Endstation Tod. Samantha Prentiss

Endstation Tod - Samantha Prentiss


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Bursche mit klugen Augen, denen kaum etwas entging. Boddendijk hatte sandfarbenes Haar, eine kleine, wulstige Narbe über dem linken Auge und Ohren mit fleischigen Läppchen, mit denen er immer dann spielte, wenn er ein Problem wälzte.

      In diesem Fall spielte er zum ersten Mal in seiner Laufbahn die eher langweilige Rolle eines Leibwächters, denn zumeist wurde er zu anderen Aufgaben herangezogen. Für den Generaldirektor Magnus van Leeuwen gehörte er zu den kaltschnäuzigsten Menschenjägern über die er verfügte.

      Abtrünnige, Verräter, gefährliche feindliche Agenten waren bei ihm besonders gut aufgehoben. Dennoch widerstrebten ihm diese Jobs. Er empfand sich nicht als Killer im eigentlichen Sinn, da er wie im Krieg auf Befehl tötete – und für ihn gab es als Agent im Grunde genommen niemals wirklich Frieden. Irgendwo gärt es immer, prallten Gegensätze hart aufeinander, wurde um des Friedens willen betrogen, gekämpft und gemordet.

      Um Aufzuzeigen, dass auch Großbritannien an der Sicherheit jenes holländischen Wissenschaftlers ebenfalls sehr gelegen war, hatte auch der ›MI5‹ einen Agenten zum Schutz dieses Mannes abkommandiert: Russell Çakir – ein wendiger Bursche mit türkischen Urgroßeltern im Stammbaum.

      Seit vier Tagen wichen die beiden nicht von der Seite des Mannes, für dessen Sicherheit sie verantwortlich waren. All die Tage hatten sie eine ruhige Kugel geschoben, aber das sollte zu ihrem Leidwesen nicht so bleiben.

      *

      Vom ›Big Ben‹ und dem ›London Eye›, über den ›Buckingham Palace‹ und ›Tower of London‹, gefolgt von ›Westminster Abbey‹, bis hin zum berühmten ›Trafalgar Square‹ – nichts war auf der umfassenden ›Sight-Seeing‹-Tour ausgelassen worden, und so kehrte der Wissenschaftler mit einem Wust an Eindrücken mit seinen beiden Schutzengeln ins Hotel zurück.

      Russell Çakir seufzte. Einen Tag noch, dachte er, dann ist das auch geschafft. Und was kommt danach auf mich zu? Ein Einsatz in Afghanistan? Davon war vor ein paar Tagen die rede, und wenn sich noch kein anderer für diesen Job gefunden hat, werde ich wohl in diesen sauren Apfel beißen müssen.

      Sie betraten das Hotel.

      Çakir zupfte seinen holländischen Kollegen am Ärmel. »Hör mal, kannst du auf den Burschen ein paar Minuten allein aufpassen?«

      Boddendijk grinste. »Ich nehme nicht an, dass ihm der Portier ins Gesicht springen und ihm die Augen auskratzen wird«, meinte er, in seinem stark akzentgefärbten Englisch.

      »Ich muß mal schnell …«

      »Für kleine Königstiger?«

      »Nein. Ich möchte nur kurz einmal in Ruhe telefonieren. Es gibt hier eine nette Kollegin namens Clairé Beauvais. Ich war vor kurzem in einer heiklen Mission mit ihr in Teheran. Diese Frau ist eine Wucht. Fast schon schade, dass ich eine feste Freundin habe.«

      »Und weshalb rufst du sie an?«

      »Hast du die Schlagzeilen nicht über das gelesen, was sich gestern auf dem ›Heathrow Airport‹ abgespielt hat?«

      »Du meinst die Sache mit diesem iranischen Spion?«, fragte Boddendijk nach.

      »Daran war Clairé sicher maßgeblich beteilig.« Çakir grinste. »Ich möchte sie einfach mal anrufen und beglückwünschen.«

      Der holländische Wissenschaftler hatte an der Rezeption inzwischen seinen Schlüssel in Empfang genommen und war auf dem Weg zu den Fahrstühlen.

      »Na, dann mach' mal«, rief Boddendijk seinem Kollegen noch zu, während er seinem Schützling nacheilte und gerade noch die Kabine erreichte, ehe sich die Lifttür schloss.

