommen nicht mit. Sind nach Nizza gefahren. Einkaufen. Morgen vielleicht wieder. Enttäuscht?
Aber nein. Ganz im Gegenteil.
Und er glaubte in Juliettes schmalem Gesicht eine leichte Rötung zu entdecken.
In der Bucht angekommen, stürzten sie sich wegen des kühlen Wetters sofort in die warmen Fluten. Leider artete dies sofort wieder in ein Wettschwimmen aus. Doch während Eduard unter Aufbietung aller Kräfte hinter Juliette her schwamm und sich krampfhaft bemühte, wenigstens nicht allzu weit zurückzufallen, merkte er zu seiner Verwunderung, dass der Abstand zwischen ihnen plötzlich rapide abnahm. War Juliette in Schwierigkeiten? Sie schlug nur noch hilflos um sich und hatte offensichtlich Mühe, sich überhaupt über Wasser zu halten. Und da war Eduard auch schon bei ihr und konnte sie gerade noch packen, möglicherweise im letzten Moment. Er packte sie mit beiden Händen, drehte sich selbst in Rückenlage, schlüpfte unter sie. Und so gelang es ihm, sie heil zur nächsten Bucht zu schleppen. Dort trug er sie an Land und bettete sie behutsam in den Sand, damit sie sich von ihrem Schwächeanfall erholen konnte. Ein solcher war es ja vermutlich, ausgelöst wohl durch Überanstrengung und vor allem durch Missachtung des elementaren Gebotes, dass man mit vollem Magen nicht ins Wasser gehen soll. Wie oft, wie eindringlich war es Eduard in seiner Kindheit eingetrichtert worden! Und es gilt bestimmt nicht nur für die Donau.
Gottlob, allmählich begannen Juliettes Augen wieder zu leuchten und blieben an den seinen hängen, ihre Lippen wurden wieder rot und flüsterten: „Édouard, mein Retter! Danke!“ Hierauf stützte sie sich auf und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Und das kam so überraschend, und der Kuss selbst war so süß, dass es Eduard den Atem verschlug.
„Mein Retter!“, wiederholte sie. „Ich bin so froh ... Sag doch, bist du wirklich nicht enttäuscht, dass Madeleine und Denise ...“
„Aber nein. Mit dir allein bin ich viel lieber ...“
„Ich ja auch mit dir. Aber Madeleine und Denise sind doch viel hübscher ...“
„Aber wo. Du bist viel hübscher als die zwei zusammen.“
Sie öffnete ihren Mund, ohne etwas zu sagen, richtete sich mit einem Ruck auf, fiel Eduard um den Hals und küsste ihn mit einer Heftigkeit, dass ihm Hören und Sehen verging. Dabei merkte er jedoch, dass sie eine Gänsehaut hatte.
„Dir ist ja kalt“, sagte er.
„Aber deine Hände sind warm.“
„Trotzdem. Du musst dich umziehen.“
Also standen sie auf, nahmen einander bei der Hand, stapften zurück und entledigten sich der nassen Sachen.
An diesem Tag gingen sie nicht mehr ins Wasser, sondern verbrachten ihre restliche Zeit am Strand abwechselnd mit Plaudern und mit Küssen. Und Eduard erfuhr, dass Madeleine und Denise Juliettes beste Freundinnen waren, dass sie alle drei nicht in Cagnes, sondern in Rouen in Nordfrankreich wohnten und bei Madeleines Großeltern nur die Ferien verbrachten.
Am nächsten Tag lud das Wetter noch immer nicht zum Baden ein, zumal junge Mädchen, die erst tags zuvor um ein Haar dem Meeresgott Neptun als Menschenopfer dargebracht worden wären.
