White Moon. Leni Anderson

White Moon - Leni Anderson


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      Luke, oh mein Gott ...

      Wenn ich an die Situation in meinem Büro zurückdenke, steigt augenblicklich der Ekel in mir auf. Was zum Teufel war nur in ihn gefahren? Luke war schon immer ein unangenehmer Charakter gewesen, aber dass er zu so etwas fähig ist, mich unter einem fadenscheinigen Vorwand in die Agentur lockt, um sich dann auf widerlichste Art und Weise an mich ranzumachen, hätte ich ihm nicht zugetraut. Die Erinnerung an seinen heißen Atem an meinem Ohr drängen sich in mein Gedächtnis. Beinahe muss ich würgen.

      Fuck.

      Was er hatte er gesagt? Aber Hannah, Sie summen ja. Verdammt. Verdammt. VERDAMMT!

      Wenn er ebenfalls vom Summen spricht, es sogar bemerkt hatte, dann muss er ...

      Ich wage kaum, den Gedanken zu Ende zu spinnen. Nicht, dass ich heute von der Existenz von Vampiren erfahren und gleich dazu noch drei von ihnen kennen gelernt hatte, nein. Mein Chef scheint ebenfalls einer zu sein. Keine Ahnung, was ich mit dieser Information jetzt anfangen soll. Wie ich ihm morgen im Büro begegnen soll.

      Das Geräusch eines herannahenden Autos reißt mich aus meinen Gedanken. Panisch schaue ich mich um, ob ich schnell irgendwo in Deckung gehen kann. Ich habe wahrlich keine Lust auf Besuch. Nicht in diesem Moment. Nicht hier. Nicht in meinem Zustand. Ich will einfach nur die Einsamkeit genießen und begreifen, was mein Leben von jetzt auf gleich so auf den Kopf gestellt hatte.

      Leider stehe ich völlig im Freien. Das Wäldchen ist gut zwanzig Meter entfernt und so, wie es sich anhört, ist es eh schon zu spät. Just in diesem Moment wird eine Wagentür zugeschlagen.

      Fuck.

      Ich hocke mich hinter meine Maschine, was eigentlich total albern ist, und schicke ein Stoßgebet gen Himmel, dass es nur Edgar ist, der Betreiber des kleinen Flugplatzes. Vielleicht hatte er meine Maschine gesehen und sich auf den Weg gemacht, um mir hallo zu sagen. Schließlich hatten wir uns schon lange nicht mehr gesehen.

       Tu einfach so, als würdest du an der Maschine herumbasteln!

      Vorsichtig luge ich zwischen meiner Maschine hindurch und versuche, die näher kommende Gestalt genauer ins Auge zu fassen. Es ist definitiv nicht Edgar, der da auf mich zukommt. Im Schein, der langsam untergehenden Sonne sehe ich schließlich deutlich seine Konturen.

      Chris.

      Als er mich hinter meinem Motorrad kauernd entdeckt, bleibt er wie angewurzelt stehen. „Hannah?“

      Zögernd erhebe ich mich. Aufregung und Anspannung fallen in sachten Wellen von mir ab. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. Ich kann nicht antworten. Wie hatte er mich nur gefunden?

      „Ist alles okay?“

      Alles okay.

      Die Worte hallen in meinem Kopf wider.

      Alles okay.

      Irgendwie ist gerade gar nichts okay. Mein Leben oder vielmehr meine Vorstellungen vom Leben sind irgendwie aus den Fugen geraten und ich kann nichts dafür.

      Für einen kurzen Moment kommt das Gefühl in mir auf, dass ich vor zehn Wochen einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war.

      Aber das stimmte nicht. Es war richtig. Es ist richtig.

      Es ist mein Schicksal.

      Ich bin gefangen in einem Strom, der mich mit sich reißt und von dem ich nicht weiß, wohin er mich führen wird. Er jagt mir eine Heidenangst ein und zum zweiten Mal in meinem Leben weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.

      Ich schlage die Hände vor die Augen und die Tränen laufen erneut. Ich kann mein Schluchzen nicht zurückhalten, so sehr ich mir auch gewünscht hätte, in diesem Moment die Fassung zu wahren.

