Fürstin des Nordens - Trilogy. Juryk Barelhaven
einige Wochen bei den Holzfällern im Ort. Dort nahm man mich auf und ich lernte zu gehen und zu sprechen wie sie. Ich wusste nicht weiter! Immerzu diese Maskerade.“
Claudile nickte mitfühlend. „Er hat dich nie gefunden. Du bist jetzt frei.“
Sie blickte mit ihrem verquollenem Gesicht auf: „Frei? Sagtest du frei!? Ich bin schon so lange ein Mann, dass ich nicht mehr weiß, was ich eigentlich bin!“
Wer wüsste das besser als ein Werwolf? Gefangen in einem Körper, der weder zur einen noch zur anderen Seite gehörte. „Als würde man zwischen einem Spiegel leben. Die eine Seite verlangt ihr Recht, sowie die andere Seite.“
Beide blickten traurig in die Reste des Hauses, das einst so voller Leben war. „Wir hatten immer genug zu essen, bis der Baron kam. Er lief durch die Straßen und setzte sein Recht durch wie ein…wie ein…,“
„…wie ein Werwolf“, half Claudile aus und nickte beklemmend. „Das wolltest du doch sagen, oder?“
„Baron. Wie ein Baron. Verzeihung“, schniefte sie leise.
„Nein, du hast recht“, gab sie bekümmert zu. „Warum war er hinter dir her? Komm, mir kannst du es sagen“, versuchte sie zu trösten und nahm sie in den Arm. „So ist es gut. Ja, jetzt wird alles gut.“
Alexandra wandte sie um und sah sie ängstlich an. „Ihr dürft es niemanden sagen, Herrin. Bitte, ich beschwöre euch!“
Sie stutzte, aber nickte schließlich. „Gut, verstanden.“
Alexandra nickte zaghaft und schluckte trocken. „Jungfrau.“
„Mmh.“ Claudile wusste, dass sich manche Männer von den Unberührten angezogen fühlte. Offenbar galt das auch für männliche Werwölfe. „Verstehe. Hast du...?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Gut, äh… ist besser so.“ Sie hustete trocken. „Sind deine Eltern… standesgemäß beigesetzt worden“, fragte sie leise und strich ihr übers Haar.
„Darum hat sich Pater Brain gekümmert“, antwortete sie leise. „Er ist ein guter Mann, Herrin. Er schimpfte und tobte, aber wenn er mich sah vergoss er immer Tränen. Seine Grabesrede war gut. Ich mag ihn sehr.“
Mich mag er nicht, dachte Claudile böse. „Könntest du ein gutes Wort für mich einlegen?“
Alexandra lächelte und kuschelte sich näher heran.
So saßen sie eine Zeitlang beisammen.
Die Glückliche Bettina hatte alle Pflichten wie üblich erfüllt, ihre Kinder zu Bett gebracht und einen Teller mit Gewürzgurken, einigen Scheiben Käse und etwas Trauben gemacht. Zufrieden mit sich und der Welt gelangte sie zum Saal, um den netten Mann eine kleine Stärkung zu bringen. Sie erblickte Gaver und Francesco. Sie ahnte gleich, dass das nicht gut ausging.
„Hütet euch vor den Hexen! Vertraut ihnen nicht. Weist sie an euren Türen ab. Sie sind nichts als ein Zufall der Kräfte, ungeschrieben und unsauber, das blasse, neidische Echo lebender, denkender Geschöpfe. In ihren Herzen ist ein Stein. Sie bauen nicht an, sie gründen nicht, sie pflanzen nicht und ernten nicht. Ihre Entstehung war ein Akt des Stehlens, und sie stehlen von Menschen und entehren die Natur. Der einzige Zweck ihres erbärmlichen Lebens ist ihr Ende. Es ist kein Mord, eine Hexe zu töten. Nja, schlimmstenfalls ein Akt der Nächstenliebe!“ So sprach Gaver voller Inbrunst, aber ohne Betonung so dass sich die einstudierte Rede wie ein Singsang eines dummen Kindes anhörte.
Einige wenige Städter hatten sich in Gruppen zusammengefunden und flüsterten hinter vorgehaltener Hand, während Francesco noch immer mit dem Federkiel in der Hand an seinem Platz saß und ihn anstarrte. Langsam ging ihm die Geduld aus.
