Die zweite Frau. Eugenie Marlitt

Die zweite Frau - Eugenie Marlitt


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Blutes jener Rasse durch die Adern der deutschen Fürstin lief.

      Sie verfolgte den kreisenden Reiher mit derselben Aufmerksamkeit, wie die Kinderschar, die bei seinem Verschwinden in das jubelnde Hurra ausbrach.

      »Du hast wieder nicht mitgeschrieen, Gabriel,« sagte zornig ein kleiner Knabe zu einem größeren, neben ihm stehenden, dessen einfacher, weißer Leinenanzug inmitten der elegant gekleideten Kinder seltsam auffiel.

      Der Angeredete schwieg und seine Augen suchten den Boden; das versetzte den Kleinen in Wut.

      »Schämst du dich denn gar nicht vor den anderen, elender Junge? ... Auf der Stelle schreist du Hurra! Wir rufen auch mit!« befahl und ermutigte er zugleich.

      Der weißgekleidete Knabe wandte angstvoll das Gesicht weg. Er machte Miene, seinen Platz zu verlassen - da hob der Kleine blitzschnell seine Gerte und schlug ihn in das Gesicht.

      Die Kinder stoben auseinander – einen Augenblick stand die kleine zornbebende Gestalt allein – ein ideal-schönes Kind in elegantem grünen Samtanzuge, mit prächtigen braunen Locken, ein Bild der Kraft und Vornehmheit; der Erbprinz und sein Bruder samt ihrem kindlichen Gefolge konnten sich mit ihm nicht messen.

      Seine Erzieherin kam bleich und erschrocken herbei, aber schon hatte die Herzogin die kleine geballte Hand ergriffen.

      »Das war nicht hübsch, Leo,« sagte sie; allein in ihrer Stimme klang kein strafendes Zürnen mit, weit eher eine tiefe Zärtlichkeit.

      Der Kleine riß seine Hand ungestüm aus den samtweichen, schmeichelnden Fingern; mit einem scheuen Seitenblicke nach dem Gezüchtigten, der sich eben entfernte, drehte er sich auf dem Absatze herum. »Ach was,« grollte er, »es geschieht ihm ganz recht! Papa kann ihn auch nicht leiden – er sagt immer: ›Diese Memme erschrickt vor ihrer eigenen Stimme.‹«

      »Wohl, mein kleiner Trotzkopf; weshalb aber bestehst du dann darauf, daß dieser Gabriel dich stets begleite?« fragte lächelnd die Herzogin.

      »Weil – nun, weil ich's eben so haben will.«

      Mit diesem trotzigen Worten warf er seinen Lockenkopf zurück, wandte der Gesellschaft den Rücken, als existiere sie nicht, und verschwand hinter einem der Häuser. Auf weitem Umwege suchte er die dickstämmige Linde zu erreichen, hinter welche sich der Geschlagene zurückgezogen hatte.

      Einsam lehnte die weiße Gestalt an dem Baume. Es war ein Knabe von vielleicht dreizehn Jahren, ein tiefmelancholisches Gesicht über feingebauten, geschmeidigen, aber wenig muskelstarken Gliedern. Er hatte sein Taschentuch in das Teichwasser getaucht und drückte es kühlend gegen die linke Wange, während seine zarten Lippen nervös aufzuckten, vielleicht weniger unter dem Schmerze, den ihm der Schlag verursacht, als infolge der inneren Aufregung.

      Der kleine Leo umkreiste ihn mehrere Male, wobei er mit seiner Gerte wild in der Luft fuchtelte.

      »Thut es s e h r weh?« fragte er plötzlich hart und kurz mit finster gefalteten Brauen und stampfte dem kleinen kräftigen Fuß auf. Gabriel hatte das Tuch weggenommen, um es abermals in das Wasser zu tauchen – ein feurig roter, quer über die Wange laufender Striemen war sichtbar geworden.

      »Ach nein,« antwortete der Knabe mit sanfter, unbeschreiblich wohllautender Stimme, »es brennt nur noch ein wenig.«

      Im Nu flog die Gerte auf den Boden; mit einem herzzerreißenden Aufschrei schlang der Kleine seine Arme um den Geschlagenen – man hörte seine Zähne aneinanderknirschen.

      »Ich bin ein zu schlechter Junge!« stieß er hervor. »Dort liegt meine Gerte, Gabriel; nimm sie und schlage mich auch!«

      Die anderen Kinder begafften mit offenem Munde diesen unvorhergesehenen Ausbruch einer tiefen, schmerzlichen Reue. Auch die Herzogin stand in der Nähe; eine seltsame Empfindung mochte sie überwältigen – wie hingerissen zog sie ungestüm das Kind an ihr Herz und bedeckte sein schönes Gesicht mit Küssen.

      »Raoul!« flüsterte sie – wie ein Hauch kam der Name von ihren Lippen.

