Fürstin des Nordens - Trilogy. Juryk Barelhaven

Fürstin des Nordens - Trilogy - Juryk Barelhaven


Скачать книгу
weder auf das Gedränge rings um ihn herum noch auf den sichtlich nervösen Mann hinter der Fürstin. Er konzentrierte sich voll und ganz auf das Blatt in seiner Hand.

      Es war ein Full House. Dazu das schönste Full House, das er seit Jahren gesehen hatte. Drei Asse und zwei Könige, die er auf die Hand bekommen hatte, ohne ein einziges Mal tauschen zu müssen: eine Eins-zu-einer-Million-Chance. Im Übrigen schienen ihm die Karten Hold zu sein. Er war kein Narr und betrachtete sie mit einem bohrenden Blick, der ihm in anderen Landen einen Kopf gekostet hätte.

      Sein Gegenüber schien etwas in dieser Art zu befürchten, denn die Blicke, mit denen sie ihn durchbohrte, waren in den letzten Minuten immer nervöser geworden.

      Die Menge beobachtete das stumme Duell gespannt. Einen Einsatz wie diesen erlebte man hier nicht jeden Tag. Claudile selbst hatte den Überblick verloren, wie viele Münzen sie an diesem Abend verlieren würde. Einmal wechselte sie einen verzweifelten Blick zu Francesco, der fast schon apathisch die Münzen verteilte, als wären sie Bonbons. Sehr zum Vergnügen der Leute grummelte er Verwünschungen.

      Claudiles Augen hatten sich geweitet, auf ihrer Stirn perlte Schweiß, und die Hände, mit denen sie ihre Karten hielt, zitterten. Sie lächelte sogar nicht, als der Wirt mit einem Schnapsglas herüberkam und es ihr hinstellte. Ihre langen Fingernägel kratzten nervös über das furnierte Holz. Niemanden entgingen diese kleine Gesten.

      Und dann… Dann hatte es sie wohl beide erwischt, wie man so schön sagt.

      Dieses eine Spiel dauerte fast zwei Stunden, und sie hatten sich gegenseitig hochgeschaukelt. Aus dem erbitterten Ringen war ein freundschaftlicher Zweikampf geworden. Keiner von ihnen hatte ein Wort gesprochen, aber die Spannung war beinahe ins Unerträgliche gestiegen.

      Claudile legte die Karten aus der Hand und griff in den Beutel, um noch Münzen zu holen. Das hatte sie in der letzten halben Stunde immer häufiger getan, und der Beutel war immer dünner geworden, bis sie die letzte Münze herausfischte. Sie betrachtete das nicht ohne Sorge. Die Menge kommentierte dies mit einem „Oh“.

      „Ihr solltet aufhören, Fürstin“, sagte Pater Brain zum ersten Mal.

      Claudile wischte sich die schweißnassen Hände ab, knackte mit dem Nacken und legte bedeutungsschwer die letzte Münze hin.

      „Tut das nicht. Ihr ruiniert euch, meine Liebe.“

      Claudile blickte ihn fast hasserfüllt an, nahm den Beutel und legte ihn auf den Stapel, so als wäre dieser auch etwas wert. „Hälst du mit oder steigst du aus?“

      Nervös geworden legte er die zugedeckten Karten vor sich hin und lehnte sich zurück. „Nur, um das zu verstehen, Fürstin“, bemerkte er nachdenklich. „Ihr habt nicht vor, die Steuern zu erheben um die verlorene Barschaft wieder reinzubekommen, oder? Das wäre selbst für einen Wolf unter aller Würde – nicht, dass wir nicht schon etwas anderes erlebt hätten!“

      Zustimmendes Gemurmel. Plötzlich blickten nicht Wenige finster drein.

      Claudile hatte mit der Frage gerechnet, legte auch ihre Karten weg und holte ein kleines Büchlein hervor. Fachmännisch schlug sie eine Seite auf. „Nach den Büchern habt ihr bis jetzt anständig und regelmäßig die Steuern bezahlt.“

      Dagegen gab es nichts einzuwenden. Jeder nickte sich zu. Ja, sie waren alle brave Steuerzahler.

      „Das heißt nicht, dass du es nicht tun würdest!“ blaffte Brain und kippte noch einen Schnaps hinter die Binde. Fairerweise sei gesagt, dass auf beiden Seiten sich die leeren Gläser stapelten.

