Die Dämonen. Fjodor Dostojewski
Petrowna und folglich auch zu Stepan Trofimowitsch begonnen. Wenigstens hatte er bereits mehrere unangenehme, wiewohl wertvolle Beobachtungen gemacht und war, wie es schien, so allein, ohne Warwara Petrowna, sehr ängstlich geworden. In großer Aufregung argwöhnte er, daß er dem neuen Gouverneur schon als ein gefährlicher Mensch denunziert sei. Er hatte als sicher erfahren, daß mehrere unserer Damen ihre Besuche bei Warwara Petrowna einzustellen beabsichtigten. Über die künftige Frau Gouverneur (die bei uns erst zum Herbst erwartet wurde) hieß es allgemein, sie sei zwar dem Vernehmen nach sehr stolz, aber dafür eine echte Aristokratin, »eine ganz andere Sorte als unsere unglückliche Warwara Petrowna.« Allen war es irgendwoher mit Einzelheiten glaubwürdig bekannt, daß die neue Frau Gouverneur und Warwara Petrowna schon früher einmal in der Gesellschaft einander begegnet, aber als Feindinnen voneinander geschieden seien, so daß schon die bloße Erwähnung des Namens der Frau v. Lembke auf Warwara Petrowna einen peinlichen Eindruck machen werde. Aber Warwara Petrownas mutige, siegesbewußte Miene und der geringschätzige Gleichmut, mit dem sie die Mitteilungen über die Meinungen unserer Damen und über die Aufregung der Gesellschaft anhörte, belebten die gesunkenen Lebensgeister des furchtsamen Stepan Trofimowitsch von neuem und machten ihn in einem Augenblicke wieder heiter. Mit freudiger Dienstwilligkeit und besonderem Humor begann er ihr von der Ankunft des neuen Gouverneurs zu erzählen.
»Es ist Ihnen, excellente amie, ohne Zweifel bekannt,« sagte er, indem er die Worte in gezierter, stutzerhafter Weise in die Länge zog, »was ein russischer Verwaltungsbeamter allgemein gesagt und insbesondere ein neuer, das heißt neugebackener, neuernannter russischer Verwaltungsbeamter zu bedeuten hat. Aber Sie haben wohl kaum bisher aus eigener Erfahrung kennen gelernt, was es mit dem Beamtenkoller auf sich hat, und was das eigentlich für ein Ding ist?«
»Beamtenkoller? Nein, ich weiß nicht, was das ist.«
»Das ist ... Vous savez, chez nous ... En un mot, man stelle einen ganz wertlosen Menschen als Verkäufer von elenden Eisenbahnbilletten an, und dieser wertlose Mensch wird sich sogleich für berechtigt halten, auf Sie wie ein Jupiter herabzusehen, wenn Sie ein Billett lösen wollen, pour vous montrer son pouvoir. ›Warte,‹ denkt er, ›ich werde dir mal meine Macht zeigen!‹ Und so kommt es bei diesen Leuten zum Beamtenkoller. En un mot, da habe ich neulich gelesen, daß im Ausland in einer unserer Kirchen ein Küster (mais c'est très curieux) unmittelbar vor dem Beginn des Fastengottesdienstes (vous savez ces chants et le livre de Iob) eine vornehme englische Familie, les dames charmantes, aus der Kirche hinausgejagt hat, das heißt buchstäblich hinausgejagt, einzig und allein mit der Begründung, es passe sich nicht, daß sich Fremde in den russischen Kirchen umhertrieben; sie sollten zu der dafür angesetzten Zeit kommen. Die Damen fielen beinah in Ohnmacht. Dieser Küster hatte einen Anfall von Beamtenkoller, et il a montré son pouvoir ...«
»Fassen Sie sich kurz, Stepan Trofimowitsch, wenn es Ihnen möglich ist!«
»Herr v. Lembke hat also jetzt das Gouvernement bereist. En un mot, dieser Andrei Antonowitsch ist zwar ein Deutschrusse rechtgläubiger Konfession und sogar (das will ich ihm konzedieren) ein auffallend hübscher Mann in den Vierzigen ...«
»Woher haben Sie das, daß er ein hübscher Mann ist? Er hat Hammelaugen.«
»Im höchsten Grade. Aber ich konzediere das aus Konnivenz gegen das Urteil unserer Damen ...«
»Bitte, lassen Sie uns von etwas anderem reden, Stepan Trofimowitsch! Apropos, Sie tragen ein rotes Halstuch; tun Sie das schon lange?«
»Ich ... ich habe erst heute ...«
»Und machen Sie sich auch gehörig Bewegung? Gehen Sie täglich Ihre sechs Werst spazieren, wie es Ihnen der Arzt verordnet hat?«
»Nicht ... nicht immer.«