      Çakir holte sein Smartphone aus der Jackentasche und suchte schnell nach der entsprechenden Rufnummer. Er hörte das Freizeichen und vernahm nur wenige Sekunden später auch schon Clairés angenehme, rauchige Stimme. Auch wenn sie es nicht sehen konnte, verzog er sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. »Hallo, Süße. Hier spricht dein zweites Ich …«

       ***

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      Kapitel 7

      Larry Perkins lag auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses auf der Lauer. Von einem Bekannten hatte er sich noch schnell ein paar Waffen besorgt. Bis an die Zähne war er nun gerüstet. Vom Totschläger bis zum Derringer trug er alles bei sich. Ein wandelndes Waffenarsenal war er. Man musste diesen Wirrkopf in der Tat sehr ernst nehmen. Aber kein Mensch scherte sich um ihn. Er lag auf dem dreckigen Dach, war drauf und dran, einen sinnlosen Mord zu begehen, und niemand wusste davon. Ein dämliches Kichern schüttelte den Mann.

      Drüben betrat im 19. Stock jener Wissenschaftler seine Suite, den Perkins über den Haufen schießen wollte. Noch ein Mann trat ein. Larry Perkins kicherte wieder. Er trug einen schwarzen Hut mit breiter Krempe auf dem Kopf. Nun schob er den Hut weit zurück in den Nacken, die Krempe wischte er mit einer nervösen Handbewegung nach oben, weil sie störend war. Ein angenehmes Prickeln durchlief ihn. Er war aufgeregt. Es war das Jagdfieber. Er konnte den Moment schon nicht mehr erwarten, wo das Gewehr losging.

      Rrrums!

      Und drüben würde dieser verdammte Holländer blutüberströmt zusammenbrechen.

      Perkins fiel es schwer, sich auf den Schuss zu konzentrieren. Es ist ein Unterschied, ob man auf Büchsen und Flaschen oder auf einen Menschen schießt. Wenn man auf einen Menschen anlegt, dann kribbelt das ganz gewaltig, dachte Perkins. Und dann nahm er den ahnungslosen Wissenschaftler aufs Korn …

       ***

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      Kapitel 8

      Fünf Minuten alberte Çakir mit Clairé. Sie waren sich einig, mal zu dritt oder zu viert auszugehen. Clairé machte zwei konkrete Vorschläge, und Russell Çakir stimmte beiden prinzipiell zu. Sie vereinbarten, bald wieder telefonischen Kontakt aufzunehmen. Dann beendete Çakir das Gespräch. Es lag immer noch ein kleines Lächeln um seine Lippen, als er in der 19. Etage aus dem Lift stieg. Er klopfte dreimal – zweimal schnell hintereinander, einmal mit etwas Abstand, und gab das vereinbarte Zeichen.

      Cornelis Boddendijk öffnete ihm die Tür. »Na, hat sich diese Superfrau von dir beglückwünschen lassen?«

      »Sie hat sich ehrlich über meinen Anruf gefreut.«

      »War wohl ein bisschen mehr los zwischen euch beiden als bloß kollegiale Freundschaft, als ihr in Teheran zu tun hattet, wie?«

      »Dazu reichte leider die Zeit nicht«, gab Çakir schmunzelnd zurück. »Aber nein, echt … Ich bin in guten Händen.«

      Cornelis Boddendijk wandte sich in diesem Moment um. Plötzlich hatte er das Gefühl, weiße Haare zu bekommen. Auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses hatte sich etwas bewegt, und es war bestimmt keine Katze gewesen. So große Katzen gibt es auf der Insel nicht, dachte er bei sich. Für ihn konnte das nur eines heißen: Gefahr für den Gelehrten. Mit einem heiseren Schrei flog er auf den Mann zu, dessen wertvolles Leben er zu schützen hatte. Seine Arme schnellten vorwärts. Seine Hände packten die Schultern des zarten Akademikers. »Sofort runter!«, schrie er lauthals, und gleichzeitig riss er seinen völlig verdatterten Landsmann mit sich zu Boden. Kaum lagen er und der Wissenschaftler auf dem Boden, da krachte drüben auch schon der Schuss. Die Kugel zerschmetterte die Fensterscheibe. Glaskaskaden prasselten auf ihn und den Mann, den er mit seinem Leib deckte.

      Çakirs dunkle Haut wurde grau. »Verdammte Scheiße!«, entfuhr es ihm, indessen sein Partner wieder auf die Beine kam.

      Sie sahen, wie drüben jemand mit weiten Sätzen über das Dach lief.

      »Alles goed?«, erkundigte Boddendijk sich in seiner Muttersprache.

      »Ja«, gab der grauhaarige Mann gepresst zurück.


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