Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert

Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert


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zum Diner ging.

      Eines Abends, als er sie eben von seinem Balkon oben hatte fortgehen sehen, gewahrte er Hussonnet von weitem auf dem Pont d’Arcole. Der Bohémien machte ihm Zeichen, herunterzukommen, und als Frédéric seine fünf Stockwerke herabkam, sagte er:

      »Die Sache ist nämlich die! Am nächsten Samstag, dem 24., ist der Namenstag von Madame Arnoux.«

      »Aber sie heißt doch Marie?«

      »Auch Angèle, was tut das übrigens? Er wird in ihrem Landhaus in Saint-Cloud gefeiert; ich bin beauftragt, Sie davon zu benachrichtigen. Sie finden um drei Uhr ein Fuhrwerk vor der Redaktion! Also abgemacht! Verzeihung, daß ich Sie herunter bemüht habe. Aber ich habe so viele Gänge!«

      Kaum hatte Frédéric sich umgewandt, als der Portier ihm einen Brief übergab:

      »Monsieur und Madame Dambreuse geben sich die Ehre, Monsieur F. Moreau am Sonnabend, den 24. zum Diner einzuladen. – U.A.w.g.«

      »Zu spät,« dachte er.

      Nichtsdestoweniger zeigte er Deslauriers den Brief.

      »Ah! endlich!« rief dieser aus. »Aber du scheinst nicht zufrieden zu sein. Warum?«

      Etwas zögernd sagte Frédéric, daß er für denselben Tag eine andere Einladung habe.

      »Tu mir den Gefallen und bleib mir mit der Rue Choiseul vom Halse! Keine Dummheiten! Ich werde für dich antworten, wenn es dir unangenehm ist.«

      Und der Schreiber schrieb in der dritten Person eine Zusage.

      Da er die Welt nie anders als durch das Fieber seiner Begierden gesehen hatte, stellte er sie sich wie eine künstliche Schöpfung vor, die auf Grund mathematischer Gesetze funktionierte. Eine Einladung zum Diner, die Begegnung mit einem Staatsbeamten, das Lächeln einer hübschen Frau konnte durch eine Reihe aufeinander folgender Handlungen gigantische Folgen haben. Gewisse Pariser Salons waren für ihn wie Maschinen, die den Stoff im Rohzustand aufnehmen und ihn hundertfältig an Wert wiedergeben. Er glaubte an Kourtisanen, die Diplomaten beeinflussen, an reiche Heiraten, die durch Intriguen zustande kommen, an das Genie von Galeerensklaven, die Gefügigkeit des Schicksals unter starken Händen. Kurz, er hielt den Umgang mit den Dambreuses für so nützlich und sprach so gut, daß Frédéric nicht mehr wußte, wozu er sich entschließen sollte.

      Da es der Namenstag von Madame Arnoux war, konnte er nicht unterlassen, ihr ein Geschenk zu machen; er dachte natürlich an einen Sonnenschirm, um seine Ungeschicklichkeit wieder gut zu machen. Er entdeckte auch einen Knick-Schirm von taubengrauer Seide mit einem kleinen chinesischen Griff von geschnitztem Elfenbein. Aber er kostete fünfundsiebzig Francs, und er hatte nicht einen Sou, lebte schon auf Kredit des nächsten Quartals. Allein er wollte ihn haben, ihm lag daran, und wenn auch widerwillig nahm er seine Zuflucht zu Deslauriers.

      Deslauriers erwiderte ihm, daß er kein Geld habe.

      »Aber ich brauche es,« sagte Frédéric, »brauche es sehr notwendig!«

      Als der andere dieselbe Entschuldigung mehrmals wiederholt hatte, wurde er hitzig:

      »Du könntest wohl bisweilen…«

      »Was denn?«

      »Nichts!«

      Der Schreiber hatte verstanden. Er nahm von seinen Ersparnissen die gewünschte Summe und sagte, als er Stück für Stück hinlegte:

      »Ich verlange keine Quittung von dir, da ich auf deine Kosten lebe!«

      Frédéric warf sich ihm mit tausend zärtlichen Einwendungen in die Arme, aber Deslauriers blieb kalt. Dann, als er am nächsten Morgen den Schirm auf dem Piano bemerkte, sagte er:

      »Ach so! Also war es dafür!«

      »Ich schicke ihn vielleicht hin,« sagte Frédéric feige.

      Der Zufall half ihm, denn er erhielt abends einen schwarz geränderten Brief, in dem Madame Dambreuse ihm den Verlust eines Oheims anzeigte und sich entschuldigte, das Vergnügen, seine Bekanntschaft zu machen, auf später hinausschieben zu müssen.

      Er kam gegen zwei Uhr in das Bureau der Redaktion. Anstatt ihn zu erwarten, um ihn in seinem Wagen mitzunehmen, war Arnoux, der dem Bedürfnis nach frischer Luft nicht widerstehen konnte, schon am Tage vorher hinausgefahren.

