HASSO - Legende von Mallorca. Wolfgang Fabian

HASSO - Legende von Mallorca - Wolfgang Fabian


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Hitlerdeutschlands mittragen. Dieser Politik waren nur jene Gegner des Regimes entkommen, die sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt hatten. Insbesondere sind auch die Juden zu erwähnen, denen die Nazis bereits vor dem Krieg, bevor sie viele Millionen von ihnen umbrachten, Hab und Gut raubten.

      Wären Hasso und Georg nicht der Gestapo in die Hände gefallen, säßen sie nicht wer weiß wie viele Kilometer von Hamburg entfernt hier auf dem Dach eines Waggons in einem von der Wehrmacht überfallenen Land. Andrerseits waren sie aber auch überzeugt, irgendwann ohnehin zum Kriegsdienst eingezogen zu werden, wenn auch nicht in ein Strafbataillon. Doch am Ende sei es dem Tod einerlei, so ihre jetzige Meinung, aus welchen Einheiten er sich seine Opfer hole.

      Sie saßen wie alle anderen auf dem Dach mit dem Rücken zur Fahrtrichtung und beschäftigten sich gedanklich mit ihrer Zukunft. Sie nahmen sich zusammen, um nicht Verzweiflung in ihrem Bewusstsein aufkommen zu lassen. Todesangst war ihre ständige Begleiterin, die ständig unterdrückt werden musste, wobei ihnen nur die Vorstellung ein wenig beruhigte, dass auch die Kameraden an der Front der Todesangst nicht minder ausgesetzt seien. Wenn man es genau betrachte, sagte Georg einmal mehr, seien die an der Front noch schlimmer dran, wenn sie anstatt sofort zu sterben schlimmste Verwundungen aushalten müssten; werde man hingegen als Deserteur aufgehängt oder erschossen, dann sei man tot und stehe sofort vor Allah, dann hätte man nicht lange leiden müssen.

      »Für diesen Vorteil müssten wir ja noch dankbar sein!«, war Hassos sarkastische Meinung dazu.

      Sie beschäftigten sich wieder mit erreichbaren Fluchtzielen. Schweden oder die Schweiz? Ein anderes Land kam ihnen momentan nicht in den Sinn, und ein Überlaufen zu den Sowjets schlossen sie erneut aus. Die Schweizer Grenze oder die Ostseeküste? Aber wie in die Schweiz oder nach Schweden gelangen, falls sie tatsächlich in Grenznähe kommen sollten? Wie viele lange, unbehelligte Wochen könnte das dauern, ohne Bekleidungsauffrischung, halb verhungert, entkräftet, also kaum noch lebensfähig? Wir dürfen uns nicht gehen lassen, befahlen sie sich, müssen immer einen klaren Kopf bewahren und aufmerksam sein, dann werden wir Gefahren schneller erkennen.

      Zwischen Dnjepropetrowsk und Odessa am Schwarzen Meer lagen etwa sechshundert Kilometer, die der Zug bewältigen musste. Fraglich, ob ein Mensch auf einem Waggondach das überstehen konnte.

      Der Zug sollte nicht nach Odessa fahren. In der Stadt Snamenka war Endstation. Hasso und Georg mussten umsteigen, was ihnen sonderbarerweise und ohne aufzufallen gelang, wie geraume Zeit später dann auch in Kirowograd. Die Anschlusszüge hatten sie mithilfe der Ausschilderungen schnell gefunden. Sie waren froh, sich unbehelligt bewegen zu können und sich auf Waggondächer niederzulassen. Das Reisen auf den Dächern, wenngleich zugig und kühl, stuften sie sicherer ein als im Innern der Waggons. Besetzte Dächer von Zivilisten waren auch ein gewisser Schutz vor Partisanen, was natürlich auch die Deutschen einkalkulierten.

      5. Festnahme

      Nach Odessa. Erst von Kirowograd sollte es direkt nach Odessa gehen. Doch dieser Reiseabschnitt wurde Hasso und Georg dann zum Verhängnis. Zum Zwischenhalt fuhr der Zug in den Bahnhof von Wosnesensk ein, und noch bevor er zum Halten kam, gewahrten sie von ihrer luftigen Höhe aus mehrere kleine Trupps Uniformierter entlang des Zuges auf dem Bahnsteig, bewaffnet mit Maschinenpistolen und offensichtlich darauf aus, die Fahrgäste näher in Augenschein zu nehmen. Die Uniformen der Männer waren den beiden Ausreißern fremd. Rotarmisten, vermuteten sie, waren es nicht, obwohl sie deren Uniformen mangels Gelegenheit auch nicht kannten.

