Hans Fallada: Der Trinker – Band 186e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада
Angestellten und den Verlust der Lieferungen überhaupt nicht vor ihr verbergen konnte. Aber ich log mir vor, dass alles darauf ankomme, dass sie nicht gerade jetzt davon erführe, dass ich in einigen Wochen vielleicht doch den einen oder anderen Ersatz gefunden haben könnte. Dann hatte ich wieder einen hellen Augenblick. Ich blieb stehen, stieß mit dem Fuß energisch gegen einen Stein im Staube des Weges und sagte zu mir: ‚Da Magda doch davon erfahren wird, ist es besser, sie erfährt es durch mich als durch anderer Leute Mund, und es ist wiederum besser, sie erfährt es heute, als irgendwann. Mit jedem Tag, den du dies aufschiebst, wird das Geständnis schwerer. Schließlich habe ich kein Verbrechen begangen, sondern nur eine Nachlässigkeit.’ Ich stieß wieder mit dem Fuß gegen den Stein: ‚Ich werde Magda einfach bitten, mir wieder im Geschäft zu helfen. Das versöhnt sie mit meinem Misserfolg und bringt mir und dem Betrieb nur Nutzen. Ich bin wirklich nicht sehr frisch und kann eine Hilfskraft gut gebrauchen ...!’ Aber diese hellen Augenblicke gingen schnell vorüber. Ich hatte stets so viel auf die Achtung der Leute und vor allem auf die Magdas gegeben. Ich hatte stets peinlich darauf gesehen, dass ich als der Chef respektiert wurde. Ich konnte es auch jetzt, gerade jetzt, nicht übers Herz bringen, von dieser Würde ein Jota abzulassen und mich gerade vor Magda zu demütigen. Nein, ich war entschlossen, die Sache selbst zu meistern, komme, was wolle. Ich mochte mir auch nicht von einer Frau helfen lassen, mit der ich mich fast täglich zankte. Es war klar vorauszusehen, dass sich diese Zänkereien bis ins Kontor fortsetzen würden – sie würde dort auf ihrem Willen beharren, ich würde widersprechen, sie würde mir meine Misserfolge vorwerfen – o nein, unmöglich!
Wieder stampfte ich mit dem Fuß auf, aber diesmal in den Staub des Weges. Ich sah hoch. Ich hatte keine Ahnung, wohin mich meine Füße getragen hatten, so sehr war ich in meine Sorgen versponnen gewesen. Ich stand in einem Dorf, nicht übermäßig weit von meiner Vaterstadt entfernt, einem Dorf, das wegen einiger reizender Birkenwäldchen und eines Sees ein beliebter Frühlingsausflugsort meiner Mitbürger ist. Aber an diesem Wochentag-Vormittag gab es hier noch keine Ausflügler, dafür ist man bei uns daheim zu fleißig. Ich stand gerade vor dem Gasthof, und ich spürte, dass ich Durst hatte. Ich trat in die niedrige, weite, aber dunkle Schankstube ein. Ich hatte sie immer nur erfüllt von vielen Städtern gesehen, die frühlingshaft hellen Kleider der Frauen hatten den Raum heller gemacht und ihm trotz seiner Niedrigkeit etwas Beschwingtes gegeben. Denn, wenn die Städter hier waren, hatten die Fenster offengestanden, auf den Tischen lagen dann bunte Decken, und überall gab es in hohen Vasen helle Sträuße von Birken. Jetzt war der Raum dunkel, auf den Tischen lag gelblich-bräunliches Wachstuch, es roch stickig, denn die Fenster waren fest verschlossen. Hinter der Theke stand ein junges Mädchen, dessen Haare schlecht zurechtgemacht und dessen Schürze schmutzig war, es flüsterte eifrig mit einem jungen Kerl, der nach seiner kalkbespritzten weißen Kleidung ein Maurer zu sein schien. Mein erster Impuls war der, umzukehren. Aber mein Durst und noch mehr das Gefühl, sofort wieder meinen Sorgen ausgeliefert zu sein, ließen mich stattdessen an die Theke treten.
„Geben Sie mir was zu trinken, irgendwas, das den Durst löscht“, sagte ich.
Ohne aufzusehen ließ das Mädchen Bier in ein Glas laufen, ich sah zu, wie der Schaum über den Rand troff. Das Mädchen schloss den Bierhahn, wartete einen Augenblick, bis der Schaum sich gesetzt hatte, und ließ noch einen Schuss Bier nachlaufen. Dann schob sie mir, wiederum ohne ein Wort, das Glas über den stumpfen Zink zu. Es machte sich wieder an sein Flüstern mit dem Maurerburschen, bisher hatte es mich noch nicht mit einem Blick angesehen.
Ich hob das Glas zum Munde und trank es bedächtig. Schluck für Schluck, ohne einmal abzusetzen, leer. Es schmeckte frisch, prickelnd und leicht bitter, und indem es meinen Mund passierte, schien es in ihm etwas von einer Helle und Leichtigkeit zu hinterlassen, die vorher nicht in ihm gewesen war.
‚Geben Sie mir noch einmal von dem’, wollte ich sagen, besann mich aber anders. Ich hatte vor dem jungen Menschen ein helles, kurzes, gedrungenes Glas stehen sehen, das man bei uns eine „Stange“ nennt und in dem gewöhnlich Korn ausgeschenkt wird.
