Ein Schmierer namens Vallentin. Hein Bruns
den Tag mit harter Arbeit, mit Schweiß und Fluchen und Stöhnen und Blasen an den Händen. Wohl werden Ernesto und ich von den „Ärmelstreífen“ seltsam angesehen, aber gesagt hat uns niemand etwas. Die Suppe scheint also nicht teuer zu werden, wenn auch der Koch mit verbrühten und verbundenen Füßen in der Koje liegt. Ja, heißes Hammelfett, weißgelb, hat es in sich. Was sich in den Köpfen von „denen“ da mittschiffs abspielt, ist schwerlich zu ergründen. Als Ersatz für die heiße Suppe schleppt der Moses an diesem Abend ein Viertelfass Rotwein nach vorn. Rotwein, woher kommt der? Hat die Schiffsleitung spendiert. Soll der Malaria vorbeugen. Ernesto und ich haben Bedenken: Wollen „die“ uns auf die Palme bringen, uns besoffen machen, uns herausfordern, um uns dann in Eisen zu legen? Das Fass hockt wie eine Kröte am Ankerspill. Die Afrikasonne hat den ganzen Tag ihre heißen Pfeile an Denk geschossen, spitz, grell, brennend. Die Luft zittert wie Gelee. Wir saufen den pisswarmen Wein aus Blechtassen. Die afrikanische Nacht ist da, und der Gambia rauscht weiter seewärts. Funzliges Licht einer Glühlampe pendelt herablassend von der Sonnensegellatte. Müder Glanz auf Glatzen verirrt sich in struppigen Bärten. Rotwein, pisswarm, trinkt sich gut aus Blechtassen. Und dann singen wir. Und dann grölen wir. Und dann schreien wir. Armes Afrika, deine Niggersongs und das Dommeln deiner Gebetstrommeln ist in meinen Ohren nur ein armseliges Geräusch gegen unser Singen, Grölen und Schreien. Vom Vorschiff eines „Panamesen“ über den dunklen, rauschenden Gambia bis an die drohende Wand des Urwalds wandern die Songs, wälzt sich Gegröle, verliert sich das Schreien. Und dann umarmen wir uns, und sie sagen zu mir Valentino, und der Koch liegt mit verbrühten Füßen in der Koje, verbrüht vom Hammelfett, und die Gummibänder sind fast gerissen. Am nächsten Tag tragen wir allhands eine Dornenkrone um den Kopf. Eine Dornenkrone, die verdammt sticht. Kommt von dem verfluchen Rotwein. Die Dornenkrone quetscht uns den Schwur ab, niemals wieder etwas von der Schiffsleitung Geschenktes zu saufen. Am nächsten Tag wird uns eine Sauarbeit verpasst ... wir müssen die Schmutzöltanks reinigen. Schmutzöltanks sind Folterkammern. Schmutzöltanks sind wie Bienenwaben mit Zellen, aus Eisen und ohne Honig. Schmutzöltanks sind oben und unten und seitlich schwarz und schmierig und glitschig wie Asphaltkocher. In den Schmutzöltanks ist es heiß wie in einer Gießerei und Öldämpfe stehen hartnäckig und bläulich. Wir schrauben die Mannlochdeckel auf, vierzig Muttern, die der Rost festgefressen hat. Wir können nur im Liegen arbeiten und nur abwechselnd, und manche Mutter muss mit Hammer und Meißel seitlich abgeschält werden. Eine Hundearbeit. Dann hieven wir den zentnerschweren Eisendeckel nach oben und lassen eine Kabellampe in das schwarze Loch. Langsam, wie Zigarrenrauch, steigen die Öldünste. Wir ziehen uns aus, tragen nur um den Kopf einen weißen Putzlappen, wie einen angegossenen Helm. Und wir steigen hinein in den Tank. Er ist nur eine halbe Mannslänge hoch und ist nur kriechend zu reinigen. Wir arbeiten Hand in Hand mit zwei