Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon


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reinem Selbstmitleid geweint, weil sie so unnachgiebig auf ihrem Standpunkt beharrte? Vorsichtig setzte sie sich wieder neben ihn, legte versöhnlich ihren Arm um ihn und versprach mit der freundlichsten Stimme, zu der sie sich unter diesen Umständen fähig war: „Jetzt hör´ mir doch zu, Luddi! Ich bleibe nur drei Wochen bei Doro. Dann komme ich zurück. Und wenn mir bis dahin kein anderer Weg eingefallen ist, dann werde ich die Chemotherapie machen. Ich versprech´s dir!“ Sie machte eine Pause und sah ihn bittend an, bevor sie fortfuhr: „Wenn ich zurück komme ohne eine bessere Idee, dann werde ich das machen. Wäre das okay für dich?! Sie sah ihn abwartend an.

      Ludwig schüttelte störrisch den Kopf und starrte zum Fenster hinaus, als gäbe es da irgendetwas zu sehen, was seinen Blick auf sich zog. „Du bist doch verrückt!“ presste er erneut barsch hervor. „Wir sind hier doch nicht auf einem türkischen Basar! Willst du mit mir handeln? Vergiss es! Meinen Segen bekommst du für deinen Amerika-Quatsch nicht.“ Er blickte trotzig weiter aus dem Fenster hinaus wie ein störrisches Kind. Ein wenig freundlicher fügte er dann hinzu: „Schatz, es ist deine Entscheidung und niemand kann dich zwingen. Aber ich würde dich zwingen, wenn ich könnte. Das kannst du mir glauben! Es muss doch einen Weg geben, dass du Vernunft annimmst! Du machst den Fehler deines Lebens und ich muss hilflos zusehen. Für mich ist das ein unerträglicher Zustand. Anders kann ich das nicht bezeichnen, was du da vorhast!“ Er stand auf und ging sturen Blickes aus dem Zimmer.

      Tilda war wütend auf ihn, sehr wütend. Er dachte nur an sich. Sie war überzeugt davon, dass es das war, was ihn zu seiner Einstellung gebracht hatte und auch jetzt daran festhalten ließ. Er hätte sie sonst verstanden. Ludwig wollte sich später einfach keine Vorwürfe anhören müssen, dass nicht „alles versucht worden war“. Tilda kannte ihn nach den Jahren einfach. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie war enttäuscht, wie wenig Rücksicht er darauf nahm, was sie selbst eigentlich wollte. Sie war schließlich die Betroffene.

      Ludwig wollte sich keine Vorwürfe machen müssen, wenn sie tot war. Für Tilda war das ein unvorstellbarer Gedanke. Wie würde es sein, wenn sie tot war? Wenn sie starb? Wie würde sich das anfühlen? War dann alles zu Ende oder gab es tatsächlich ein Erwachen auf der sogenannten anderen Seite? Entsetzt über ihre eigenen Gedanken zwang sie sie weg von diesem Thema. Wenn sie ihre Energien in das Todes- Thema hineinfließen ließ, dann würde es am Ende noch größer werden, wachsen und gedeihen. Sie schüttelte sich. Es war, als hätte ihr jemand einen Krug voller Eiswürfel in den Kragen gegossen. Tilda wollte auf keinen Fall, dass sich das schreckliche Thema in ihrem Leben weiter manifestierte. Außerdem war es nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken was wäre wenn. Aus ihrer Sicht stellte sich die Frage nicht. Jetzt war sie ärgerlich und aufgewühlt. Sie musste sich um ihr ESTA-Formular kümmern. Das war viel wichtiger. Sie schaltete ihren Laptop ein und ging zum Schrank hinüber, um ihren Reisepass zu holen.

      Ludwig war inzwischen ins Arbeitszimmer gegangen. Sie hörte, wie er telefonierte. Dann sollte er eben bockig sein. Sie konnte doch nicht nachgeben, bloß weil sie Streit mit ihm vermeiden wollte. Genau genommen war alles im Leben eine Prüfung. Sie sah es jetzt als ihre Prüfung an, durchzusetzen, was ihr wichtiger war: Diplomatisch zu sein und ihre Überzeugung damit zu verraten oder autark zu bleiben und ein Zerwürfnis mit allen zu riskieren, die es besser zu wissen glaubten. Nachdenklich hing sie an der Auseinandersetzung mit Ludwig fest. Schlussendlich ging es doch bei dem Streit zwischen ihnen auch nur darum, wie weit sie sich von der gängigen Meinung in dieser Gesellschaft entfernen durfte, ohne auf Entrüstung zu stoßen. Tilda versuchte es so zu sehen. Personen, die gar nicht betroffen waren, schienen generell immer alles am besten zu wissen. Das Phänomen war hinlänglich bekannt.

