Hans Fallada: Der Trinker – Band 186e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада
„Ich trinke nie Schnaps“, sagte das Mädchen mit kühler Abwehr, stand aber auf, ging an die Theke, holte ein kleines Glas und eine Flasche und schenkte mir am Tisch ein. Sie setzte sich und stellte die Flasche auf den Boden neben sich.
„Übrigens“, sagte sie dann, ihre Näherei wieder aufnehmend, „schließen wir in einer Viertelstunde.“
„Umso schneller werde ich trinken“, sagte ich, setzte das Glas an und trank es aus. „Wenn Sie aber keinen Schnaps trinken“, fuhr ich fort, „so will ich auch gerne eine Flasche Wein oder auch Sekt, wenn es so etwas hier gibt, für Sie bezahlen. Es soll mir nicht darauf ankommen.“
Sie hatte unterdes mein Glas wieder gefüllt, und wieder leerte ich es auf einen Zug. Schon hatte ich alles Vergangene und vor mir Liegende vergessen, ich lebte nur dieser Minute, diesem spröden und doch wissenden Mädchen, das mich mit so offenkundiger Verachtung behandelte. „Sekt haben wir schon“, sagte sie, „und ich trinke ihn auch gerne. Ich mache Sie aber darauf aufmerksam, dass ich mich weder betrinken werde, noch wegen einer Flasche Sekt ins Bett bringen lasse.“
Jetzt sah sie mich wieder an, mit einem vollen schamlosen Blick begleitete sie ihre schamlosen Worte. Ich musste meine Rolle weiterspielen: „Wer denkt an so etwas, meine Hübsche?“ rief ich unbekümmert. „Holen Sie sich Ihren Sekt. Sie sollen ihn unbelästigt in meiner Gegenwart austrinken dürfen. Sie sind“, sagte ich stärker, nachdem ich wieder getrunken hatte, „für mich wie ein Engel von einem anderen Stern, ein böser Engel, den mir mein Schicksal in den Weg gesandt hat. Es genügt mir, Sie anzusehen.“
„Anschauen kostet nichts“, sagte sie mit einem kurzen Auflachen, das böse klang, „Sie sind mir ein seltsamer Heiliger, aber ich denke, ich erfahre noch heute Abend, warum Sie so – aufgeregt sind.“
Damit schenkte sie mir wieder ein und stand auf, den Sekt zu holen. Diesmal blieb sie länger fort. Sie zog die Vorhänge vor die Fenster, dann ging sie aus dem Hause, und ich hörte sie die Läden, dann die Haustür schließen. Während sie wieder durch die Gaststube ging, sagte sie im Vorübergehen zu mir: „Ich habe schon geschlossen, es kommt doch keiner mehr. Und die Wirtsleute liegen auch schon im Bett.“ Dies sagte sie im Vorübergehen, blieb dann stehen und sagte mit spöttischer Betonung: „Aber deswegen brauchen Sie sich keine Hoffnungen zu machen!“ Ehe ich noch antworten konnte, war sie wieder gegangen. Ich benützte die Zeit ihrer Abwesenheit, mir ganz schnell zwei, drei Gläser hintereinander aus der Flasche einzuschenken. Dann kam sie zurück, mit einer goldgeköpften Flasche in der Hand.
Sie stellte ein Spitzglas vor sich auf den Tisch, löste den Draht geschickt mit einigen Biegungen und drehte den Korken aus der Flasche, ohne es knallen zu lassen. Der weiße Schaum troff über den Rand, sie goss rasch ein, wartete einen Augenblick und goss wieder ein. Dann hob sie das Glas zum Mund.
„Ich trinke nicht auf Ihr Wohl“, sagte sie, „denn dann möchten Sie mit mir anstoßen, und für den Augenblick haben Sie genug getrunken.“
Ich widersprach ihr nicht. Mein ganzer Körper war tatsächlich so von Trunkenheit erfüllt, dass sie wie ein schwärmendes Bienenvolk in ihm zu summen schien: keine Stelle war frei von ihr. Sie setzte das Glas ab, sah mich mit eingekniffenen Augen an und fragte spöttisch: „Nun, wie viele Schnäpse haben Sie sich in meiner Abwesenheit eingeschenkt? Fünf? Sechs?“
„Nur drei!“ antwortete ich und lachte. Ich kam überhaupt nicht auf die Idee, mich zu schämen, vor diesem Mädchen vergingen einem solche Gefühle vollständig.
„Wie heißt du übrigens?“
„Willst du öfter kommen?“ fragte sie dagegen.
„Vielleicht“, antwortete ich etwas verwirrt. „Wieso –?“
„Wozu willst du sonst meinen Namen wissen? Für die halbe Stunde, die wir hier noch sitzen, reicht ‚kleine Hübsche’ oder wie du sonst sagst, vollkommen ...“
„Also sag deinen Namen nicht“, rief ich, plötzlich gereizt.
