Ein Schmierer namens Vallentin. Hein Bruns
auf schäbiger Tapetenwand.
Die Dampfer, die großen und die kleinen, ziehen mit grünen und weißen und roten Lichtern land- oder seewärts. Im morschen Gebälk des Hauses knabbern Mäuse.
Ich drehe mich nicht um, als sich behutsam warme, weiche Hände auf meine nackten Schultern legen.
Eine leise Stimme zögernd fragt: „Sind die Wrackteile nun an Land getrieben, Valentino? Kann man sich von Wrackteilen ein Haus bauen, amigo?“ „Oh ja, das kann man. Und das Haus kann sogar ganz solide und fest werden. Es kommt auf das Fundament an. Einen englischen Rüstungsarbeiter oder einen roten oder Francobomber, was weiß ich, darf man wohl nicht mit einkalkulieren.“
Draußen gehen die spanische Nacht und der Sommer durch windschiefe Gassen. Hallt der harte Schritt eines Milizsoldaten. Schreit ein Kind im Schlaf. Bellt ein Hund sich heiser. Grölt ein besoffener Seemann. Keift ein Weib. Schlägt ein Fenster zu. Der laue Wind, warm und verwaschen, über den Rio Nervion kommend, spielt leicht in den brüchigen Gardinen und lässt die Flamme der Kerze tanzen, und die Schatten der künstlichen Blumen wandern ... wandern ... stehen, wachsen ... wachsen … sinken, Schatten wie Schicksalsriesen, Schatten wie Schicksalszwerge.
Und es ziehen die Dampfer, die großen und die kleinen, mit roten und grünen und weißen Lichtern land- oder seewärts. Lichtvoll. Lautlos. Lautlos? Dampfer sprechen immer. Dampfer rufen. Dampfer schreien. Dampfer locken, locken wie Sirenen. Dampfer wollen uns, bei Tag und bei Nacht. Aber nur wir kennen ihre Sprache, nur wir hören die Rufe und die Schreie, nur wir wissen um das Locken.
Im ersten Stock, Saal Nummer vier, Bett sieben des Armenhospitals zu Bilbao am Rio Nervion, verflucht noch mal, lag auf weißen Kissen ein noch weißeres Gesicht. Mich rief kein Dampfer mehr, mich rief dieses Gesicht, von Wunden zerfressen, von Binden eingehüllt. Mich rief kein Dampfer mehr und lockte auch nicht. Drei Wochen schuftete ich am dunklen Kohlenpier von Bilbao. Jede Nacht. Am Tage suchte ich die Augen Pepitas. Sie waren nicht mehr. Tot, nur noch Höhlen. Salzsäure ist ein Teufelsstoff, ein Höllensaft, so ihn ein besoffener Seemann in nachtschwarze Augen schüttet, um das Feuer darin und in seinen Schenkeln zu löschen. Drei Wochen lang schrie Pepita nach Licht und nach mir.
Drei Wochen lang schuftete ich, jede Nacht, und jede Peseta trug ich in das Hospiz. „Ich glaube, amigo“, so sagte Pepita zu mir, „unser Haus steht noch ganz gut, das Haus aus Wrackteilen.“ Caramba, das ging mir aber doch an die Nieren.
Ja, sie sah nicht mein Gesicht und nicht meine schlaftrunkenen Augen. Sie sah das alles nicht mehr. Drei Wochen, einundzwanzig qualvolle Tage und Nächte, dann war alles vorbei. Das kleine, funkelnde Kreuz am silbernen Kettchen band ich ich ihr zum letzten Mal um ihren Hals und legte meine Hand auf ihre zweimal gestorbenen Augen. Und aus dem silbernen Kreuz an ihrem Hals wuchs ein steinernes auf einem Hügel. Die Friedhofsmauer war rot und verwittert. Nun war doch das Haus, aus Strandgut errichtet, zusammengebrochen, und übrig blieb ich. Ich und jener Zehntausendtonner,
S. S. „BABITONGA“, der die Panama-Flagge am Heck führt. Bist du der Neue? Dann los, verflucht, dann ran an die Arbeit.“ So reißt man mich aus dem Schlaf. Der Morgen grinst fahl durch die Bullaugen. Die Schläfer über und unter mir sehen aus wie Tiere, in graue Wolldecken gewickelt. Die grauen Tiere bewegen sich. Wie Erdwürmer. Die grauen Wolldecken rekeln sich beiseite. Und schmutzige Maden schälen sich aus den grauen Hüllen. Flüche, englisch, deutsch, spanisch. Gähnen. Furze. Heißer Weinatem. Stickige Luft. Dünner Kaffeegeruch. Eine Konservendose mit Marmelade. Ich sitze mit an der Back und verteile den Jam auf einem Ranken Brot. „Wann bist du denn eingestiegen?“ „Gestern Abend.“ „Bist doch Deutscher, was?“ „Yes.“ „So ... hab ich mir gedacht ... Der da auch.“ Zeigt über den Tisch auf einen schmächtigen Kerl, der nicht einmal aufsieht, den ich aber schon von gestern Abend kenne.
Misstrauisch peilt man mich an, immer nur von der Seite. Sie mustern meinen noch gefüllten Seesack und meine Arme. „Bist gerade nicht von der Hure ausgerüstet, hast Klamotten genug“, meinte einer. „Und auch nicht von der Polizei an Bord gebrach“, ein anderer. Sie beobachten mich, wie ich esse. Sie scheinen zufrieden zu sein, denn ich schmatze wie sie und liege auch breitarmig auf dem Tisch. Sie scheinen beruhigt zu sein, denn ich bin tätowiert wie sie. Sie scheinen mich aufgenommen zu haben, denn ich schweige wie sie. Sie zeigen auf mein Glasauge. „Wie ist dir das denn ausgetröpfelt?
