Erinnerungen aus galanter Zeit. Giacomo Casanova

Erinnerungen aus galanter Zeit - Giacomo Casanova


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sagte ich endlich: »Hätten Sie für mich einige Freundschaft gehabt, so hätten wir in Rimini als gute Freunde ausruhen können, denn mit einiger Freundschaft hätten Sie mich von meiner Leidenschaft geheilt.«

      »Sie würden nicht geheilt worden sein«, antwortete Bellino mutig, aber mit einem Tone der Milde, welcher mich überraschte; »nein, Sie würden nicht geheilt worden sein, mag ich nun Mädchen oder Knabe sein, denn Sie sind in mich, unabhängig von meinem Geschlechte, verliebt, und die Gewißheit, die Sie erlangten, würde Sie wütend machen. Wenn Sie mich in diesem Zustande unbarmherzig gefunden hätten, so hätten Sie gewiß Ausschweifungen begangen, über welche Sie später vergeblich Tränen vergossen haben würden.«

      »Sie hoffen mich durch diese schöne Auseinandersetzung zu dem Geständnisse zu bringen, daß Ihre Hartnäckigkeit vernünftig ist; aber Sie sind in völligem Irrtum, denn ich fühle, daß ich durchaus ruhig bleiben, und daß Ihre Gefälligkeit Ihnen meine Freundschaft erwerben würde.«

      »Sie wurden wütend werden, sage ich Ihnen.«

      »Bellino, was mich wütend gemacht hat, das ist die Zurschaustellung Ihrer zu wirklichen oder zu trügerischen Reize, deren Wirkung Ihnen gewiß nicht unbekannt sein kann. Damals haben Sie meine verliebte Wut nicht gefürchtet; wie soll ich also glauben, daß Sie sie jetzt fürchten, da ich Sie nur bitte, mich eine Sache berühren zu lassen, die geeignet, mir Ekel einzuflößen.«

      »Ach, Ihnen Ekel einzuflößen! Ich bin vom Gegenteil überzeugt. Hören Sie mich. Wäre ich ein Mädchen, so würde es nicht in meiner Macht stehen, Sie nicht zu lieben, das fühle ich, da ich aber ein Knabe bin, so ist es meine Pflicht, nicht die Gefälligkeit zu haben, welche Sie wünschen.«

      Als wir bei finstrer Nacht in Sinigaglia ankamen, stieg ich im besten Gasthofe ab. Nachdem ich mir ein gutes Zimmer gemietet, bestellte ich ein Abendessen. Da in dem Zimmer nur ein Bett war, so fragte ich Bellino mit der ruhigsten Miene, ob er sich in einem andern Zimmer heizen lassen wolle; aber man denke sich mein Erstaunen, als er mir sehr milde antwortete, er trage kein Bedenken, in demselben Bett zu schlafen. Ich bedurfte dieser Antwort, auf welche ich nichts weniger als gefaßt war, um die trübe Laune, welche mich störte, zu zerstreuen. Ich sah, daß ich der Lösung des Knotens entgegenging, aber in der Ungewißheit, ob sie eine günstige oder ungünstige sein würde, hütete ich mich wohl, mir schon Glück zu wünschen; ich empfand aber doch ein wirkliches Vergnügen über meinen Sieg, da ich sicher war, einen vollständigen über mich davonzutragen, wenn meine Sinne und mein Instinkt mich getäuscht haben sollten, das heißt ihn zu achten, wenn er Mann wäre. Im entgegengesetzten Falle glaubte ich die süßesten Gunstbewilligungen erwarten zu dürfen. Wir setzten uns einander gegenüber bei Tische, und während des Essens ließen mich seine Reden, seine Mienen, der Ausdruck seiner schönen Augen, ein süßes und wollüstiges Lächeln ahnen, daß er müde sei, eine Rolle zu spielen, welche ihm ebenso lästig hatte werden müssen, wie mir selbst. Ich fühlte mich von einer großen Last erleichtert und kürzte das Essen soviel wie möglich ab. Sobald wir vom Tisch ausgestanden, ließ mein liebenswürdiger Gefährte eine Nachtlampe bringen, und nachdem er sich entkleidet, legte er sich ins Bett. Ich folgte ihm sogleich, und ein Weib war es, welches sich mir näherte, als ich mich niedergelegt hatte. Wir sprachen nicht, aber unsere Küsse verschmolzen, und ich gelangte auf den Gipfel des Genusses, ehe ich noch Zeit gehabt, ihn zu suchen. Was hätte es auch wohl, nachdem ich den vollständigen Sieg errungen, meinen Augen und meinen Fingern genutzt, Untersuchungen anzustellen, welche mir doch keine größere Gewißheit mehr verschaffen konnten, als ich schon hatte. Ich ließ meine Blicke auf diesem schönen Gesichte schweifen, welches die zärtlichste Liebe mit dem lebhaftesten und natürlichsten Feuer beseelte. Nach einem Augenblicke der Ekstase entzündete ein neues Feuer eine neue Feuersbrunst unsrer Sinne und wir löschten auch diese in einem Meere neuer Entzückungen. Als unsre Sinne der Ruhe bedurften, wir still nebeneinander lagen und ich das reizende Wesen bat, mir doch zu sagen, wodurch sie denn veranlaßt worden, jene schreckliche Mißbildung zu tragen, die ich doch bei ihr gemerkt, vernahm ich eine seltsame Geschichte von Therese, denn dies war ihr richtiger Name. Der berühmte Musiker, der Kastrat Salimberi, hatte sie zu sich genommen, um ihre Stimme, von der er das höchste hoffte, auszubilden. Hatte dieser Mann auch durch seine Verstümmelung lange nicht die Überlegenheit andrer Männer, so entfesselte doch seine Schönheit, sein Geist und sein Benehmen ihre Liebe, daß sie ihm ganz zu Willen war. Nach einiger Zeit starb ihr Vater, und da Salimberi nach Rom mußte, brachte er Therese nach Rimini in dieselbe Pension, in welcher von ihm auch ein Knabe unterhalten wurde, den sein Vater, ein armer Musiklehrer, als er sich dem Tode nahefühlte, zum Kastraten bestimmte, damit er so seine zahlreichen Geschwister ernähren könne. Als Salimberi in diese Pension kam, war der Knabe, Bellino geheißen, gerade gestorben. Da er den Schmerz bedachte, welcher die arme Witwe befallen mußte, kam er auf den Gedanken, sie, Therese, sollte sich als den jungen Kastraten ausgeben, als solchen wolle er sie bei dessen Mutter in Pension bringen, die für das Geld, das sie sich dadurch erwürbe, sicher Schweigen bewahren würde. Wäre sie dann vollends ausgebildet, so würde er sie an das Hoftheater nach Dresden bringen, wo auch er weilte, und dort könnten sie dann ohne Hindernis zusammen leben. Ihr Busen würde ihr, wenn er sich entwickelte, nichts schaden, denn auch Kastraten zeigten öfters einen solchen. Da aber Untersuchungen zu erwarten waren, so hatte er ihr ein Instrument gegeben, welches sie an ihrem Körper befestigen mußte, um äußerlich einen männlichen Eindruck hervorzurufen. Leider starb Salimberi vor einem Jahre, und nun mußte sie ihr Talent nutzbar machen. Ihre sogenannte Mutter riet ihr, sich auch weiterhin als Kastraten auszugeben. Sie tat es wohl, aber sie litt darunter und nicht zum wenigsten durch die Nachstellungen, denen sie ausgesetzt; und in die bittenden Worte brach sie aus: »Nach Salimberi bist du der einzige Mann, den ich gekannt. Aus Mitleiden, mein Engel, sei großmütig, wenn du mich liebst, entziehe mich diesem Zustande der Schmach und Verworfenheit. Nimm mich mit dir. Ich mache keinen Anspruch darauf, deine Frau zu werden, das möchte zu viel Glück sein; laß mich nur deine Freundin sein, wie ich die Salimberis gewesen sein würde: mein Herz ist rein, ich fühle, daß ich gemacht bin, um mein Leben durch Treue gegen meinen Liebhaber zu ehren. Verlaß mich nicht. Die Zärtlichkeit, die du mir eingeflößt, ist eine wahrhafte; die, die ich für Salimberi hegte, war unschuldig und entsprang aus meiner Jugend und Dankbarkeit, und ich halte mich erst für ein Weib, seitdem ich es durch dich geworden bin.«