      Jedes Jahr im ersten Grün brach er, mehrere Tage hintereinander, morgens auf, machte weite Wege durch die Felder, trank auf den Pachthöfen Milch, tändelte mit den Bäuerinnen, erkundigte sich nach den Ernten und brachte in seinem Taschentuch Salatköpfe mit nach Haus. Schließlich hatte er sich, um einen alten Traum zu verwirklichen, ein Landhaus gekauft.

      Während Frédéric mit dem Kommis sprach, kam Mademoiselle Vatnaz dazu und war enttäuscht, Arnoux nicht zu treffen. Er würde vielleicht noch zwei Tage fortbleiben. Der Kommis riet ihr, »dorthin« zu fahren, aber sie konnte nicht; oder einen Brief zu schreiben; doch sie hatte Furcht, der Brief könne verloren gehen. Frédéric bot sich an, ihn selbst mitzunehmen. Sie schrieb ihn schnell und beschwor Frédéric, ihn ohne Zeugen abzugeben.

      Vierzig Minuten später landete er in Saint-Cloud.

      Das Haus lag hundert Schritt hinter der Brücke, auf halber Höhe des Hügels. Die Gartenmauern waren durch zwei Reihen Linden verdeckt, und ein breiter Grasplatz führte bis zum Ufer des Flusses hinunter. Die Gittertür stand offen, Frédéric trat ein.

      Arnoux spielte auf dem Rasen ausgestreckt mit einem Wurf kleiner Kätzchen. Diese Zerstreuung schien ihn unendlich zu fesseln. Der Brief von Mademoiselle Vatnaz riß ihn aus seiner Versunkenheit.

      »Zum Teufel! den Teufel auch! das ist fatal! Ja, sie hat recht. Ich muß zurück!«

      Dann, nachdem er das Schreiben in seine Tasche geschoben hatte, machte er sich das Vergnügen, sein Besitztum zu zeigen. Er zeigte alles, den Stall, den Wagenschuppen, die Küche. Der Salon lag rechts und ging auf der Seite von Paris auf einen von Klematis überrankten Gitter-Vorbau. Von oben, über ihrem Kopfe ertönte ein Triller: Madame Arnoux, die sich allein glaubte, vertrieb sich die Zeit mit Singen. Sie sang Tonleitern, Koloraturen, Glissandi. Lange Töne schienen sich schwebend zu halten, andere fielen, sich überstürzend, wie Tropfen einer Kaskade, und ihre Stimme drang durch die Jalousie, unterbrach die tiefe Stille und stieg zum blauen Himmel empor.

      Als Monsieur und Madame Oudry, zwei Nachbarn, sich einfanden, hörte sie plötzlich auf.

      Darauf erschien sie oben auf der Freitreppe, und als sie die Stufen hinabschritt, sah er ihren Fuß. Sie trug kleine, niedrige Schuhe aus goldkäferfarbigem Leder mit drei Querspangen, die ein Goldgitterwerk auf ihre Strümpfe zeichneten.

      Die Geladenen langten an. Außer Monsieur Lefaucheur, dem Advokaten, waren es die Donnerstag-Gäste. Jeder hatte ein Geschenk mitgebracht. Dittmer eine syrische Schärpe, Rosenwald ein Romanzen-Album, Burrieu ein Aquarell, Sombaz seine eigene Karikatur und Pellerin eine Kohlezeichnung, die eine Art Totentanz darstellte, eine schauderhafte Phantasie in mittelmäßiger Ausführung. Hussonnet hatte kein Geschenk für sie.

      Frédéric wartete, um das seine zuletzt anzubieten.

      Sie dankte ihm erfreut darüber. Darauf sagte er:

      »Aber… es ist fast eine Schuld! Ich war so ärgerlich.«

      »Worüber denn?« fragte sie. »Ich verstehe nicht!«

      »Zu Tisch!« rief Arnoux, ihn beim Arm fassend, wobei er ihm ins Ohr flüsterte: »Sie sind sehr boshaft!«

      Nichts konnte hübscher sein als der Speisesaal, der in seegrüner Farbe gehalten war. An dem einen Ende tauchte eine Nymphe ihre Zehe in ein muschelförmiges Bassin. Durch die geöffneten Fenster sah man den ganzen Garten und den langen Rasenplatz mit einer alten, zum größten Teil kahlen schottischen Kiefer daneben und von ungleichen Blumenbeeten unterbrochen. Und drüben, jenseits des Flusses, dehnte sich in einem weiten Halbkreis das Bois de Boulogne, Neuilly, Sèvres, Meudon. Gegenüber vor dem Gitter lavierte ein Segelboot.

      Man sprach zuerst von der Aussicht, die man hier hatte, darauf von der Landschaft im


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