Die Nacht der Schuld. Maxi Hill

Die Nacht der Schuld - Maxi Hill


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hier handelt es sich um einen Studierten, was nicht bedeutet, ein Hochschuldozent ist zwingend immun, wie ein Diplomat.

      Normalerweise wäre dieser Fall für Weiler uninteressant, darüber hilft die Tatsache nicht hinweg, dass er ziemlich vertrackt ist. Einerseits ist es weder einer für die Mordkommission, andererseits gibt es noch keine stichhaltigen Anhaltspunkte für ein Verbrechen. Klar ist bisher nur, die Frau kann sich nicht selbst bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben.

      Für Weilers angeborene Skepsis ist sogar die Tatsache, dass Holger Bach täglich mehrere Stunden in der Klinik am Bett seiner Frau verbringt, kein Indiz für Unschuld. Eher ein Grund zur Sorge. Sollte der Ehemann die Hand im Spiel gehabt haben, wäre es für ihn am Bett seiner Frau ein Leichtes, das Aufwachen zu unterbinden, zumindest aber zu eruieren, ob sie noch in der Lage ist, zu reden oder sich zu erinnern.

      Weilers Vorstoß in dieser Angelegenheit an Doktor Haarström wurde vom Mediziner sofort verstanden. Inwieweit das Personal so konsequent ein Auge auf die Sache wirft, bleibt Weiler unklar.

      Widerwillig wirft er einen Blick in das Protokoll der Befragung dieser Studentin.

      »Ja, wenn Sie es so sagen, war Doktor Bach heute schon (was heißt «schon»?) anders als normal. Unkonzentriert. Abweisend. Wir sind oft den Weg gemeinsam nach Hause gegangen. Doktor Bach ist ein ziemlich cooler Typ…«

       »Was heißt cool?«

       »Er ist witzig, mitunter ironisch. Und er ist klug, wie man es ja erwartet von einem Dozenten. Aber glauben Sie mir, nicht alle Dozenten…«

      »Und das war exakt sechzehn Uhr?« So hatte er die junge Frau brüsk unterbrochen, um Schreiner die gewohnte Angriffsfläche für seine notorische Abneigung gegen die gebildete Oberschicht im Keim zu ersticken.

       »Fünfzehn Uhr fünfzig war die Vorlesung zu Ende. Ja, sechzehn Uhr, das kommt hin. Ich bin dann, weil es mir langsam peinlich wurde, noch abseits gegangen. Ich glaube aber, er ist schnurstracks nach Hause…«

       »Was wurde peinlich?«

       »Dieses Schweigen. Dieses wortlose Nebenher…Man kommt sich vor wie ein lästiger Parasit…«

       »Und das war anders als gewöhnlich?«

       »Auf alle Fälle.«

      Weiler hatte eine Pause gemacht, weil er wusste, die Zeugin würde nichts Wesentliches zum Fall beisteuern können. Es war ohnehin nicht leicht, das Auftauchen von zwei Polizisten zu erklären, ohne ein eindeutiges Verbrechen. Sein Kollege Karl Schreiner nutzte ruck, zuck die Pause, entweder, um eines seiner Spielchen zu spielen, oder um seine Position als beauftragter Ermittler, in der er am Freitag noch war, zu untermauern.

       »Wie äußerte sich, wenn der Bach witzig war?«

      Die Augen der jungen Frau weiteten sich. Das geht manch einem Zeugen so, wenn im knappen Polizeijargon geredet wird. «Der Bach» gehörte unbedingt dazu. Der pure Name ist allemal besser, als vor Zeugen vom «Verdächtigen» zu reden.

       »Na ja, da gibt es so vieles… ich weiß nicht, ob ich…«

       »Wie hat er denn über seine … über Frauen geredet, ganz allgemein?«

      »Eigentlich harmlose Sätze.« Das halbe Kind wurde rot bis hinter beide Ohren. »Zum Beispiel: Der Mann ist so jung, wie die Frau, die er fühlt.«

      »Das ist nicht witzig, das ist Lebensweisheit.«

       »Na ja, er hatte auch ironische Bemerkungen, wenn eine von uns mit ihrer Kleidung übertrieb… na ja, Sie wissen schon…«

      Weiler hatte Schreiner einen Wink gegeben, er soll die Befragung nicht in eine künstliche Richtung treiben, aber da hatte das Mädchen gerade eine Erinnerung.

       »Einmal sagte er zu Kathrin, die stets hautenge Pullis trägt: Der Pullover einer Frau sitzt goldrichtig, wenn die Männer nicht mehr atmen können. Er sagte das in ziemlichem Tempo, was er dann mit gespielter Schnappatmung enden ließ. Die Schenkelklopfer kamen von der Männerbank, wie Sie verstehen werden…«

      Schreiner formulierte zwar im Protokoll seine eigenen Fragen nicht aus, aber sie waren für Weiler noch gut nachvollziehbar.

