Hörbuch und Self-Publishing. Peter Eckhart Reichel
Deutschland breitete sich Verunsicherung aus. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch hier die Daumenschrauben angezogen werden und die derzeitige 70-Prozent-Vergütung Geschichte ist“, warnte damals Johannes Haupt, der Herausgeber und Geschäftsführer des Online-Magazins lesen.net. „Das sollten gerade diejenigen Indie-Autoren im Hinterkopf haben, die aktuell exklusiv bei Amazon.de publizieren und damit (und mit ihrer Entscheidung für hartes DRM) den Kindle-Kosmos noch stärker und auch aus Autorensicht unverzichtbarer machen. Trotz Tantiemen-Senkung, wie bei Audible, könnte sich Amazon auch bei der Kindle-Plattform eine Reduzierung der Vergütungen erlauben, ohne einen Contentschwund befürchten zu müssen – „aufgrund der Marktmacht führt aus wirtschaftlicher Sicht kein Weg am Unternehmen aus Seattle vorbei.“ (3.3.2014/lesen.net)
Bis heute ist diese Prognose allerdings noch nicht eingetreten. Dafür wird aber der Wettbewerb unter den Vertriebsplattformen immer größer. Längst existieren Internetforen für ein möglichst erfolgreiches Selfpublishing. Es gibt zahlreiche Ratgeber und Regeln und die Ansprüche an die Qualität der Werke steigen – auch bei den Autoren selbst. Es werden etliche Workshops zum verlegerischen Handwerk angeboten, die darauf ausgerichtet sind, wie aussagekräftige Cover gestaltet werden oder wirkungsvolle Klappentexte verfasst werden sollen. Auch wird schon viel über die Themen Buchmarketing, über wirksame PR-Strategien und über die zunehmende Bedeutung sozialer Medien debattiert. Im Umfeld der Selfpublisher entstehen derweil weitere neue Geschäftsmodelle. Die anfängliche Wildwuchs-Szene ist längst auf dem Weg, sich zu professionalisieren. Autoren engagieren Lektoren für ihre Texte, Grafiker für ihre Cover, Audioproduzenten für ihre Hörbuchaufnahmen und auch immer öfter Agenten, die ihre Rechte vertreten. In der Verwertungskette: E-Book - Taschenbuch - nimmt das Medium Hörbuch immerhin den drittwichtigsten Platz ein.
Auch die Erfolgsautorin Hanni Münzer lässt sich von einer Agentin vertreten. „Und zwar bereits seit 2006, als alle Verlage noch ihre Bücher verschmähten. Jetzt wird sie von ihnen umgarnt. Die ersten Angebote hatte sie jedoch alle abgelehnt, weil sie ihre E-Book-Rechte nicht verkaufen wollte. „E-Book-Rechte sind sehr begehrt, weil Verlage daran am meisten verdienen“, sagte sie. „Die wollen natürlich am liebsten ein fertiges und schon erprobt erfolgreiches Buch mit allen Rechten kaufen: Buchrechte, E-Book-, Film- und Hörbuchrechte. Nach Abzug aller Provisionen und Steuern bleiben dem Autor bei einem Taschenbuchpreis von 9,90 Euro am Ende keine 45 Cent brutto übrig.“ (Tagesspiegel 11.07.2014) [5]
„Amazon hat nicht nur den Markt der Selbstverleger aus seinem Schattendasein befreit und professionalisiert, sondern auch die Autorität der Buchbranche in Frage gestellt“, konstatierte die FAZ in ihrer Ausgabe am 29. Mai 2016. [6]
„Der E-Book-Markt-Anteil beträgt maximal fünf Prozent am gesamten Buchhandel“, rechnete Hanni Münzer vor, Autorin des Bestsellers „Honigtot“, dessen Kindle-Version sich bisher über 300.000 Mal verkauft hat und über 1700 Mal bei Amazon bewertet wurde. Münzers neuer Verlag hat ihren Bestseller bisher in zehn Länder verkauft; mit vielen weiteren Lizenznehmern wird noch verhandelt. Im April 2015 wurde „Honigtot“ vom Piper Verlag als Taschenbuch neu veröffentlicht. Münzer gehört sozusagen zu jenem Phänomen, das seit einigen Jahren die Verlags- und Buchbranche in Aufregung versetzt: Autoren und Schriftstellerinnen, die jahrelang in ihren stillen Kämmerlein Romane und Erzählungen geschrieben haben, dann ihre Manuskripte immer wieder an Verlage und Lektoren eingereicht und doch nur von allen Absageschreiben erhielten. Für solche Autoren brachte Amazon im Frühjahr 2011 sein Kindle Direct Publishing (KDP) auf den deutschen Markt. Damit begann eine neue Zeitrechnung. Auch Hanni Münzer lud Ende Januar 2013 versuchsweise eins ihrer alten und von Verlagen abgelehnten Manuskripte auf KDP hoch. Kurze Zeit später konnte sie ihren Job bei einer Autovermietung kündigen und widmete sich nur noch ihrer Schriftstellerei. Der Download ihres E-Book-Bestsellers kostet auf Amazon zurzeit 7,99 Euro, davon verdient sie 70 Prozent. Das sind über 1.677.900 Euro, nur für die E-Book-Ausgabe von „Honigtot“, eine schier unfassbar hohe Summe. Die Einnahmen für ihre anderen Bücher, die Taschenbuch- und Hörbuchausgaben sind dabei noch nicht mitgerechnet. 2015/2016 wird dieser Bestseller in vielen weiteren Ländern erscheinen, darunter Italien, Spanien, Polen, Holland, Türkei, Ungarn, China, Slowenien, Kroatien. Eine Verfilmung als Mehrteiler ist in Planung. Eine Hörbuchfassung, gelesen von Anne Moll, erschien bei Hörbuch Hamburg. Dass ausgerechnet dieser Titel genau diesem Hörbuchverlag erschien ist, ist ein Beleg dafür, dass die großen deutschen Hörbuchverlage in aller Regel Zweitverwertungsinstrumente sind.
