Professor Bernhardi. Arthur Schnitzler
Mann von 28 Jahren, mit energischen, klugen Zügen. Der Mesner, der an der Türe stehen bleibt. Hochroitzpointner, Kurt, Adler, Cyprian.
ADLER beflissen. Habe die Ehre, Hochwürden.
PFARRER. Guten Tag, meine Herren. Ich komme hoffentlich noch nicht zu spät.
KURT. Nein, Hochwürden. Der Herr Professor ist gerade bei der Kranken. Er stellt sich vor. Assistent Dr. Pflugfelder.
PFARRER. Die Hoffnung ist also noch nicht ganz aufgegeben?
OSKAR kommt aus dem Krankenzimmer. Guten Tag, Hochwürden.
KURT. Doch, Hochwürden, es ist ein völlig hoffnungsloser Fall.
OSKAR. Bitte, wollen Hochwürden –
PFARRER. Ich will vielleicht so lange warten, bis der Herr Professor die Kranke verlassen hat.
Der Mesner tritt zurück, die Türe schließt sich.
HOCHROITZPOINTNER rückt dem Pfarrer einen Sessel hin.
PFARRER. Danke, danke.
Er setzt sich zuerst nicht.
CYPRIAN. Ja, Hochwürden, wenn wir nur zu den Kranken gingen, wo wir noch helfen können. Manchmal können wir auch nichts Besseres tun als trösten.
KURT. Und lügen.
PFARRER setzt sich. Sie gebrauchen da ein etwas hartes Wort, Herr Doktor.
KURT. Verzeihung, Hochwürden, das bezog sich natürlich nur auf uns Ärzte. Übrigens ist gerade das manchmal der schwerste und edelste Teil unseres Berufes.
Bernhardi wird an der Türe sichtbar, der Pfarrer erhebt sich.
Hochroitzpointner, Adler, Kurt, Cyprian, Oskar, Pfarrer, Bernhardi. Nach Bernhardi kommt die Schwester aus dem Krankenzimmer.
BERNHARDI etwas befremdet. Oh, Hochwürden.
PFARRER. Wir lösen einander ab, Herr Professor. Er reicht ihm die Hand. Ich finde die Kranke wohl noch bei Bewußtsein?
BERNHARDI. Ja. Man könnte sogar sagen, bei gesteigertem Bewußtsein. Mehr zu den andern. Es ist absolute Euphorie bei ihr eingetreten. Wie erklärend zum Pfarrer. Sie befindet sich sozusagen wohl.
PFARRER. Nun, das ist ja sehr schön. Wer weiß! – Erst neulich hatte ich wieder die Freude, einem jungen Mann, der ein paar Wochen vorher schon völlig auf den Tod gefaßt von mir die letzte Ölung empfangen hatte, gesund auf der Straße zu begegnen.
ADLER. Und wer weiß, ob es nicht gerade Hochwürden waren, der ihm die Kraft, den Mut zum Leben wiedergegeben haben.
BERNHARDI zu Adler. Hochwürden hat mich ja mißverstanden, Herr Doktor. Zum Pfarrer. Ich meinte nämlich, daß die Kranke völlig ahnungslos ist. Sie ist verloren, aber sie glaubt sich genesen.
PFARRER. Wahrhaftig.
BERNHARDI. Und es ist fast zu besorgen, daß Ihr Erscheinen, Hochwürden –
PFARRER ganz mild. Fürchten Sie nichts für Ihre Kranke, Herr Professor. Ich komme nicht, um ein Todesurteil auszusprechen.
BERNHARDI. Natürlich, aber trotzdem –
PFARRER. Man könnte die Kranke vielleicht vorbereiten.
SCHWESTER von Bernhardi nicht bemerkt, begibt sich auf einen kaum merklichen Augenwink des Pfarrers in das Krankenzimmer.
BERNHARDI. Das würde ja die Sache nicht bessern. Wie ich schon bemerkte, Hochwürden, die Kranke ist völlig ahnungslos. Und sie erwartet alles andere eher als diesen Besuch. Sie ist vielmehr in dem glücklichen Wahn befangen, daß in der nächsten Stunde jemand, der ihr nahe steht, erscheinen wird, um sie abzuholen, und sie wieder mit sich zu nehmen, – ins Leben und ins Glück. Ich glaube, Hochwürden, es wäre kein gutes, fast möchte ich zu behaupten wagen, kein gottgefälliges Werk, wenn wir sie aus diesem letzten Traum erwecken wollten.