      Mit einem langen Satz überbrückt Chris die Distanz zwischen uns und nimmt mich vorsichtig in den Arm. Sacht streichelt er meinen Hinterkopf. Ich bin unfassbar dankbar, dass er da ist, und schmiege mich an ihn, genieße seine warme Umarmung und seinen maskulinen Duft. Ganz tief atme ich ihn ein, konzentriere mich nur auf ihn, versinke in ihm und lasse meinen Tränen freien Lauf.

      Chris steht da und hält mich fest. Ohne ein Wort zu sagen. Ohne zu fragen. Ohne zu werten. Als wüsste er genau, was in mir los ist.

      Meine Gefühle sind die letzten vierundzwanzig Stunden Achterbahn gefahren und ich kann einfach nur noch weinen. Bis ich vollkommen leer bin. Bis alle Tränen aufgebraucht sind. Erst dann schließt sich das Loch in mir und ich bringe langsam meine Atmung wieder unter Kontrolle.

      „Kannst du mich bitte nach Hause bringen?“

      Chris nickt. „Klar. Was machen wir mit deinem Motorrad?“

      Meine Maschine.

      Fuck.

      Erneute Verzweiflung macht sich in mir breit.

      „Ich bin mit dem Audi da, habe aber auch einen Pick-up. Wenn du magst, hole ich ihn schnell und wir laden sie einfach auf.“ Seine Worte klingen, als hätte er meine aufkommende Verzweiflung gespürt.

      „Bitte lass mich nicht allein!“ Die Worte sind raus, bevor ich richtig darüber nachdenken konnte. So sehr ich auch die Einsamkeit vorhin genossen, ja gebraucht hatte, so sehr kann ich sie jetzt nicht mehr ertragen. Nein, er soll auf gar keinen Fall gehen.

      „Bitte“, hauche ich in seinen Pullover.

      Er hält mich weiterhin fest in seinem Arm. „Ist schon gut. Wir lassen sie einfach hier und holen sie morgen ab. Ich hab da hinten einen Schuppen gesehen. Wir stellen sie einfach daneben. Okay?“

      Ich nicke.

      „Komm, lass uns fahren.“ Er küsst mich bedächtig auf die Haare und führt mich zum Auto. Als er die Tür hinter mir schließt, nutze ich den kleinen Moment, während er auf die Fahrerseite läuft, und wische mir die Tränen von den Wangen. Ein kurzer Blick in den Spiegel der Beifahrerblende verrät mir, dass mein Gesicht genauso geschwollen ist, wie ich erwartet habe. Was für eine Augenweide ich doch heute bin. Ich will einfach nur noch nach Hause.

      Die kurze Fahrt zu meiner Wohnung vergeht wie im Flug. Chris findet einen Parkplatz direkt vor dem Hauseingang, was praktisch an ein Wunder grenzt, da man um diese Zeit normalerweise nie, und ich meine wirklich nie, einen Parkplatz findet.

      Er stellt den Motor ab und sieht zu mir herüber. In seinen Augen spiegelt sich echte Besorgnis. „Möchtest du jetzt darüber reden?“

      Ich kann immer noch nur den Kopf schütteln und reglos vor mich hinstarren. Eigentlich habe ich tausend Fragen und bräuchte dringend ein paar Antworten.

      Hannah, Sie summen ja ...

      Ihr seid füreinander bestimmt ...

       Wir warten nur darauf, dass er dich endlich verwandelt ...

      Wie ein Damoklesschwert kreisen die Worte drohend über mir.

      Seufzend steigt Chris aus dem Auto. Er öffnet meine Tür und kniet sich vor mir hin. Sein Blick durchbohrt mich, als würde er mir direkt in die Seele gucken.

      Ich schlucke.

      „Hannah, ich weiß, dass irgendwas los ist. Ich habe es gespürt. Sonst wäre ich dir nicht gefolgt und hätte dich auch nicht so einfach gefunden.“ Jetzt bin ich hellhörig.

      „Du kannst mit mir darüber reden, wirklich. Auch wenn du mich vielleicht nicht kennst, noch nicht, so solltest du aber innerlich spüren, dass du mir vertrauen kannst.“

      Ich nicke und wische mir eine einsame Träne von der Wange. Ja, das stimmt. Ich kenne ihn kaum, praktisch gar nicht. Und doch weiß ich, spüre ich, dass ich ihm voll vertrauen kann. Ihm, diesem großen, gut aussehenden und auch irgendwie einschüchternden Mann, der wie aus dem Nichts in mein Leben gestolpert war.

      „Kannst du mich hochbringen?“, hauche ich ihm entgegen.

      Ein


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