Die wenigsten Hörbuchlizenzen werden auf dem freien Markt gehandelt, sondern überwiegend per Erstoption von Buchverlagen an Hörbuchverlage weitergegeben, die zum selben Konzern gehören. Hörbuch Hamburg ist beispielsweise ein Geschäftszweig der Bonnier-Media Gruppe, an die auch die Verlage Piper-, Carlsen oder der Ullstein-Verlag angedockt sind. Hörbuchverlage, die über keine feste Anbindung an große Verlagshäuser verfügen, haben von vornherein geringere Chancen im stationären Buchhandel wahrgenommen zu werden. Sie können nur herausbringen, was an Rechten übrig bleibt. Diese Behauptung mag zwar absurd anmuten, aber genau darin sehe ich die größte Chance für selbstproduzierte Hörbücher.
Sehr viele Hörbuchkäufe werden spontan getätigt. Nach wie vor gilt, nur wer als Kunde ein Hörbuch auf dem Ladentisch sieht, kann es auch kaufen. Allerdings wird in den letzten Jahren das Hörbuchgeschäft durch eine ständige Verkleinerung der Verkaufsflächen im Buchhandel besonders stark tangiert. Davon profitiert wie kein anderer der Versandhandel Amazon, aber auch alle weiteren Vertriebsportale im Internet. Im Buchhandel wächst derzeit nur der Verkauf über das Internet.
Um den heutigen Hörbuchmarkt besser analysieren zu können, sollte wir zunächst einen Blick zurück auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre werfen.
Die Entwicklung der Jahresumsätze am Hörbuchmarkt
1990 gelang es dem Goldmann Verlag zusammen mit dem WDR, Krimihörspiele in einer Auflage von bis zu 30.000 Exemplaren zu veröffentlichen. Damit gelang dem Medium Hörbuch der lang erhoffte Durchbruch. Es wurde erstmals öffentlich von einer breiteren Masse wahrgenommen. Aber erst drei Jahre später schlossen sich mehrere bekannte belletristische Verlage zusammen (darunter Suhrkamp, Hanser, Rowohlt) und gründeten den Hörverlag (DHV) in München, der mit einem Jahresumsatz von 16,5 Millionen Euro (2004) neben dem ebenso in München ansässigen Verlag Random House Audio, die führende Position der Hörbuchverlage in Deutschland einnahm.
Inzwischen können auch freie Autoren und Selfpublisher ihre Werke in Form von eigenfinanzierten Hörbuchproduktionen im Selbstverlag (oder in eigens dafür gegründeten Labels) verlegen und auf den wichtigsten Distributionsplattformen online vertreiben. Mit ISBN gelangen diese Hörbücher auch in den klassischen Buchhandel.
Verstärkte Marketingbemühungen führten mit der Weiterentwicklung der Abspielgeräte dazu, dass sich der Hörbuchumsatz zwischen 1998 und 2004 von 15 Millionen auf 60 Millionen Euro steigern konnte, wobei die Hälfte der Verkäufe 2004 der Belletristik und ein Viertel dem Kinder- bzw. Jugendbuchbereich zugerechnet wurden.
Während der Gesamtumsatz des Buchhandels 2004 lediglich um 0,7 Prozent anstieg, konnte die Warengruppe Hörbuch enorm zulegen. So steigerte sich der Umsatz dieses Segments von 2002 auf 2003 um 10,3 Prozent und von 2003 auf 2004 um 14,7 Prozent.
Der Börsenverein schätzte 2006, dass der Hörbuchumsatz 2005 bei 100 Millionen Euro lag. Das waren 40 Millionen mehr als im Vorjahr. 2006 konnten die Audiobücher laut Media Control GfK International ein sattes Plus von 17,4 Prozent in Deutschland erzielen, das entsprach einem Umsatz von 120 bis 180 Millionen Euro.
2007 wurden mit Hörbüchern in Deutschland dann schon rund 200 Millionen Euro umgesetzt. Damals kursierte der Begriff Hörbuchboom.
Danach waren allerdings die Zeiten zweistelliger Zuwachsraten in der Hörbuchsparte vorbei. Während es zuvor vor allem Hörbücher für Erwachsene waren, gewannen nun die Hörbücher für Kinder und Jugendliche immer mehr Anteile, diese machten im Jahr 2008 bereits ein Drittel des Umsatzes aus, der rund 200 Millionen Euro betrug.
Der Anteil der Audiobücher am Branchenumsatz lag 2008 bei 4,8 Prozent. Für das Jahr 2009 wurde immerhin noch ein leichtes Umsatzplus von 0,5 Prozent verzeichnet.
2009 wurden in Deutschland