      Ihre rührenden Worte, die mit Überzeugung von ihren Lippen strömten, waren wie ein Zauber und ließen mich Tränen zärtlicher Teilnahme vergießen. Ich vermischte sie mit denen, die ihren schönen Augen entflossen, und, lebhaft ergriffen, versprach ich ihr aufrichtig, sie nicht zu verlassen. Nachdem ich midi überzeugt, daß ich wirklich in Ankona ihre wahrhafte Neigung wachgerufen, daß sie qualvoll gelitten unter den Beleidigungen, die ich ihrem Herzen durch mein Verhältnis zu ihren Schwestern zufügen mußte, faßte ich den Entschluß, sie mit meinem Schicksale zu verknüpfen, wie dieses sich auch gestalten mochte, oder mich mit dem ihrigen, denn unsere Lage war so ziemlich dieselbe, dieser Verbindung aber auch die Weihe der Gesetze und der Religion zu geben, sie förmlich zu heiraten; denn nach meinen damaligen Ideen konnte eine Heirat unsere Zärtlichkeit nur inniger machen, unsere gegenseitige Achtung nur vermehren. Da ich mir aber sagte, daß es bei meinen damaligen Verhältnissen dahin kommen könnte, daß ihr Talent mich ernähren müsse, und sie mir dann die größten Demütigungen zufügen könnte, beschloß ich, sie zu prüfen. Ich gestand ihr, nachdem ich sie gehörig auf meine Wahrhaftigkeit vorbereitet, ein, daß ich nicht reich, daß ich, wenn meine Börse geleert, nichts mehr mein eigen nennen könne, daß ich nicht von Adel, sondern von gleicher Geburt wie sie; daß kein einträgliches Talent und keine Stellung mir sichere Existenz gäbe, kurz, daß meine ganze Habe bestehe aus: Jugend, Gesundheit, Mut, etwas Geist, Ehr- und Rechtlichkeitsgefühl, und in einiger Kenntnis der guten Literatur. Außerdem sei ich der Verschwendung sehr zugeneigt. Sie antwortete darauf, daß sie mir buchstäblich glauben müsse, denn eine Ahnung habe ihr das schon vorhergesagt. Aber sie freue sich, denn nun könne sie gewiß sein, daß ich ihr Geschenk annehmen würde.

      »Dies Geschenk besteht in mir, wie ich bin und mit allen meinen Fähigkeiten. Ich gebe mich dir ohne jede Bedingung hin; ich gehöre dir und werde für dich sorgen. Denke in Zukunft nur daran, mich zu lieben, aber liebe mich allein. Von diesem Augenblicke bin ich nicht mehr Bellino. Gehen wir nach Venedig, wo mein Talent uns beide ernähren wird, oder wohin du willst.«

      »Ich


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