Ich sage: „Kartoffelschälmesser.“ Der gichtige Wecker zeigt auf sieben Uhr. „Heh, gentlemen, let's go.“ So trotten wir nach mittschiffs in den Maschinenraum. „Ärmelstreifen“ warten schon auf uns. „Ärmelstreifen“ verteilen uns an die Arbeitsplätze. Ich kriege als Neuer natürlich den schlechtesten Job. Hab' ich anders auch nicht erwartet. Mir brummt der Schädel, und ich habe einen fauligen Geschmack im Mund. Die Arbeit ist schwer, wir schwitzen in dieser Treibhausluft wie Bauern bei der Heuernte. Mensch, ein Eimer ist das da ja auch, dieser Kasten, nur der Rost hält ihn noch zusammen. An Deck macht er sich in Fladen breit. Wie Efeu klettert er die Aufbauten hoch. In den Logis wächst er abwärts. An der Verschanzung hockst er wie ein altes Marktweib. Im Maschinenraum wuchert er in die Bilgen hinein. Rost fett und Essen mager. Ich habe nicht immer so vergammelte Untersätze unter meinen Füßen gehabt, nein, nein. Ich bin schon auf Firnis spazieren gegangen, wie auf nackten, blanken Eisendecks. Lag auf weiß gescheuerten Holzplanken, so rein wie eine Jungfrau. Wohnte in Logis, wo die Decken verschalt, die Wände mit warmem Edelholz getäfelt waren, oder in weißer Farbe glänzten, so glatt, so weiß, so blank. Hier ist das nun ein wenig anders. Der Rest der Farbe an den Wänden hält sich mit Mühe. Die Decke ist mit Korke gespritzt, sieht aus wie ein Jünglingsgesicht in der Pubertät. Fußböden mit Löchern. Nägel statt Kleiderhaken. Spinde aus Blech. Bänke wie im Dritter-Klasse-Wartesaal. Ein Tisch, stark, stabil, dickbeinig. Eisengestelle die Kojen, zwei nebeneinander, zwei übereinander. Eine Einzelkoje für den Moses, den Jüngsten, den Aufwärter.
Die Strohsäcke sind dünn und stocktrocken. Sie stauben und stinken. Sind mürbe wie Sauerbraten. Mit acht Pipels hausen wir hier. Sieben Schmierer und ein Moses. Wir sind „gehobene Heizer“ und die Heizer wohnen auf der anderen Seite des Ganges und wohnen auch nebenan. Wir gehören verschiedenen Nationen an. Einer ist staatenlos, und der Moses ist Mischling. Wir haben alle keinen festen Wohnsitz. Unsere Heimat sind die sieben Weltmeere, die Maschinen und die Motoren, der Suff und der Dreck und der Rost. Unsere Arbeitsplätze sind Maschinenräume auf Dampfern und Motorschiffen, tief unter Deck, noch unter den Flurplatten. Unser Leben ist harte Arbeit. Unsere Frauen wohnen in den Bordellen oder arbeiten auf der Straße oder werken in Kaschemmen und Kneipen oder sind Nackttänzerinnen, wohnen in Bordellen in Marseille, in Rio, in Shanghai, in Hamburg und Antwerpen, in Lissabon, Baranquilla. Was weiß ich, ob in Privatbordellen oder staatlich geförderten. Rund um die Erde. Bordelle gibt es übrigens mehr als Mädchenpensionate. Wir sagen schlicht Puff, wollen wir es dabei belassen. Wir tragen unser Schicksal im Gesicht, wir tragen es tätowiert auf Händen, Armen, auf der Brust, und der oder der manchmal noch auf anderen Körperteilen. Es gibt tätowierte Mäuse, die im Arsch verschwinden wollen, es gibt blaue Schmeißfliegen auf den Hoden. Es gibt Anker und Seemannsgräber, mit Rettungsringen und Christenkreuzen und Schiffswracks und untergehender Sonne. Es liegen Tiger zum Sprung auf Arm und Bein, rotkrallig. Es lächeln rassige Frauenköpfe, es ringeln sich Schlangen um die Beine, es segeln Viermastbarken quer über behaarte Brüste. Ja, ein Frauenschoß zeigt sich geöffnet mit angedeuteten Schenkeln. Farbig, rot, blau, grün. Emil sammelt übrigens Schamhaare, das hat er mir bei der Arbeit erzählt. Das erste, was er mir erzählte, und seine Sammlung dürfte ich auch einmal sehen. Nein, nein, da ist auch nichts Heroisches, nichts Heldenhaftes und nichts Gewaltiges an uns. So was liest man nur in guten Seeromanen, in denen von stillem Sterben, von wilden Stürmen, von mörderischen Grundseen und lieblichen Haitimädchen, von romantischen Sonnenuntergängen und von heimwärts tuckernden Fischerbooten auf schwarzsamtenen Fluten gesprochen wird.
Wir sind wohl blond oder schwarz, wir sind wohl stark oder schwach, aber wir sind nicht vom Wind und von der See gegerbt.
Der Alkohol ist nett zu uns ... und wir zu ihm. Die Weiber sind nett zu uns ... und wir zu ihnen. Ich sage Weiber, denke nicht an Mädchenpensionate, sondern an Puffs. Die Winden an Deck sind stumm. Die Ladeluken geschlossen. Die Ladebäume in den Halterungen vertäut. Die Gangway eingezogen. Die gelben, grauen und weißen