2145 - Die Verfolgten. Katherina Ushachov
2145
Die Verfolgten
Roman
Katherina Ushachov
Erstausgabe im Dezember 2018
Alle Rechte bei Katherina Ushachov
Copyright © 2018
Katherina Ushachov
Heidegg 471
6855 Andelsbuch, Österreich
https://feuerblut.com
Teil-Korrektorat/Lektorat: Sean O'Connell, Susanne O'Connell
Korrektorat: Nora Bendzko
Coverdesign: May Dawney - https://covers.maydawney.com
Für alle Verfolgten
1. Riú Gordon – Washington D.C. – 2127
Die Augen seiner Geliebten hatten dieselbe Farbe wie der heiße, eisblaue Kern der Kerzenflamme. Riú spürte ihren Blick im Nacken, doch er drehte sich nicht zu ihr um, während er sich prustend das Gesicht im Waschbecken seiner heruntergekommenen Studentenbude wusch.
»Fabi, wenn mein Vater es erfährt …« Seine blonden Haare waren dunkel vom Wasser und wirkten glatter als sie tatsächlich waren. Der halb blinde Spiegel über dem Waschbecken ließ ihn älter aussehen, mit tiefen Schatten unter den Augen. Das Ebenbild von Raoul Gordon.
Riú verdeckte das Spiegelbild mit der Hand, als wolle er Fabricia vor den Blicken dieses Unbekannten schützen. Nur noch die schimmelfleckige, sich von den Wänden schälende Tapete spiegelte sich im schmutzigen Viereck über seiner Handfläche.
»Darüber wollte ich mit dir reden.«
Riú klammerte sich an das Waschbecken. Er wusste, was sie ihm sagen wollte.
»Auch für mich ist das hier nicht einfach … Das war unsere letzte gemeinsame Nacht.«
Abrupt drehte er sich um.
»Du verlässt mich?« Seine Augen waren wie dunkle Kohlen, finster und glühend.
»Scharfsinnig erkannt.« Fabricia stand auf und begann, ihre schwarzen Haare zu einem straffen Zopf zu flechten. Obwohl sie leicht wie ein Kätzchen war, brachte sie mit ihrer Bewegung das Klappbett aus dem vorletzten Jahrhundert zum Quietschen. Jetzt störte ihn das viel mehr als noch vor wenigen Sekunden, als sie …
»Das wirst du nicht.« Sie standen sich gegenüber wie Adam und Eva, und erst dieser gedankliche Vergleich erinnerte Riú daran, dass sie eigentlich kein Mensch war.
»Glaube mir, es ist besser so.« Sie schlüpfte in ihr Kleid, stieg in ihre Schuhe und verschwand aus seinem Leben.
2. Avriel Adamski – Gordon City – 07.07.2145
Avriel ritt auf einer Wolke über das Land. Es war Nacht, der Mond schien und die Sterne vollführten einen gravitätischen Tanz … Menschen wie er saßen auf ihren Wolken, sie hatten den Tag verschlafen und waren nun hellwach, ihre Augen leuchteten …
»Avi, du kannst doch nicht einfach so im Unterricht einschlafen!« Valentine stupste ihn wiederholt mit dem Finger an. »Wach doch auf, was hast du die Nacht über gemacht?« Ein leichter Vorwurf lag in ihrer Stimme.
Avriel öffnete ein Auge und schaffte es, seinen Kopf von den Armen zu heben, gerade rechtzeitig, um dem Blick von Miss March zu entgehen. Sein eigener Blick blieb am Smartboard hängen, das ausnahmsweise keine permanent wechselnden Botschaften, sondern ein- und dieselbe Animation abspielte: Riú Gordon, der Weltpräsident, zeigte mit dem Finger in die Klasse. Ein Mann von etwas mehr als dreißig Jahren, mit blauen Augen, leicht zerzausten, hellblonden Haaren und einem sympathischen Lächeln. »Hilf deinem Land, werde Mutantenjäger!«
Fast alle aus der Klasse wollten genau das tun. Riú Gordon würde seinen Nachwuchs bekommen.
»Kann ich von dir abschreiben?«, flüsterte Avriel Valentine zu.
Wortlos schob sie ihm ihr Pad zu und er kritzelte in seiner unordentlichen Schnörkelschrift Notizen über den Präsidenten in sein eigenes elektronisches Notizbuch.
»Wer kann mir sagen, wann unser großer Präsident Gordon zum Oberhaupt der United World gewählt wurde?« Miss March blendete ein Foto des jungen Präsidenten auf dem Smartboard ein.
Valentine hob ihren Smartpen.
»Miss Springfield?«
»Nach der Ermordung des vorigen Präsidenten Raoul Gordon während seiner Wahlkampagne für die glorreiche AMP am 30. Januar 2133 übernahm Riú Gordon das Amt des Parteioberhaupts. Er wurde am 20. März 2133 vereidigt.«
»Sehr gut, Miss Springfield.« Miss March notierte etwas auf ihrem Pad.
Avriel warf Valentine einen Seitenblick zu.
Sie saß kerzengerade da und glühte vor Stolz. Sonnenlicht verfing sich in ihren hellbraunen Haaren und er ertappte sich bei dem Gedanken, sie die ganze Stunde über anstarren zu können.
Der Unterrichtsstoff war unwichtig geworden.
Nach der Stunde gingen die zwei zusammen auf den Hof.
»Was ist nur los, Avi? Du schläfst fast jeden Tag im Unterricht. Was stellst du im Waisenhaus denn nachts an?«
Er gähnte ausgiebig. »Ich kann nachts nicht schlafen, ich werde eigentlich abends erst wach. Im Sommer hingegen könnte ich nur schlafen …« Es war Hochsommer, er würde sich noch lange damit quälen müssen.
Valentine runzelte die Stirn. »Da kann etwas nicht stimmen, Avi. Glaub mir.«
Sie war ihm noch nie so zart und zerbrechlich vorgekommen wie jetzt. Und dabei wusste er, dass sie versuchte, stark zu sein.
»Avi, wir haben das im Biologieunterricht bis zum Erbrechen wiederholt, du weißt, wovon ich rede.« Valentine schaute in eine andere Richtung. Zerstreut strich sie sich nicht vorhandene Haare aus dem Gesicht und seufzte.
»Du glaubst, ich bin ein …«
Doch sie ließ ihn nicht ausreden. »Still, willst du erschossen werden?«
Er atmete hörbar ein. Seine Hände zitterten.
»Du wirst bald siebzehn, in dem Alter werden die Merkmale erstmalig so stark, dass du … dass du … bald jemanden angreifen wirst.« Sie versteckte ihr Gesicht hinter ihrem langen Pferdeschwanz.
»Und wenn das alles nicht stimmt? Wenn ich nur die Sommergrippe habe?«
»Seit mehreren Monaten?«
»Irgendwelche Forscher haben nachgewiesen, dass Teenager einen anderen Tag-Nacht-Rhythmus …«
»Fühlst du dich nie krank, als wäre dein Körper ganz schwer?«
»Ich sagte doch, vermutlich eine Sommergrippe …«
»Avi.« Sie