      Die beiden handelten eher panisch als überlegt. Sie blieben nicht einfach zwischen den anderen Dachreisenden sitzen, sondern nahmen ihr Gepäck auf und stiegen die eiserne Waggonleiter hinunter bis vor die schmale, unverschlossene Tür des an die Rückfront angebrachten sogenannten Bremserhäuschens, in dem gerade mal so viel Platz war, dass zwei schlanke Personen darinstehen konnten. Hasso und Georg waren schlank, sehr schlank sogar. Sie gingen sofort in die Hocke, die Rucksäcke über Kopf, wobei Georg die Tür mit der rechten Hand krampfhaft zu sich heranzog, um so das Aufsperren zu verhindern. Die von außen sichtbaren oberen Teile ihrer Rucksäcke durch die offenen Fensteröffnungen blieben dem dreiköpfigen Kontrolltrupp natürlich nicht verborgen. Denn in der Enge war das Gepäck auf Hassos und Georgs Kopf nicht ruhig zu halten. Die rumänischen Militärpolizisten – um solche handelte es sich –, bestaunten nur kurz, was sich ihren Augen bot. Unverkennbar musste sich unter den Rucksäcken mindestens eine Person versteckt halten. Also machten die Drei nicht viel Federlesens, zogen zuerst Georg, dann Hasso aus dem Gehäuse, ließen sie die Rucksäcke schultern und stießen die bäuerlich Gekleideten, die nicht gerade überzeugend versuchten, auf ihre Stummheit aufmerksam zu machen, vor sich her bis in einen Raum im Bahnhofsgebäude, vor dessen Tür sich zwei rumänische Wachtposten langweilten. Hinter einem Schreibtisch saß ein rumänischer Offizier, und Hasso und Georg versuchten es nicht mehr, sich stumm zu stellen. Die Angst löste ihre Zunge automatisch. Warum sie sich in das Bremserhäuschen verkrochen hätten, wollte der Offizier, hinter dem sich jetzt ein Soldat mit einer Maschinenpistole stellte, in gebrochenem, hartem Deutsch wissen. Er wartete eine Antwort aber nicht ab, sondern rief nach Ausweispapieren. Da sie überzeugt waren, am Ende ihrer Flucht angekommen zu sein, legten Hasso und Georg ihr Kompanieausweispapier auf den Tisch, das der Offizier an sich nahm und einem längeren Studium unterzog. Um vielleicht noch einmal den Verdacht der Fahnenflucht abwenden zu können, schilderte Hasso mit stockenden Worten dem Offizier die Geschichte von einer gewaltsamen Trennung von ihrer Strafkompanie. Den beiden Gefangenen drohten die Beine zu versagen. Eine Leibesvisitation wurde nicht vorgenommen, sonderbarerweise interessierte sich auch niemand für ihre Rucksäcke. Dem Offizier war klar, es mit Fahnenflüchtigen zu tun zu haben. Sollten sich doch deutsche Wehrmachtsstellen der beiden annehmen. Also verkündete er Hasso und Georg, sie unter Bewachung mit dem nächsten Zug nach Dnjeproserschinsk zu überführen, wo sie sich vor einem deutschen Militärgericht zu verantworten hätten. Dann befahl er dem Mann mit der Maschinenpistole, die beiden Gefangenen abzuführen. Mit seinen Schlussworten betitelte er Hasso und Georg als Schweine, die ihre Uniformen weggeworfen hätten, um mit gestohlenen Zivilsachen unauffällig das Weite suchen zu können. Als er wieder allein war, verfasste er einen Bericht. Seine beiden Verhafteten saßen eingesperrt in einem kleinen Nebenraum, der kein einziges Möbelstück aufwies. Also setzten sich die beiden auf den Steinfußboden, den Rücken gegen ihre an eine Wand gedrückten Rucksäcke gelehnt. Ein winziges vergittertes Fenster war so hoch angebracht, dass niemand nach draußen sehen konnte. Nach einer Weile des Grübelns meinte Hasso, unüberlegt gehandelt zu haben. »Wir hätten auf dem Dach sitzen bleiben sollen. Wir wären bestimmt nicht kontrolliert worden. Rein äußerlich setzten wir uns doch keinem Verdacht aus, nein, wir handelten in Panik. Anschließend ist man immer schlauer.«

      Georg schien merkwürdig ruhig. Seine Stimme hörte sich heiser an, und seine Worte kamen leise und ängstlich:

      »Was meinst du, Hasso, was für eine Strafe auf Abhauen, also auf Fahnenflucht, zu erwarten ist? Ob man da zum Tode verurteilt werden kann?«

      Hasso nickte und entgegnete: »Ich meine, das war schon immer so. Aber darüber sprachen wir doch schon ausführlich.«

      Es war helllichter Tag. In Dnjeproserschinsk, westlich von Dnjepropetrowsk gelegen, wurden sie nach nur kurzer Wartezeit einem deutschen Militärtribunal vorgestellt. So gut es ging, nahmen sie sich zusammen und logen, dass sie als Versprengte ihre Bewährungseinheit suchen wollten. Vor drei Tagen seien sie in Poltawa sozusagen auf eigene Faust aufgebrochen, weil ihnen die dortige Kommandantur nicht habe weiterhelfen können. Überall sei Hektik vorherrschend gewesen, und erst recht in der Kommandantur, die sich auf eine Verlegung vorbereitet habe, jedenfalls hätten sie das so wahrgenommen. Und damit sie nicht in feindliche Hände fallen wollten, hätten sie sich, nachdem sie noch Verpflegung empfangen durften, irgendwo auf dem Weg zum Bahnhof Bauernklamotten besorgt. Das sei kein Problem gewesen, mehr oder weniger Zufall. Ihre Überlegung sei gewesen, sich in ihrem Wehrmachtsrock sehr schnell dem Feind auszusetzen.

      Die drei Offiziere des Tribunals glaubten ihnen kein Wort. Natürlich hätten sie per Fernschreiber oder Feldtelefon in Poltawa nachfragen können, waren sich aber einig, keine befriedigende Antwort von der wahrscheinlich bereits verlegten Kommandantur zu erhalten. Der kurze Bericht des rumänischen Offiziers, der von einem der


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