Endstation Tod. Samantha Prentiss

Endstation Tod - Samantha Prentiss


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davon wird der Iran gleich um zwei Agenten ärmer sein. Fariba haben wir schon, und dieser fesche Typ steht auch schon mit einem Fuß im Knast! … Die Zigarettenpackung! Sie sah sie an. »Oh, wie ungeschickt von mir«, lächelte sie und griff danach, worauf der Iraner losließ. »Vielen Dank!« Sie lächelte noch immer.

      »Keine Ursache«, erwiderte der Fremde.

      »Global Airways is now announcing the arrival of the flight 246 from New York, Kennedy International Airport, Gate 7!«, vernahm Clairé im Hintergrund, indessen sie die ›Top-Secret‹-Packung verschwinden ließ. Einen Lidschlag später lag wie durch Zauberei eine ›Glock 17‹ in ihrer Hand. »Sie glauben gar nicht, was die für Löcher macht! Und denken Sie gar nicht erst daran Unsinn zu machen. Auf diese Distanz kann ich gar nicht danebenschießen!«, flüsterte sie bedrohlich ihm zu.

      Der Iraner starrte sie ungläubig an. Seine bislang freundliche Miene war wie weggewischt. Ein gehetzter Ausdruck war in seinen Augen erschienen. Es war offensichtlich, dass er nicht begriff, wie ihm eine Frau die schwerste Niederlage in seiner bislang beispiellosen Laufbahn zufügen konnte. Für einen ganz kleinen Moment war er fassungslos. Doch dann schaltete sich bei ihm die Automatik seines Selbsterhaltungstriebes ein. Wie ein in die Enge getriebener Wolf blickte er sich schnell um. Dabei fielen ihm zwei Männer auf, die ohne Gepäck mit verschlossenen Mienen von verschiedenen Seiten herankamen. Er wusste augenblicklich, dass sie keine Reisenden, sondern britische Agenten waren. Jetzt ließ er nichts mehr anbrennen. Wie ein Blitz, aus heiterem Himmel fiel er über Clairé her.

      Ein schmerzhafter Schlag traf ihre Hand, und gleichzeitig bekam sie einen derben Stoß vor die Brust, wobei die Automatikpistole zu Boden fiel. Sie stolperte zurück.

      Dann erblickte eine Pakistanin in einem orangefarbenen Sari die Waffe und stieß einen hysterischen Schrei aus. Ihr Schrei läutete das absolute Chaos ein.

      Plötzlich sprangen alle Menschen von ihren Sitzen auf. Jeder hatte sofort die Bilder blutiger Terroranschläge vor Augen, die Großbritannien in der letzten Zeit immer wieder getroffen hatten. Niemand hatte die zweiundzwanzig Toten auf dem Konzert von Ariana Grande in Manchester vergessen. Und gleich gar nicht die Explosion in einem der U-Bahn-Wagen an der ›Parsons Green‹, hier direkt in London, bei der neunundzwanzig Menschen verletzt worden waren – und das auch nur, weil die Bombe nicht richtig detoniert und in einer Stichflamme abgebrannt war.

      Ein fürchterliches Gebrüll brandete auf. Wie verrückt gebärdeten sich die Leute und stürmten auseinander, als hätte jemand ein scharfgemachtes Handgranatenbündel in ihre Mitte geworfen. In ihrer unvermittelten Fluchtbewegung verhielten sie sich wie eine plötzlich unkontrollierbar gewordene Tierherde. In der Dynamik, die die Menschenmasse entwickelte, stießen sie sich gegenseitig nieder und trampelten über die Fallenden hinweg. Ihre Gesichter waren verzerrt, und die Massenpanik perfekt.

      Was als kühles, klar abgezirkeltes Spiel gedacht war, entwickelte sich für die Beteiligten zur wahren Apokalypse ...

      … und der iranische Agent heizte den Schrecken der Menschen noch zusätzlich an, indem er seine ›Heckler & Koch P30‹ aus dem Schulterhalfter riss. Sofort eröffnete er das Feuer auf einen Mann, der sich ihm mutig in den Weg geworfen hatte. Seine Kugel traf direkt zwischen dessen Augen. Ohne weiter nachzudenken sprang der Iraner über den Toten hinweg und stürmte auf den Ausgang zu.

      Clairé hätte sich ohrfeigen können. Sie hob ihre Automatik auf und lief mit wutentbranntem Blick hinter dem Fliehenden her.

      Jetzt kamen von allen Seiten Männer hinzu. Sie hatten ihre Tarnung aufgegeben und zeigte nun, wer sie wirklich waren. Wie bissige Hunde waren sie hinter dem Agenten her, der vor ihren Augen kaltblütig einen Reisenden niedergeschossen hatte – und wie heißt es doch: Viele Hunde sind des Iraners Tod.

      Auch Clairé beteiligte sich an dieser Hetzjagd.