      »Glauben Sie, dass er sexistisch ist?«

       »Wer weiß das schon. Er hat zumindest auch Sprüche drauf wie die: Jeder Mann braucht eine Frau, weil irgendwann einmal etwas passiert, wofür er die Politik nicht verantwortlich machen kann.«

      Vermutlich hätte die junge Frau gerne noch einige von Bachs Sprüchen von sich gegeben, aber der Wink ihres Vaters ließ sie verstummen. Womöglich auch deswegen fragte sie zu guter Letzt: »Das hier… äh, davon erfährt doch Doktor Bach nichts. Oder?«

      »Ich denke nicht, dass diese Dinge überhaupt eine Relevanz für den Fall haben«, hatte sich Weiler wieder eingemischt. Einer musste dem Schreiner ja zeigen, wo es lang geht. Er hatte sich in seiner bekannten Konsequenz erhoben, legte eine Hand auf die Schulter der jungen Frau und drückte sie leicht. »Keine Angst. Wir müssen nur sicher gehen, dass Ihr Dozent nicht im Pool der Verdächtigen landet. Auch dazu sind wir verpflichtet.«

      »Die Bachs sind ganz nette Menschen«, sagte der Vater. Er begleitete die Polizisten noch bis zur Tür. Beinahe flüsternd fügte er an: »Meine Tochter hält ebenso große Stücke auf Doktor Bach. Das kam vielleicht nicht so herüber, wie gedacht…Die Jugend hat da…«

      »Wie gesagt, unsere Frage zielte nur darauf, den Ehemann eindeutig zu entlasten. Wir sind nun mal in der misslichen Lage, auch das scheinbar Unmögliche klar ausschließen zu müssen. «

      Die nächste halbe Stunde verbringt Weiler damit, im Zimmer auf und ab zu laufen. Nicht etwa, weil ihn der Fall so sehr beschäftigt. Er ist ihm eher lästig. Keine Leiche, kein Verbrechen, kein Täter — nur weiße Flecken und nichts als Mutmaßungen.

      Nicht nur weiße, fällt ihm ein, aber ein einzelnes Indiz ist zu wenig.

      Er läuft im Zimmer herum, um sein Bein wiederzubeleben. In letzter Zeit, seit seinem Bandscheibenvorfall, gelingt es ihm immer seltener. Dennoch kommt er nicht umhin, an diesen Doktor Bach zu denken: Wäre ein so honoriger Mann in der Lage, seine Frau zu erwürgen und dann seelenruhig zum Dienst zu gehen? Andererseits: Wäre er der Typ Mann, der die Untreue seiner Frau — sofern eine solche vorliegt — so einfach wegsteckt? Gesetzt den Fall, sie war untreu und er hat es herausgefunden…?

      Einer Frage muss er unbedingt noch tiefer auf den Grund gehen: Warum hat Bachs Anruf beim Rettungsdienst bis sechzehn Uhr siebenundzwanzig gedauert? Was hat der Kerl in der Zeit gemacht? Wiederbelebung? Indizien vernichtet? Hat er sie vielleicht erst angekleidet? Hat er den Spermafleck übersehen oder fehlte ihm die Zeit für Details…?

      »Im Negligee?« Waren das nicht Bachs Worte gewesen? Warum ist das niemandem aufgefallen. Sie hatte einen ganz normalen Schlafanzug an, wie ihn seine Frau Inka auch trägt und wie er es gar nicht so gerne hat. Ihm ist es lieber, sie schläft im Nachthemdchen. Das ist bequemer für gewisse Stunden, die freilich mit zunehmendem Alter unbeirrt auf einige Minuten zusammenschrumpfen.

      Das Telefon läutet. Mürrisch humpelt Weiler zum Schreibtisch zurück.

      »Doktor Haarström hier. Wir hatten ausgemacht…«

      »Ja, ja«, unterbricht Weiler den Arzt. Wie schmerzverzerrt sein Gesicht aussieht, kann der Arzt zum Glück nicht sehen. »Schießen Sie los.«

      Haarströms Anruf muss purer Gedankenübertragung gefolgt sein. Weder für die Position des Arztes noch für seine hat der Fall eine so hohe Priorität, dass man ständig damit befass ist. Bei ihm ist es jedenfalls Zufall, auf den Moment bezogen.

      »Ich mach es kurz: Sie hat es, wie befürchtet, nicht geschafft…«

      Weiler atmet tief durch. Mit seinen Worten stößt er


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