»Das habe ich doch gewußt! Schon, als ich noch in der Schweiz war, ahnte es mir!« rief sie in gereiztem Tone. »Jetzt werden Sie nicht sechs, sondern zehn Werst täglich gehen! Sie sind furchtbar heruntergekommen, furchtbar, ganz furcht-bar! Sie sind nicht sowohl alt geworden, sondern schlaff und matt. Ich habe einen Schreck bekommen, als ich Sie vorhin sah, trotz Ihres roten Halstuches ... quelle idée rouge! Fahren Sie nun über Lembke fort, wenn Sie wirklich etwas über ihn zu sagen haben, und machen Sie, bitte, bald ein Ende; ich bin müde.«
»En un mot, ich wollte nur noch sagen, daß er einer jener Verwaltungsbeamten ist, die erst mit vierzig Jahren hervorzutreten beginnen, bis dahin unbeachtet vegetieren und dann auf einmal durch eine plötzliche Heirat oder sonst ein nicht minder unwürdiges Mittel Karriere machen ... Jetzt ist er nun weggefahren ... Ich wollte noch sagen, daß man sich, was mich betrifft, beeilt hat, ihm von verschiedenen Seiten zuzuflüstern, ich verdürbe die Jugend und machte hier im Gouvernement Propaganda für den Atheismus. Er hat denn auch sofort Erkundigungen eingezogen.«
»Ist das wahr?«
»Ich habe mich sogar genötigt gesehen, meine Maßregeln dagegen zu ergreifen. Als man ihm über Sie ›berichtete‹, Sie hätten ›das Gouvernement verwaltet‹, vous savez, da erlaubte er sich die Bemerkung: ›So etwas wird nicht mehr vorkommen.‹«
»Hat er das gesagt?«
»Ja, ›so etwas wird nicht mehr vorkommen‹, und avec cette morgue ... Seine Gemahlin Julija Michailowna werden wir Ende August hier zu sehen bekommen; sie kommt direkt aus Petersburg.«
»Vielmehr aus dem Auslande. Ich bin mit ihr zusammengetroffen.«
»Vraiment?«
»In Paris und in der Schweiz. Sie ist mit Drosdows verwandt.«
»Verwandt? Was für ein merkwürdiges Zusammentreffen! Es heißt, sie sei sehr ehrgeizig und habe hohe Konnexionen?«
»Unsinn! Ihre Konnexionen sind ganz unbedeutend! Bis zum Alter von fünfundvierzig Jahren war sie eine alte Jungfer ohne eine Kopeke Geld; nun ist es ihr gelungen, ihren Lembke zu kapern, und jetzt geht natürlich ihr ganzes Dichten und Trachten darauf, ihm zu einer Karriere zu verhelfen. Sie sind beide Intriganten.«
»Man sagt, sie sei zwei Jahre älter als er?«
»Fünf Jahre älter. Ihre Mutter machte mir in Moskau gewaltig den Hof. Sie wurde nur aus Mitleid zu den Bällen eingeladen, die ich zu Wsewolod Nikolajewitschs Lebzeiten gab. Und diese jetzige Frau v. Lembke saß manchmal die ganze Nacht über ohne einen Tänzer in der Ecke, mit ihrer Türkismouche auf der Stirn, so daß ich nach zwei Uhr ihr den ersten Kavalier zuschickte. Sie war damals schon fünfundzwanzig Jahre alt, wurde aber immer noch wie ein kleines Mädchen im kurzen Kleidchen ausgeführt. Man mußte sich genieren, die beiden bei sich zu haben.«
»Es ist mir, als ob ich diese Mouche vor mir sähe!«
»Ich sage Ihnen, ich kam hin und stieß sofort auf eine Intrige. Sie haben ja doch soeben Frau Drosdowas Brief gelesen; was konnte klarer sein? Was aber fand ich? Frau Drosdowa, diese Närrin (sie ist immer eine Närrin gewesen), sieht mich fragend an, warum ich denn eigentlich gekommen sei? Sie können sich mein Erstaunen vorstellen! Ich merkte sehr schnell, daß diese Lembke um sie fuchsschwänzelte, und bei ihr war dieser Vetter, ein Neffe des alten Drosdow; nun war mir alles klar! Selbstverständlich brachte ich alles in einem Augenblicke wieder ins rechte Geleise, und Praskowja ist nun wieder auf meiner Seite; aber ich war doch empört über die Intrige!«
»Über die Sie jedoch den Sieg davongetragen haben. O, Sie sind ein Bismarck!«
»Auch ohne ein Bismarck zu sein, bin ich imstande, Falschheit und Dummheit zu erkennen, wo ich ihnen begegne. Die Lembke ist falsch, und Praskowja ist dumm. Selten habe ich eine apathischere Frau gesehen, und dazu hat sie noch geschwollene Füße, und dazu ist sie noch gutmütig. Was kann dümmer sein als so eine dumme, gute Seele?«
»Ein moralisch schlechter Dummkopf, ma bonne amie, ein moralisch schlechter Dummkopf ist noch dümmer,« widersprach Stepan Trofimowitsch ihr in wohlanständiger Weise.
»Da haben Sie vielleicht recht. Sie erinnern sich wohl noch an Lisa?«
»Charmante enfant!«
»Aber jetzt ist sie nicht mehr ein enfant,