Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert

Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert


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mit mürrischer Miene betrachtet hatte, sagte sie: »Nein, dir trau’ ich nicht, mein Lieber!« und kehrte ihm den Rücken.

      Er versuchte es von neuem bei einer vollen Braunen, die offenbar verrückt war, denn sie prallte beim ersten Wort zurück und drohte die Polizei zu holen, wenn er sie weiter belästigte. Deslauriers zwang sich zu lachen; dann forderte er ein junges Mädchen, das er abseits unter einer Gaslaterne sitzen sah, zu einem Kontretanz auf.

      Die auf der Estrade wie Affen hockenden Musikanten kratzten und bliesen ungestüm. Der Dirigent schlug stehend in automatenhafter Weise den Takt. Man drängte, amüsierte sich; aufgeknüpfte Hutbänder streiften die Krawatten; Stiefel verirrten sich unter die Röcke; alle hüpften im Takt. Deslauriers drückte das junge Mädchen an sich und bewegte sich, von dem Delirium des Cancans angesteckt, bei der Quadrille wie eine große Marionette. Cisy und Dussardier setzten ihre Promenade fort; der junge Aristokrat lorgnettierte die Mädchen, wagte aber trotz Dussardiers Ermahnungen nicht, sie anzusprechen, da er sich einbildete, daß diese Frauen immer »einen Mann mit einer Pistole bei sich im Schrank verborgen halten, der daraus hervorkommt, um einen zur Unterschrift von Wechseln zu zwingen«.

      Sie gingen zu Frédéric zurück; Deslauriers wollte nicht mehr tanzen und alle fragten sich, wie sie den Abend beschließen sollten, als Hussonnet ausrief:

      »Seht! die Marquise d’Amaëgui!«

      Es war eine blasse Frau mit Stülpnase, bis zum Ellbogen reichenden Halbhandschuhen und langen, schwarzen Locken, die zu beiden Seiten der Wangen wie zwei Pudelohren herabhingen. Hussonnet sagte zu ihr:

      »Wir möchten ein kleines Fest bei dir veranstalten, einen orientalischen Rout. Versuche, einige deiner Freundinnen für diese französischen Kavaliere aufzutreiben. Nun, was hält dich davon ab? Erwartest du deinen Hidalgo?«

      Die Andalusierin senkte den Kopf, da sie die ein wenig verschwenderischen Gewohnheiten ihres Freundes kannte und fürchtete, für die Bewirtung aufkommen zu müssen. Bei dem von ihr hingeworfenen Worte Geld bot de Cisy endlich fünf Napoleons, seine ganze Börse, an; die Sache war geordnet. Aber Frédéric war nicht mehr da.

      Er hatte geglaubt, die Stimme Arnoux’ zu erkennen, hatte einen Frauenhut bemerkt und war schnell in das Bosket nebenbei eingetreten.

      Mademoiselle Vatnaz befand sich allein mit Arnoux.

      »Verzeihung! Ich störe wohl?«

      »Nicht im allergeringsten!« erwiderte der Kaufmann.

      Bei den ersten Worten ihrer Unterhaltung begriff Frédéric, daß er in die Alhambra geeilt war, um mit Mademoiselle Vatnaz eine dringende Sache zu besprechen; und Arnoux war offenbar noch nicht ganz beruhigt, denn er sagte mit besorgter Miene zu ihr:

      »Sie sind ganz sicher?«

      »Ganz sicher! Sie werden geliebt! Ach! welch ein glücklicher Mann!«

      Und sie schnitt ihm, ihre vollen, fast blutroten Lippen vorschiebend, ein Gesicht. Aber sie hatte wundervolle, malvenfarbige Augen mit einem Goldpunkt in den Pupillen, voll Geist, Liebe und Sinnlichkeit. Sie erhellten den etwas gelben Teint ihres mageren Gesichts wie eine Flamme. Arnoux schien Gefallen an ihren Mätzchen zu finden.

      »Sie sind nett, geben Sie mir einen Kuß.«

      Sie nahm ihn bei beiden Ohren und küßte ihn auf die Stirn.

      In diesem Augenblick hörte der Tanz auf; und auf dem Platz des Dirigenten erschien fett und wachsbleich ein schöner junger Mann. Er trug langes, nach Christusmanier geordnetes, schwarzes Haar, eine Weste von azurblauem Samt mit goldenen Palmen und sah stolz wie ein Pfau und dumm wie ein Truthahn aus. Als er das Publikum begrüßt hatte, stimmte er ein Lied an, das von einem Dörfler handelte, der seine Reise in die Hauptstadt beschreibt; der Künstler sprach das Platt der Normandie und spielte den Betrunkenen; der Refrain:

       Ah! j’ai t’y ri, j’ai t’y ri, dans ce gueusard de Paris!

      rief einen Sturm der Begeisterung hervor, und der Charaktersänger Delmas war zu schlau, sie abkühlen zu lassen. Man reichte ihm schnell eine Guitarre, und er säuselte eine Romanze mit dem Titel »der Bruder des Albanesen«. Die Worte erinnerten Frédéric an das Lied, das der zerlumpte Mensch auf dem Dampfboot gesungen hatte. Unwillkürlich hefteten seine Augen sich auf den Saum des Kleides, das vor ihm ausgebreitet lag. Nach jeder Strophe kam eine lange Pause, – und das Rauschen des Windes in den Bäumen glich dem Geräusch der Wellen.