Mann. Hecken in den Zellen und waschen mit Gasöl und Putzlappen die Decken und Seitenwände ab und zuletzt den Boden. Und einer leuchtet. Und beide sind wir verschmiert und glitschig und schwarz, und beide schwitzen wir und keuchen. Und stoßen uns die Schultern und Beckenknochen blutig und atmen schwer und schieben die Gasöleimer vor uns her, von Zelle zu Zelle, und ziehen das Kabel der Lampe hinter uns her, von Zelle zu Zelle. Lösen uns ab im Waschen und Leuchten. Schweißnass die Augen, und der angegossene Helm hat keine weiße Stelle mehr. Der Öldunst legt sich auf die Lungen, und der Atem wird kurz, wie bei einem kranken Kind. „Was hast du, Ernesto?“ frage ich. „Mensch, ich kriege kaum noch Luft“ sagt er. „Kommt vom Saufen“, sage ich und wasche weiter. Und Ernesto hält die Lampe, und das Kabel windet sich ölglänzend wie eine dünne Viper durch die Zellen und verschwindet im Einsteigloch. Ernesto hält die Lampe und die Lampe leuchtet. Dann hält Ernesto die Lampe nicht mehr. Die Lampe leuchtet nicht mehr, die lange Viper ist vom Dunkel und Dunst verschluckt. Das Atmen des kranken Kindes hat sich verstärkt, die Kabellampe mit Schutzglas und Glühbirne ist klirrend und jäh verreckt. Um mich steht Dunst und Dunkel, hastiger Atem, Stille, vor mir ein Eimer mit Gasöl. Ernesto kann ich nicht sehen. Ernestos Atem kann ich nur hören. „Ernesto“, schrei ich. Die Stille wirft mir nur den keuchenden Atem entgegen. „Ernesto“, brülle ich. Ich krabbele mich in die nächste Zelle. Nichts kann ich fassen, keine Hose keinen Leibriemen, keine Jacke, kein Hemd. Die Hände gleiten am glitschigen, ölverschmierten Körper von oben nach unten. Einen ölgetränkten Stofffetzen den angegossenen Helm halte ich in meinen Händen. An den Füßen haltend und ziehend und schleifend, von Zelle zu Zelle zerrend, bringe ich ihn zur Einsteigluke, immer der unsichtbaren, nur fühlbaren Viper mach. Ernesto ist nicht gestorben. „Kommt vom Saufen”, sagen die „Ärmelstreifen“.
Mit Petroleum wir unsere verschmierten Körper ab, einer dem anderen. Das beißt wie Hund. Und wir schrubben uns tüchtig mit Soda, Sand und Seife. Wir sehen aus wie gekochte Krebse. Die Tropennacht fällt hastig und schwarz aufs Schiff. Der Urwald wird von der Nacht gefressen. In Kanakertown funzeln die ersten Lichter. Die Blutsauger kommen und das Dommeln dröhnt. Wir liegen auf unseren Strohsäcken, schlafen, lesen, dösen. Die Luft im Logis ist stickig und heiß. Die geöffneten Bullaugen schneiden schwarze Scheiben aus der Nacht. Ernesto hat sich wieder erholt, er liegt unter mir in der Koje. Ich liege auf der Seite und stecke meinen Kopf über den Kojenrand. Ich frage: „Sag mal, Ernesto, glaubst du eigentlich an Gott?“ „Wie kommst du denn darauf?“ „Das will ich dir sagen. Als du wieder oben an Deck lagst und wieder Luft hattest und wieder lebtest, hab' ich mir gedacht, das muss doch irgendwer gemacht haben, der daran interessiert ist, dass du noch nicht krepieren solltest.“ Ernesto versucht sich vor der Frage zu drücken und sagt: „Es säuft keiner ab, der gehängt werden soll.“ Ich frage nochmals: „Glaubst du an Gott, Ernesto?