      »Ach dummes Zeug!« murrte der Kleine, derb und kräftig sich loswindend. »Raoul heißt ja mein Papa!«

      Die marmorweißen Wangen der fürstlichen Frau erröteten in tiefer Glut; sie fuhr empor und blieb einen Moment unbeweglich stehen; dann wandte sie langsam den Kopf und warf einen scheuen, unsichern Blick hinter sich – die Damen, die nahe gestanden, waren unter der Thür des nächsten Häuschens verschwunden.

      Von der Residenz her rollte eine Hofequipage; ein Herr saß im Fond, und neben ihm auf dem blauen Seidenpolster lagen die Utensilien zum Krocketspiel. Eben bog der Wagen in die Fahrstraße ein, die am Teiche hinlief, als ein Fußgänger aus dem Dämmerdunkel eines Gehölzes trat. Der Herr im Wagen ließ sofort halten.

      »Grüß Gott, Mainau!« rief er herüber. »Na, das nimm mir nicht übel; man hofft mit Schmerzen auf dich, und da kommst du flanieren auf dem größtmöglichen Umwege! ... Die Linde steht längst – hast dem Hause Mainau die stolze Tradition verwirkt, daß deine Hand es war, die den Stamm umspannte, während Friedrich der Einundzwanzigste Erde auf die Wurzeln schaufelte.«

      »Man wird dereinst einen Trauerflor über mein Bild hängen müssen.«

      Der Herr im Wagen lachte; er öffnete behende mit einer einladenden Handbewegung den Schlag.

      »Plagt dich der Teufel, Rüdiger – im Fond?« wehrte der andere in komischer Entrüstung, »Gott sei Dank, noch weicht mir das Zipperlein aus! ... Fahre weiter im stolzen Bewußtsein deiner Mission – hast das vergessene Krocketspiel holen müssen? Beneidenswerter!«

      Der Herr sprang auf den Boden, warf den Schlag zu, und während der Wagen weiterfuhr, schlugen die beiden den Fußpfad ein, der durch Buschwerk nach dem Fischerdörfchen lief ... Sie sahen seltsam nebeneinander aus – der im Wagen gekommene klein, beweglich und sehr wohlbeleibt, und sein Begleiter so hoch von Gestalt, daß sein Haupt häufig dem unteren Baumgeäst ausweichen mußte. Der Mann hatte etwas überraschend Blendendes in seiner Erscheinung, in dem ausdrucksvollen Kopf und in allen Gebärden jenes dämonenhaft wirkende Feuer, das eben als sanfte Glut fast elegisch dem Auge entströmt und im nächsten Augenblicke die schlanke, scheinbar weiche Hand zur Faust ballt, um einen verhaßten Gegner zu Boden zu schlagen. Der kleine jähzornige Knabe drüben beim Fischerdörfchen glich ihm Zug um Zug, fast bis zur Lächerlichkeit.

      »Gehen wir denn!« sagte Herr von Rüdiger. »Zum Diner kommen wir leider heute nie spät genug ... Brr – Kinderbrei und Puddings in allen erdenklichen Auflagen! ... Eine Strafpredigt brauche ich auch nicht zu fürchten, ich bringe ja dich mit... Apropos, du warst für zwei Tage verreist, wie den Leo der Herzogin sagte?«

      »Ich war verreist, Verehrtester.«

      Diese lakonische Bestätigung klang zu ironisch und abfertigend für den kleinen Beweglichen – das »Wohin« blieb ihm hinter den Lippen sitzen ... Sie kamen eben an einer Stelle vorüber, wo das Dickicht auseinanderriß und einen Ausblick über den Teich hin gewährte. Man übersah das ganze Dörfchen. Unter den Linden standen weißgedeckte Tafeln; zwischen diesen und einem der Häuser, durch dessen Thür man den fürstlichen Koch in weißer Mütze am Herd beschäftigt sah, liefen Lakaien hin und her – das Diner war in Vorbereitung. Die aufregende Szene, die der kleine Leo veranlaßt, war längst vergessen, man spielte; alles was laufen konnte, spielte mit – graziöse Hofdamen und schlanke Kammerjunker, aber auch alle Kavaliere mit steifen Beinen, ja selbst die dicke, asthmatische Oberhofmeisterexzellenz watschelte händeklatschend durch den Kindertumult.

      Die Herzogin war so nahe an das seichte Teichufer getreten, daß man meinte, das Wasser spiele an ihre Füße heran. Wie ein Schwanengefieder schwamm ihr weißes Spiegelbild in der klaren Flut. Einige junge Damen hatten ihr einen Kranz von Waldreben und Blumenglocken gebracht; er lag über ihrer Stirn und ließ lange, grüngefiederte Ranken über die schöne Büste und den Nacken hinab hängen.

      »Ophelia!« rief Baron Mainau halblaut mit einer pathetischen Gebärde


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