      Indem sie Zweige eines Ligusterbusches auseinanderbog, die ihr die Aussicht auf die Estrade verdeckten, betrachtete Mademoiselle Vatnaz mit geblähten Nasenflügeln und zusammengezogenen Brauen unverwandt den Sänger, wie verloren in aufrichtiger Freude.

      »Jetzt begreife ich, warum Sie heute abend in der Alhambra sind!« sagte Arnoux. »Delmas gefällt Ihnen, meine Liebe.«

      Sie wollte es nicht eingestehen.

      »Mein Gott! welche Scheu!«

      Und auf Frédéric weisend:

      »Ist es seinetwegen? Da tun Sie unrecht. Es gibt keinen diskreteren jungen Mann!«

      Ihren Freund zu suchen, kamen die anderen in den Gartensaal. Hussonnet stellte sie vor. Arnoux reichte Zigarren herum und bewirtete die Gesellschaft mit Sorbet.

      Mademoiselle Vatnaz war errötet, als sie Dussardier bemerkte. Sie erhob sich sogleich, reichte ihm die Hand und sagte:

      »Sie erinnern sich meiner nicht, Monsieur Auguste?«

      »Woher kennen Sie sie?« fragte Frédéric.

      »Wir arbeiteten zusammen in demselben Hause!« erwiderte er.

      Cisy zupfte ihn am Ärmel und sie gingen; kaum waren sie verschwunden, als Mademoiselle Vatnaz eine Lobrede auf Dussardiers Charakter begann. Sie fügte sogar hinzu, daß er das Genie des Herzens habe.

      Darauf wurde von Delmas gesprochen, der als Schauspieler Erfolg auf der Bühne haben könnte; und so entspann sich eine Diskussion, in die Shakespeare, die Zensur, der Stil, das Volk, die Einnahmen von Porte-Saint-Martin, Alexandre Dumas, Victor Hugo und Dumersan hineingezogen wurden.

      Arnoux hatte mehrere berühmte Schauspielerinnen gekannt, und die jungen Leute neigten sich vor, um ihm zuzuhören. Aber seine Worte wurden von den Musikern erstickt; und sobald die Quadrille oder Polka beendet war, ließen sich alle an Tischen nieder, lachten und riefen nach dem Kellner. Im Gebüsch hörte man Flaschen mit Bier und Brauselimonade knallen. Frauen kreischten wie Hühner; ein paarmal wollten zwei Herren sich schlagen; ein Dieb wurde verhaftet.

      Im Galopp stürmten die Tänzer durch die Alleen. Keuchend, lächelnd, mit roten Gesichtern, zogen sie in einem Wirbel vorüber, daß die Kleider und die Rockschöße flogen. Die Posaunen dröhnten stärker; der Tanz wurde immer wilder; hinter dem mittelalterlichen Kloster hörte man es prasseln; Petarden zersprangen, Sonnen drehten sich; der Schein von smaragdgrünem bengalischen Licht erhellte für eine Minute den ganzen Garten; – und bei der letzten Rakete stieg ein tiefes Seufzen aus der Menge auf.

      Sie verlief sich langsam. Eine Wolke von Pulver schwebte in der Luft. Frédéric und Deslauriers gingen Schritt vor Schritt mitten durch das Gedränge, als sie plötzlich auf Martinon stießen. Er ließ sich an der Ausgabestelle der Regenschirme Geld wechseln und begleitete darauf eine häßliche Frau in den Fünfzigern, die prachtvoll gekleidet war und von problematischem sozialen Rang zu sein schien.

      »Dieser Schelm«, sagte Deslauriers, »ist nicht so schüchtern, wie man annimmt. Aber wo ist denn de Cisy?«

      Dussardier zeigte auf das Rauchzimmer, wo sie den Abkömmling tapferer Ritter vor einem Punschglas in Gesellschaft eines rosa Hutes erblickten.

      Hussonnet, der für fünf Minuten fortgegangen war, erschien im selben Augenblick.

      Ein junges Mädchen stützte sich auf seinen Arm, indem es ihn ganz laut »mein Kätzchen« nannte.

      »Nicht doch!« sagte er zu ihr. »Nicht öffentlich! Nenne mich lieber Vicomte! Dabei denkt man an einen Kavalier aus der Zeit Ludwigs XIII. und an Jagdstiefel, die


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