      Die Tür vom Arbeitszimmer öffnete sich und Ludwig kam mit dem Telefon in der Hand heraus. Er sah sie an und reichte ihr das Telefon ohne erkennbare Emotionen, wenn auch ein gewisser triumphierender Unterton in seiner Stimme schwang, als er ihr zuflüsterte: „Schatz, für dich! Deine Eltern…….!“ Sein Gesicht hatte rote Flecken, wie immer, wenn er sich sehr aufgeregt hatte und die Ader in der Mitte seiner Stirn war angeschwollen. Tilda erstarrte. Ludwig war sich nicht zu schade gewesen, ihre Eltern anzurufen, um sie dort anzuschwärzen. Er hatte tatsächlich nichts Besseres zu tun gehabt, als sich direkt nach ihrer Auseinandersetzung im Arbeitszimmer ans Telefon zu begeben und sie zu verpetzen. Tilda war außer sich vor Wut, versuchte aber, sich zusammenzureißen. Für sie war das ein Beweis mehr für ihre Vermutung, dass sein Inneres in Wahrheit gar nicht von dem Konflikt betroffen war. Wenn er tatsächlich so zerknirscht gewesen wäre, wie er sich noch vor einer halben Stunde gegeben hatte, dann hätte er sie jetzt wohl kaum schnurstracks verraten. Die Wut stieg Tilda ins Gesicht und machte es feuerrot. Wie konnte er nur! Selbst in dieser Situation wollte er unbedingt jemanden finden, der ihm Recht gab. Und er wollte, dass sie tat, was er für das Beste hielt. In ihren Augen war das das Allerletzte, um was es jetzt ging.

      Nun hatte Tilda aber keine andere Wahl mehr. Sie musste sich ihren Eltern erst einmal stellen. Sich so neutral wie möglich zu verhalten war eine große Herausforderung, als sie ihre Mutter so plötzlich am Telefon hatte. Tilda konnte hören, wie sie schluchzte und völlig aufgelöst war. Ihre Stimme hatte diesen anklagenden Unterton, den sie von solchen Gelegenheiten her kannte: „Kind, wieso willst du denn keine Chemotherapie machen? Ludwig sagt, du hast den Termin für den Port heute platzen lassen. Warum machst du dir bloß solche Schwierigkeiten?“ Sie schluchzte in den Hörer, bevor sie fortfuhr: „Ist denn nicht schon alles schlimm genug? Du hast doch gar keine andere Wahl, Mädchen!“ Sie schluchzte erneut auf. „Es ist doch das Einzige, was du tun kannst in dieser schrecklichen Lage! Dein Vater findet das auch!“ Tilda hörte ihren Vater im Hintergrund irgendetwas sagen, konnte ihn aber nicht verstehen. Offenbar hatten ihre Eltern den Lautsprecher eingeschaltet, so dass ihr Vater alles mithören konnte. Tilda hasste diese Angewohnheit ihrer Eltern. Sie war nicht bereit, jetzt mit ihnen die gleiche Diskussion zu führen, wie kurz zuvor mit Ludwig. Sie war einfach nur sauer, weil niemand sie verstehen wollte. Sauer, weil sich niemand die Mühe machen wollte, sich wirklich in ihre Lage zu versetzen. Noch nicht einmal ihre eigenen Eltern wollten das tun. Dabei waren sie intelligente Menschen, die stets hilfreich bemüht gewesen waren, ihr im bisherigen Leben zur Seite zu stehen. Doch sogar sie schienen ihr jetzt in den Rücken fallen zu wollen. Tilda hätte sich so sehr gewünscht, dass sie wenigstens neutral geblieben wären, dass sie sich jetzt mit ihrer Meinung zurückgehalten hätten. Sie wollte unter diesen Umständen ganz bestimmt keine Auseinandersetzung mit ihnen. Tilda liebte sie und wollte keine Eskalation.

      Während ihre Mutter auf sie einredete, versuchte Tilda ruhig zu bleiben und nicht unfreundlich zu werden. Während sie sich in Begründungen und Lobpreisungen der mutmaßlichen Hilfe durch moderne Chemotherapie erging, fiel Tilda ihr genervt ins Wort: „Mam, ich habe mir das gut überlegt. Das kannst du mir glauben! Die Chemo wird mich nicht wieder gesund machen. Das ist nur eine Palliativtherapie!“ Ihre Mutter antwortete erregt: „Aber Kind, woher willst du denn das so genau wissen? Die Medizin ist doch heute schon so weit! Vielleicht hilft sie dir ja mehr, als du dir vorstellen kannst?“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Jetzt nach Amerika zu fliegen bringt dich doch erst recht nicht weiter! Doro kann dir dort auch nicht helfen. Und du verlierst so viel wertvolle Zeit!“ Sie schluchzte am anderen Ende der Leitung und putzte sich die Nase. Genau das Argument hatte Tilda schon erwartet. Prompt entgegnete sie ihr schnippisch: „Ich verliere wertvolle Zeit? Aber Mam, das ist doch alles Quatsch! Das wäre nur der Fall, wenn mir die Chemo helfen könnte. Aber ob palliativ oder nicht, die Chemo hilft doch fast niemandem wirklich! Die Leute sterben doch trotzdem alle. Mensch Mam! Überleg´ doch mal! Wenn Krebs die zweithäufigste Todesursache in Deutschland ist, dann sieht es doch echt trübe aus mit der Heilkraft der Chemotherapie. Und dass Doro mir nicht helfen kann, das weiß ich auch allein!“

      Offensichtlich entsetzt über ihre harschen Worte fiel ihr nun ihre Mutter ins Wort, wobei sich ihre Stimme überschlug: „So, Kind! Jetzt mach es aber mal halblang! Glaubst du, dass du klüger bist, als die Ärzte?“ Tilda verdrehte die Augen und schnaufte wütend, während sie entgegnete: „Ja, Mam, genau darauf habe ich gewartet. Genau darauf! Natürlich bin ich NICHT klüger, als die Ärzte. Aber ihr beiden, du und Paps, ihr solltet mal genau darüber nachdenken, wie viele Krebskranke ihr kennt. Und dann denkt mal darüber nach, wer von denen wieder gesund geworden ist und wer davon am Ende ins Gras gebissen hat. Jawohl, ins Gras gebissen! Trotz aller Chemotherapie, Bestrahlungen


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