      Wie verrückt ballerte der Mann aus Teheran um sich. Eine Frau sank getroffen nieder und gleich auch die, die neben ihr gelaufen war.

      Die Männer des britischen Geheimdienstes wollten ihn und schwärmten aus. Sie kamen kaum dazu genau platzierte Schüsse auf den Iraner abzugeben, wollten sie nicht das Leben Unschuldiger riskieren. Noch war aber auch keiner von ihnen verletzt worden und sie konnten eine Kette bilden.

      »Nicht töten!«, schrie Clairé ihren Nebenmännern aufgewühlt zu. »Weitersagen! Nicht töten! Wir brauchen ihn lebend!«

      Die Männer zielten auf die Beine des Iraners und endlich traf ihn eine Kugel.

      Der gutaussehende Iraner stieß einen röhrenden Schrei aus. Er wurde herumgerissen und zu Boden geworfen. Dabei verlor er seiner ›Heckler & Koch P30‹. Mühsam kämpfte er sich wieder hoch, umklammerte sein verletztes Bein und rannte humpelnd weiter.

      »Bleiben Sie stehen!«, schrie Clairé ihm nach.

      Aber der Iraner hörte nicht auf sie. Hinkend lief er auf die Betonpiste des Flughafens hinaus, während ihn immer wieder Kugeln umschwirrten. Wie ein Hase versuchte er Haken zu schlagen, schaffte es jedoch kaum. Doch verbissen lief er weiter.

      Plötzlich bekam Clairé eine Gänsehaut. Instinktiv begriff sie, was gleich geschehen würde, noch ehe es passierte. Sie bot all ihr Adrenalin auf, um es zu verhindern. Ihr wurde bewusst, dass sie den Mann nur noch mit einer Kugel aus ihrer Waffe retten konnte, so paradox das auch war. Sie blieb stehen, atmete tief durch und visierte den Fliehenden an. Auf die entstandene Entfernung war es nicht leicht einen gezielten Schuss abzugeben, denn dazu war das Streufeld bereits zu groß geworden – und wenn sie ihn tatsächlich traf, dann war es ein Glückstreffer. Dennoch musste sie es versuchen, denn ansonsten war der Iraner unrettbar verloren. Sie hielt die Luft an, spürte ihre vom Laufen brennenden Lungen und konzentrierte sich vollends auf diesen einen Schuss. Dann drückte sie ab …

      … und musste begreifen, dass ihn das Projektil verfehlt hatte. Jetzt ist es mit ihm aus, schoss es ihr durch den Kopf. Gleich ist es vorbei! Sie starrte ihm nach, sah, wie er in diesem Moment die Landebahn erreichte und humpelnd deren Mitte erreichte.

      Genau in dieser Sekunde kam von rechts eine ›Boeing 747-8‹ der ›Cathay Pacific‹ aus Manila mit brüllenden Düsen heran. Wie ein mächtiger Flugsaurier aus längst vergangenen Zeiten setzte das fliegende Monstrum zur Landung an. Schon war die Maschine über ihm.

      Clairé sah, wie er die Arme in die Höhe riss, als er die Gefahr erkannte in der er sich befand. Hilflos musste sie mit anschauen, wie ihn das Fahrwerk des weißen Riesen erwischte und auf der Stelle zermalmte.

       ***

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      Kapitel 4

      Leonard Edwards hatte einen seiner besten Tage, und er sparte nicht mit Lob. Es war ihm und seinen Mitarbeitern gelungen, den iranischen Interessen in den Besitz einer Atombombe zu kommen einen Strich durch die Rechnung zu machen und den Verrat hochempfindlicher Informationen zu verhindern. Ein Umstand, der ihn ein wenig übermütig werden ließ, wie es schien.

      Clairé saß ihm in einem Büro gegenüber, in dem sie sich schon häufiger getroffen hatte und von dem aus man einen herrlichen Blick über London in Richtung der Themse hatte. Aber der wundervolle Ausblick interessierte sie nicht. Zum einen kannte sie das sich ihr bietende Panorama bereits seit langem, und zum anderen lag ihr der Vorfall am ›Heathrow Airport‹, mit all seinen Toten und Verletzten, von denen einige noch in akuter Lebensgefahr schwebten, schwer im Magen. Hinzu kam, dass sie mit hatte ansehen müssen, wie der Iraner von einem der Hauptfahrwerke mit seinen vier Rädern überrollt wurde. Er war für sie ein äußerst wichtiger Mann gewesen, der ihnen lebend deutlich mehr genützt hätte als tot. ›Fatso‹, wie sie Edwards wegen seiner Leibesfülle insgeheim nannte, hatte sie zwar für ihren Einsatz gelobt, sie selbst konnte sich dennoch nicht den Vorwurf ersparen, dass sie sich von dem Iraner nicht hätte überrumpeln lassen dürfen. Sie war sich sicher, dass alles unblutig über die Bühne gegangen wäre, wenn sie mehr auf der Hut gewesen wäre.

      Edwards


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