“ Er antwortet: „Nein. Jedenfalls nicht an den alten Knaben mit dem Bart. Jedenfalls nicht an seine komische Gerechtigkeit und Güte und Liebe, die man ihm nachsagt, und die auch irgendwo geschrieben stehen soll. Das musst du doch zugeben, Valentin, wenn alle Gebete, die die Menschen aller Rassen und Farben und Nationen zu diesem Gott schicken, erhört würden, wo käme der 'arme liebe Gott' dann wohl bin?“ „Ja, es muss aber doch irgendwas geben, das uns leben lässt, oder uns das Leben gegeben hat. Dem Menschen, dem Tier, der Pflanze. Oder meinst du, das käme alles von selbst?“ „Gewiss ist irgendwas da, eine Kraft oder ein Geist. Ein unfassbares, unbegreifliches Wesen wird wohl da sein. Nur glaube ich nicht, dass dieses Wesen gerecht ist ... aber auch nicht ungerecht. Denn wir wissen ja nicht einmal, was Recht oder Unrecht ist. Weiter glaube ich nicht, dass man dieses Wesen mit Gebeten und Gesängen, mit Brand und Sühneopfern, mit Geschenken und Kasteiungen oder was weiß ich, beeinflussen kann, damit es für den jeweilig Opfernden alles zum Guten und zu seinem Nutzen wendet. Nee, daran glaube ich niemals. Und dann bezeichne ich jede Religion als ausgemachten Schwindel und als Geldschneiderei. Und ich behaupte, dass man mit der Religion gut, auf jeden Fall besser regieren kann, eben, weil die Menschen verdummt werden. Die sogenannten Vertreter der Gottheit auf Erden sind nicht bekloppt, das sind ganz abgefeimte Burschen, sage ich dir. Sie drohen mit Strafen, sie machen Versprechungen, sie sprechen von Himmel und Hölle.“ „Aber die Menschen sind doch glücklich dabei, Ernesto, und das sollte doch wohl im menschlichen Leben die Hauptsache sein. Es ist doch scheißegal, auf welche Art man glücklich wird, denn über die Höhe und Tiefe des Glücks kann man doch nicht streiten. Es kann doch niemand von sich behaupten, er sei glücklicher als der andere. Einen Messapparat für Glücksempfindungen gibt es doch bis zum heutigen Tage nicht. Sieh mal, wenn ich eine Hure belatschert habe, dass sie mit mir, ohne Geld dafür zu nehmen, schlafen geht – Geld gebe ich ihr nachher ja doch – dann bin ich glücklich. Und wenn sich Emil den Arsch so richtig vollgesoffen hat, dass er Knoten in der Zunge hat, dann ist er doch auch wohl glücklich. Ist denn nun mein Glück besser oder tiefer als seines? Und wenn Menschen in der Religion und im Gebet und in der Andacht glücklich sind ... dann ist es doch eben ihr Glück.“ „Hm“, macht Ernesto und legt sich in seine Koje zurück. „Sieh, und wenn der eine das Glück bei einer Hure findet, der andere im Schnaps und der letzte in seinem Glauben, dann ist das doch seine Sache. Die Hauptsache ist, er ist glücklich. Was siehst du denn zum Beispiel als Glück an, Ernesto?“ Ernesto richtet sich wieder auf, stützt sich auf den Ellenbogen und sieht zu mir herauf. „Nun will ich dir mal was sagen, Valentin. Glück ist Quatsch. Glück ist genau so ein Quatsch wie Liebe. Ist der Gesunde glücklich? Doch sicherlich. Wie man 's nimmt natürlich, er weiß nur nichts von seinem Glück. Aber der Kranke ist unglücklich, das weiß er, weil er Schmerzen hat. Der Gesunde müsste glücklich sein, weil er keine Schmerzen hat. Dann müsste es folglich mehr Glückliche als Unglückliche geben, weil es mehr Gesunde als Kranke