PFARRER nach kleinem Zögern bestimmter. Ist eine Möglichkeit vorhanden, Herr Professor, daß mein Erscheinen den Verlauf der Krankheit in ungünstiger Weise –
BERNHARDI rasch einfallend. Es wäre nicht unmöglich, daß das Ende beschleunigt wird, vielleicht nur um Minuten, aber immerhin –
PFARRER lebhafter. Nochmals: Ist Ihre Kranke noch zu retten? Bedeutet mein Erscheinen in diesem Sinne eine Gefahr? Dann wäre ich natürlich sofort bereit, mich zurückzuziehen.
ADLER nickt beifällig.
BERNHARDI. Sie ist rettungslos verloren, darüber kann kein Zweifel sein.
PFARRER. Dann, Herr Professor, sehe ich durchaus keinen Grund –
BERNHARDI. Entschuldigen Sie, Hochwürden, ich bin vorläufig hier noch in ärztlicher Funktion anwesend. Und zu meinen Pflichten gehört es, wenn nichts anderes mehr in meinen Kräften steht, meinen Kranken, wenigstens soweit als möglich, ein glückliches Sterben zu verschaffen.
CYPRIAN zeigt leichte Ungeduld und Mißbilligung.
PFARRER. Ein glückliches Sterben. – Es ist wahrscheinlich, Herr Professor, daß wir darunter verschiedene Dinge verstehen. Und nach dem, was mir die Schwester mitteilte, bedarf Ihre Kranke der Absolution dringender als manche andere.
BERNHARDI mit seinem ironischen Lächeln. Sind wir nicht allzumal Sünder, Hochwürden?
PFARRER. Das gehört wohl nicht hierher, Herr Professor. Sie können nicht wissen, ob nicht irgendwo in der Tiefe ihrer Seele, die Gott allein sieht, gerade in diesen letzten Augenblicken, die ihr noch vergönnt sind, die Sehnsucht wach ist, durch eine letzte Beichte aller Sünden sich zu entlasten.
BERNHARDI. Muß ich es nochmals wiederholen, Hochwürden? Die Kranke weiß nicht, daß sie verloren ist. Sie ist heiter, glücklich und – reuelos.
PFARRER. Eine um so schwerere Schuld nähme ich auf mich, wenn ich von dieser Schwelle wiche, ohne der Sterbenden die Tröstungen unserer heiligen Religion verabreicht zu haben.
BERNHARDI. Von dieser Schuld, Hochwürden, wird Sie Gott und jeder irdische Richter freisprechen. Auf seine Bewegung. Jawohl, Hochwürden. Denn ich als Arzt darf Ihnen nicht gestatten, an das Bett dieser Kranken zu treten.
PFARRER. Ich wurde hierher berufen. Ich muß also bitten –
BERNHARDI. Nicht in meinem Auftrag, Hochwürden. Und ich kann nur wiederholen, daß ich Ihnen als Arzt, dem das Wohl seiner Kranken bis zur letzten Stunde anvertraut bleibt, das Überschreiten dieser Schwelle leider verbieten muß.
PFARRER vortretend. Sie verbieten es mir?
BERNHARDI leicht seine Schulter berührend. Ja, Hochwürden.
SCHWESTER eilend aus dem Krankenzimmer. Hochwürden
BERNHARDI. Sie waren drin?
SCHWESTER. Es wird zu spät, Hochwürden.
KURT rasch ins Krankenzimmer.
BERNHARDI zur Schwester. Sie haben der Kranken gesagt, daß Seine Hochwürden da sind?
SCHWESTER. Ja, Herr Direktor.
BERNHARDI. So. Und – antworten Sie mir ganz ruhig – wie hat sich die Kranke dazu verhalten? Hat sie irgend etwas geäußert? Sprechen Sie. Nun?
SCHWESTER. Sie hat gesagt –
BERNHARDI. Nun?
SCHWESTER. Sie ist halt ein bissel erschrocken.
BERNHARDI nicht böse. Nun, so sprechen Sie doch, was hat sie gesagt?
SCHWESTER. Muß ich denn wirklich sterben?
KURT aus dem Krankenzimmer. Es ist vorbei.
Kleine Pause.
BERNHARDI. Erschrecken Sie nicht, Hochwürden. Ihre Schuld ist es nicht. Sie wollten nur Ihre Pflicht erfüllen. Ich wollte es auch. Daß es mir nicht geglückt ist, tut mir leid genug.
PFARRER.