„Ich möchte auch solch eine Stange“, sagte ich plötzlich. Wie ich, der ich mein Lebtag keinen Schnaps getrunken, der ich immer eine tiefe Abneigung gegen den Geruch von Schnaps gehabt habe, dazu kam, weiß ich nicht zu sagen. In jenen Tagen änderten sich alle Gewohnheiten meines Lebens, geheimnisvollen Einflüssen war ich ausgeliefert, und genommen war mir die Kraft, ihnen zu widerstehen.
Zum ersten Male sah mich jetzt das Mädchen an. Langsam hob sie die etwas körnigen Lider und blickte mich mit hellen, wissenden Augen an.
„Mit Schnaps?“ fragte es.
„Mit Schnaps“, sagte ich. Das Mädchen griff nach einer Flasche, und ich überlegte mir, ob mich je in meinem Leben ein weibliches Wesen schon einmal so schamlos wissend angeschaut hätte. Dieser Blick schien bis auf den Grund meines Mannestums dringen zu wollen, als möchte er erfahren, was ich als Mann gelte; ich empfand ihn wie etwas Körperliches, etwas schmerzlich süß Beleidigendes, als sei ich nackt ausgezogen worden vor diesen Augen.
Das Glas war gefüllt, es wurde zu mir über den Zink geschoben, die Lider hatten sich wieder gesenkt, das Mädchen wandte sich an den Burschen; mein Urteil war gesprochen. Ich hob das Glas, zögerte – und schüttete den Inhalt in einem plötzlichen Entschluss in die Mundhöhle. Es brannte atemraubend, dann verschluckte ich mich, zwang die Flüssigkeit aber doch die Kehle hinunter. Ich fühlte sie brennend und beizend hinunterrinnen – und in meinem Magen entstand ein plötzliches Gefühl von Wärme, einer wohltuenden, heiteren Wärme. Dann musste ich mich am ganzen Leibe schütteln. Der Maurer sagte halblaut: „Die sich so schütteln, das sind die Schlimmsten“, und das Mädchen lachte kurz. Ich legte eine Mark auf den Zink und verließ ohne ein weiteres Wort die Gaststätte.
Der Frühlingstag empfing mich mit sonniger Wärme und leichtem, seidenfeinem Wind, aber als ein Verwandelter kehrte ich in ihn zurück. Aus der Wärme in meinem Magen war eine Helligkeit in meinen Kopf emporgestiegen, mein Herz pochte frei und stark. Jetzt sah ich das Smaragdgrün der jungen Saaten, jetzt hörte ich die Lerchenwirbel im Blau. Meine Sorgen waren von mir abgefallen. ‚Es wird sich alles schon einmal regeln’, sagte ich mir heiter und schlug den Weg heimwärts ein. ‚Warum sich jetzt schon darüber plagen?’ Ehe ich in die Stadt kam, kehrte ich noch in zwei weiteren Gasthäusern ein und trank in jedem noch solch ein Stängchen, um die rasch verfliegende Wirkung wiederzuholen und zu verstärken. Mit einem leichten, aber nicht unangenehmen Benommenheitsgefühl langte ich zu Hause gerade zur rechten Zeit für das Mittagessen an.
* * *
Kapitel vier
Kapitel vier
Ich war mir klar darüber, dass ich vor meiner Frau nun nicht nur den Fehlschlag in den Lebensmittellieferungen, sondern auch mein Trinken verheimlichen musste. Aber ich fühlte mich im Augenblick der ganzen Welt so überlegen, dass ich überzeugt war, dies würde mir nicht die geringste Schwierigkeit machen. Ich verweilte länger als sonst im Badezimmer und wusch mich nicht nur besonders sorgfältig, sondern putzte mir auch lange und gründlich die Zähne, um jeden Alkoholgeruch zu vertreiben. Ich wusste noch nicht, welche Haltung ich Magda gegenüber einnehmen sollte, aber ein dunkles Gefühl warnte mich davor, zu gesprächig zu sein – wofür ich eine starke Neigung verspürte –, besser würde vielleicht eine ruhige Pose gehaltenen Ernstes sein. Die Suppe war schon aufgefüllt, und Magda erwartete mich bereits, als ich eintrat. Ich gab ihr flüchtig die Hand und machte ein paar Bemerkungen über das herrliche Frühlingswetter. Sie stimmte mir zu und erzählte einiges von den jetzt dringenden Bestellarbeiten im Garten, auch bat sie mich, ihr heute Abend eine bestimmte Gemüsesämerei, deren Fehlen sie eben erst bemerkt habe, aus der Stadt mitzubringen. Ich sagte ihr prompteste Erledigung zu, und so kamen wir ohne jede Fährnis über die Suppe. Ich merkte wohl, dass mich Magda ab und zu prüfend, beinahe mit stummer Frage, von der Seite ansah, aber in dem Gefühl, dass mir unmöglich etwas angemerkt werden konnte und dass alles vorzüglich ging, beachtete ich diese Blicke nicht. Übrigens erinnere ich mich, dass ich an diesem Mittag die Suppe mit besonderem Appetit aß.
Else räumte die Teller ab und flüsterte dabei meiner Frau irgendeine Küchenfrage zu, durch die Magda veranlasst wurde,