      „Ich muss Buch führen“, erklärte sie langsam und steckte das Büchlein wieder weg. „Einmal im Jahr kommt der Schatzmeister und überprüft die Zahlen. Findet er auch nur eine Münze unter dem Teppich, könnte ich alles verlieren. Du kennst meine Mutter nicht“, fügte sie leise hinzu. „Dein Gott vergibt, aber nicht sie.“

      Er nickte verstehend. „Aber du könntest es tun, oder nicht?“

      „Nein, selbst wenn ich wollte. Und warum sollte ich!?“ Sie grinste angeheitert und lehnte sich weit zurück. „Ich brauche nur den Wald und die Freiheit.“

      Brain war ein desillusionierter Mann, der in allem nur Schlechtes sah.

      „Ihr Werwölfe“, grummelte er leise und bedachte sie plötzlich feindselig. „Was habt ihr aus diesem Land gemacht!?“

      „He, he, he“, protestierte sie. „Du versuchst, mich rauszudrängen.“

      Brain zuckte gleichmütig mit den Achseln. „Wer hoch spielt, sollte genug Bargeld mithaben.“

      „Gut, dann beenden wir das Spiel. Du hast gewonnen. Und ich habe verloren“, sagte sie gedehnt und stand auf.

      Sie wollte Francesco ein Zeichen geben, der gerade an einigen Kindern Münzen verteilte, als plötzlich Brain die Hand hob und abwinkte. „Spar dir die Mühe, Mädchen“, sagte er.

      Claudile setzte sich wieder und sah ihn fragend an.

      Der Geistliche wirkte ein bisschen verlegen. Offensichtlich taten ihm seine eigenen Worte bereits wieder leid. „Entschuldige“, sagte er leise. „Selbstverständlich kannst du nichts dafür. Willst du mithalten?“

      Claudile nickte.

      Sie spielten weiter. Es wurde mucksmäuschenstill. Selbst Francesco blickte über die Schultern der Leute und versuchte zu erhaschen, was die beiden eigentlich machten.

      Mensch und Werwolf starrten sich lange an.

      „Der Baron“, begann Brain stockend und scharrte mit den Füßen, „kam des Nachts und war betrunken. Er hatte tags zuvor den Stadtvogt in zwei Hälften geteilt, als wäre er ein Fisch, den man ausnehmen könnte. Wütend grabschte er nach meiner Frau und ich ging dazwischen.“ Sein Blick ging ins Leere, und für einen Moment erhaschte sie einen Blick in seine Seele. Er schnaufte leise. „Natürlich hatten wir keine Chance. Schließlich… ließ er von uns ab. Das war das letzte Mal, das ich ihn sah.“

      Claudile nickte ernst und legte die Karten beiseite. „Ich werde ihn finden.“

      Schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Was macht ihr mit Euresgleichen?“, fragte er knapp.

      „Das Schlimmste.“

      „So schlimm?“

      „Schlimmer.“

      Brain nickte zufrieden, und legte auf.

      Full House.

      Das war der Moment, in dem die Menge vor Jubel explodierte.

      3

      Es wurde noch ein langer Abend.

      Getränke wurden gereicht, Lieder wurden gespielt und munter dazu gesungen. Die Fürstin schüttelte betrübt den Kopf, nickte aber wacker zum Verlust ihres Vermögens und ging von Tisch zu Tisch, um den Männern zu ihrem Sieg zu beglückwünschen. Alles in allem, so meinten die Leute, nahm sie es gut auf. Die Werwölfe waren besiegt- jene verhassten Feinde, die man all der Zeit ertragen musste. Kein blutiger Kampf, sondern durch ein Spiel, das überwiegend von Glück und Kalkulation bestimmt wurde. Es schien nur passend, dass die Hohen Herren durch die Intelligenz der Menschen besiegt wurden. Aber was noch wichtiger war als der Goldschatz in jedermanns Beutel: die Fürstin hatte sich zu einem Wettstreit von ihrem Thron zu ihnen bemüht und fair gespielt. Natürlich fair. Wer spielte schon falsch, nur um zu verlieren?

      Wenn man den richtigen Ansatzpunkt gefunden hatte, war alles ein Kinderspiel. Bei den Bürgern war es die Würde.

      Der Morgen graute fast, als Claudile mit dröhnenden Schädel zu Pater Brain hinübersah. Er lächelte knapp ihr zu, und nickte wissend.

      Er weiß es, dachte sie und nickte zurück. Er weiß es genau, aber er sagt nichts.

      Natürlich war es ein gut geplantes Schauspiel. Wo die Münzen herkamen, gab es noch viel


Скачать книгу