Tatsächlich hatte Juliette keine Lust, ans Meer zu radeln. Als Eduard ankam, stand sie schon mit einem großen Lächeln in ihrem lieblichen Gesicht, aber ohne Fahrrad vor dem Gartentor. Unverweilt ergriff sie seine Hand, führte ihn wortlos ins Haus, schloss die Eingangstür, fiel ihm um den Hals und küsste ihn zärtlich. Und ehe er sich noch von seiner süßen Überraschung erholt hatte und ein Wort herausbrachte, sagte sie, süß lächelnd: „Bist du mir sehr böse, wenn ich heute nicht mit zum Strand fahre?“
„Böse nicht“, stammelte er. „Aber traurig.“
„Traurig?“
„Ja, sicher. Weil ich nicht mit dir zusammen sein kann.“
Juliettes Lächeln wurde noch süßer. „Und wenn du hier bei mir bleibst?“
„Sind denn die anderen ...“
„Alle außer Haus. Wir sind ...“
Sie konnte offenbar nicht weitersprechen. An ihrem fliegenden Atem erkannte Eduard, dass in ihrer Brust ein heftiger Sturm tobte. Stattdessen umarmte sie ihn neuerlich, legte ihr gerötetes Gesicht auf seine Schulter und flüsterte: „Ach, Édouard, ich liebe dich. Ich habe mich sofort in dich verliebt, nicht erst, als du mir das Leben gerettet hast. O mein Édouard, wie ich dich liebe! Tag und Nacht kann ich nur noch an dich denken. Ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen. Soll ich dir die Wohnung zeigen? Ich meine, das ganze Haus?“
Und sie zeigte ihm das ganze Haus, führte ihn durch alle Räume und ließ ihn Schönheit und Eleganz der Einrichtung bewundern und küsste ihn feierlich in jedem Raum. Und ungeachtet des süßen Verlangens, das ihm allmählich „die Sinne umhüllte“, bewunderte er eifrig, um Juliette eine Freude zu bereiten. Am meisten bewunderte er jedoch im Stillen, was er in einem schönen Raum mit gewaltigem Schreibtisch und hohen Regalen, voll mit Büchern, sah: eine dicke Brieftasche, die gut sichtbar auf besagtem Schreibtisch lag.
Die Führung endete in einem Zimmer mit drei ungemachten Betten.
„Ihr schlaft hier?“, stieß Eduard mit Mühe hervor. In der Tat, das Reden bereitete ihm auf einmal Mühe. Das süße Verlangen war mittlerweile auf einen Gipfelpunkt gestiegen und umhüllte bereits das Befehlszentrum seiner Sprechorgane (während andere Organe dafür umso einsatzbereiter waren).
Juliette konnte nur noch nicken. Sie presste sich heftig an ihn. Dass sie auf diese Weise sein süßes Verlangen spüren konnte, war unvermeidlich.
„Und welches ist dein ...“
Wortlos zeigte Juliette auf eines der drei Betten und drängte sich noch heftiger an ihn. Und ohne eigentlich zu wissen, was er tat, begann er die Knöpfe ihrer Bluse auf ihrem Rücken zu öffnen. Und in der Folge geschah alles, was der Gott der Liebenden für diese vorgesehen hat, und sogar noch mehr. Denn wie sich herausstellte, war Juliette noch Jungfrau gewesen. Und post festum, also nach dem Liebesfest, war sie eben keine Jungfrau mehr, aber dafür, so sagte sie, „deine Frau für immer und ewig“.
Eduard selbst empfand nicht ganz denselben Enthusiasmus. Mit einer gewissen Sehnsucht dachte er an Mitzi zurück. Sie war keine Jungfrau mehr gewesen und besaß entsprechend mehr Erfahrung (ohne dass sie ihm je verraten hätte, wer der Bösewicht war, der ihr die Jungfräulichkeit geraubt hatte; Florian war es jedenfalls nicht; das stand fest). Jedenfalls hatten sich die Liebesfeste mit ihr als bei weitem vergnüglicher erwiesen als jetzt das mit Juliette. Aber das würde sich ja vielleicht noch ändern. Nur, „für immer und ewig“? Dem fühlte sich Eduard kaum gewachsen, dafür war er, wenn er zu sich ganz ehrlich sein wollte, noch nicht bereit. Außerdem, sollte er zuvor nicht auch die anderen zwei ausprobieren, Madeleine und Denise?
Aber diese Gedanken verriet er Juliette natürlich nicht. Umso eifriger liebkoste er zu ihrem wachsenden Entzücken weiterhin ihren zarten Körper. Neuerlich „umhüllte ihm süßes Verlangen die Sinne“, und neuerlich vereinigte er sich mit ihr. Aber auch dieses