„Das habe ich in der Sonntagsschule gelernt“, half Gaver nach und nickte befreiend. „Man kann die Worte austauschen, nja. Statt Hexe sagt man Werwolf, Zigeuner, Diebe, …“
„Ich frage dich zum dritten Mal“, zischte er mühsam beherrscht, „ob wir dir Geld schulden. Es sollte ein Gesetz geben, das schwachsinnige Narren verbietet!“
„Wenn es eins gäbe, müsste ich jeden Tag Überstunden machen, Herr.“
„Das gebe ich dir recht, Gaver.“ Francesco lehnte sich zurück und presste die Fingerspitzen aneinander. Er atmete hörbar ein und lächelte kühl: „Lass uns die Situation betrachten, in der ein eifriger und sehr kleiner Mann einen erstaunlichen Plan entwickelt. Er weiß, dass er Gehalt bekommen sollte aber statt die Fürstin zu fragen, steht er ohne eine Ahnung vor mir und hält die Hand auf. Und so geht es los, und unser Freund hält sich nicht mit Zahlen auf, sondern redet sich um Kopf und Kragen. Denkst du, ich wüsste nicht, dass die Stadtwache nutzlos ist? Den letzten Handtaschenräuber habt ihr vor einem Jahr gehängt. Du bist eigentlich nur da, um das Stadttor zu bewachen. Ich möchte den Tag erleben, an dem es nicht mehr da sein wird. Und dein Gesicht dann sehen.“
Bettina stellte den Teller ab. „Eine kleine Stärkung, Herr.“
Gaver grinste blöd und langte zu.
Sie schlug ihm blitzschnell auf die Hand. „Nicht für dich, Gaver“, kam es wie aus der Pistole geschossen. Es klang wie das Fauchen einer sehr gereizten Leopardin. Schnell wandte sie sich wieder Francesco zu und trug wieder ein sorgenfreies Lächeln zur Schau. „Herr, ich würde Euch kurz sprechen wollen.“
Er nickte widerwillig und ließ sich von ihr mitziehen. Hinter einer Säule flüsterte sie ihm ins Ohr: „Das ist Gaver! Er ist nicht ganz richtig, der Arme. Seid er als Kind vom Kutschbock gefallen ist, ist er etwas langsam. Außerdem trinkt er. Und viel. Eigentlich ist es kein Trinken mehr, sondern ein Saufen. Wir lassen ihn glauben, dass er für Recht und Ordnung sorgt.“
Francesco hörte geduldig zu und nickte ernst. „Ja, verstehe. Eine Frage nur: warum?“
„Könnt Ihr euch vorstellen, wie er auf dem Feld arbeitet oder wie er Lachse fängt? Wir haben alles versucht. Glaubt mir“, sie faltete die Hände und machte ein trauriges, sehr trauriges Gesicht.
„Aber…“
„Bitte. Es ist besser so.“
„Na schön“, stöhnte Francesco und blickte in Gavers Richtung, wie er langsam, ganz langsam sich eine Gurke vom Teller nahm und sie sich in die Hosentasche steckte.
Widerwillig setzte er sich wieder. „Na schön. Du bekommst das Gehalt von vier Monaten plus eine Pfanne aus der Küche. Das ist mein letztes Angebot.“
„Und den Stuhl.“
„Welchen Stuhl?“
„Den Stuhl.“ Gaver zeigte in die Ferne.
„Gaver“, Francesco verbarg den Kopf in seine Hände „das ist ein Thron.“
Das uralte Spiel
1
„Waren viele hier?“ fragte Claudile und sah sich um. Schlammbespritzte Schuhe hatten dutzende Spuren auf dem Parkett hinterlassen, sowie auf dem Läufer, der vom Eingang des Saals bis zum großen Eichentisch führte. Es mussten dutzende gewesen sein.
Francesco sah sie an. Dunkle Ringe hatten sich um seine Augen gebildet. „Die Rechnungen wurden bezahlt. Vergebt mir, Herrin, aber ich möchte nicht darüber sprechen.“
Claudile starrte Korporal Axel an und zuckte mit den Achseln. „Na schön. Das sollte die Leute etwas beruhigen.“ Sie trat vor und deutete mit einem Nicken zu ihrer Begleitung. „Das ist Korporal Axel. Sie… Er würde gerne eine Nacht hierbleiben.“ Sie scharrte mit den Füßen. „Ich wollte mich nicht an dir vorbeischleichen.“
Francesco blickte sie an. Langsam verarbeitete er die Information und sah zum Korporal. „Eure Ladyschaft“, begann er etwas betrübt. „Ihr seid etwas zu jung, um jungen Männern eine Bleibe anzubieten. Das könnt Ihr doch verstehen? Eine Dame ist stehts