„Wie egal mir das ist!“
Ich griff zur Flasche und schenkte mir wieder ein. Schon jetzt war mir klar, dass ich völlig betrunken war und dass ich nicht mehr weitertrinken durfte. Dennoch blieb der Hang weiterzutrinken stärker. Das farbige Gespinst in meinem Hirn verlockte mich, die nie betretenen dunklen Dickichte in meinem Innern reizten meinen Fuß; ferne rief leise nach mir eine Stimme, ich wusste nicht was, jedenfalls Lockung ...
„Ich weiß nicht, ob ich öfter hierherkommen werde“, sagte ich hastig. „Ich kann dich nicht ausstehen, ich hasse dich, und trotzdem bin ich heute Abend zu dir zurückgekehrt. Heute früh habe ich den ersten Schnaps meines Lebens getrunken, du hast ihn mir eingeschenkt, du hast dich mit ihm eingeschlichen in mein Blut, vergiftet hast du mich! Du bist wie der Geist des Schnapses: schwebend, trunken machend, feil ...“
Ich sah sie an, atemlos, selbst am meisten überrascht von diesen Worten, die aus mir sich hinausschleuderten, ich wusste nicht woher ... Sie saß mir gegenüber. Ihre Näherei hatte sie nicht wieder aufgenommen. Die Beine ohne Strümpfe in roten Schuhen hatte sie übergeschlagen, und den Rock ein wenig von den Knien zurückgeschoben. Die Beine waren etwas derb, aber lang und schön gefesselt. An der rechten Wade sah ich ein fast pfenniggroßes, braunes Muttermal – das schien mir schön. In der Hand hielt sie eine Zigarette, sie blies den Rauch breit durch die fast geschlossenen Lippen, ohne Zwinkern sah sie mich an.
„Nur weiter, Väterchen“, sagte sie, „du entwickelst dich ... nur weiter ...“
Ich versuchte nachzudenken. Wovon hatte ich eben noch geredet? Das Verlangen, sie zu umarmen, sie zu betasten, wurde fast übermächtig in mir. Aber ich lehnte mich fest in meinen Korbsessel zurück, ich klammerte mich mit meinen Händen an die Lehne. Plötzlich hörte ich mich dann wieder sprechen. Ich sprach ganz langsam und sehr deutlich, und doch war ich atemlos vor Erregung. „Ich bin ein Kaufmann“, hörte ich mich sagen. „Ich hatte ein recht gutes Geschäft, aber jetzt stehe ich vor dem Bankrott. Sie werden mich auslachen, alle, alle, meine Frau zuerst ... Ich habe viele Fehler gemacht, Magda wird sie mir alle vorhalten. Du weißt doch, Magda ist meine Frau ...?“
Sie sah mich unverwandt an, mit ihrem sehr weißen, wie gepuderten Gesicht, das etwas Gedunsenes hatte; hoch und gewölbt standen in ihm über den fast farblosen Augen die dunklen Brauen.
„Aber ich kann noch Geld herausziehen, aus dem Geschäft, ein paar tausend Mark. Ich täte es schon, um Magda zu ärgern. Magda will das Geschäft retten. Ist sie mehr als ich? Ich könnte das Geschäft verkaufen, ich weiß auch schon an wen, es ist eine ganz junge Firma. Er würde mir zehn-, vielleicht auch zwölftausend Mark dafür geben, wir würden auf Reisen gehen ... Warst du schon einmal in Paris?“
Sie sah mich an, keine Zustimmung oder Verneinung war auf ihrem Gesicht zu lesen. Ich redete weiter, schneller, atemloser. „Ich war auch noch nicht dort“, fuhr ich fort, „aber ich habe davon gelesen. Es ist die Stadt der baumbestandenen Boulevards, der weiten Plätze, der laubigen Parks ... Als Junge habe ich ein bisschen Französisch gelernt, aber ich kam zu früh von der Schule, die Eltern hatten nicht Geld genug. Weißt du, was das heißt: ‚Donnez-moi un baiser, mademoiselle’?“
Kein Zeichen von ihr, nicht ja, nicht nein.
„Es heißt: ‚Geben Sie mir einen Kuss, mein Fräulein.’ Aber zu dir müsste man sagen: Donnez-moi un baiser, ma reine! Reine, das heißt Königin, und du bist die Königin meines Herzens, du bist die Königin des Giftes, das in Flaschen verkorkt wird, gib mir deine Hand, Elsabe – ich werde dich Elsabe nennen, Königin – ich will deine Hand küssen ...“
Sie goss mir das Glas voll.
„Da, trink das noch, und dann gehst du nach Hause. Genug – du hast genug getrunken, und ich habe genug von dir. Du kannst die Flasche Korn mitnehmen, du musst die ganze Flasche bezahlen, zum Gaststubenpreis. Das ist kein Nepp, komm mir morgen nicht, dass ich dich geneppt habe; du hast dir selber eingeschenkt, ich weiß nicht, wie viel ...“
„Rede nicht, Elsabe“, sagte ich prahlerisch-weinerlich. „Nie würde ich so etwas tun! Was ist Geld –!“